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Debatte um Impfpriorisierung: Stiko warnt vor Aufhebung


17 Prozent der Bürger geimpft
Debatte um Impfpriorisierung – Stiko warnt vor Aufhebung

Von t-online, lw

15.04.2021Lesedauer: 4 Min.
Corona-Impfung: Da nicht von Anfang an genügend Impfstoff zur Verfügung stand, musste priorisiert werden.Vergrößern des Bildes
Corona-Impfung: Da nicht von Anfang an genügend Impfstoff zur Verfügung stand, musste priorisiert werden. (Quelle: Itar-Tass/imago-images-bilder)

Durch die Impfungen bei den Hausärzten hat die deutsche Impfkampagne deutlich an Fahrt gewonnen. Deshalb kommt vermehrt die Frage auf: Kann die Impfreihenfolge aufgehoben werden? Die Meinungen sind kontrovers.

Soll die Reihenfolge der Impfungen aufgehoben werden oder nicht? Diese Frage feuert derzeit die Debatten an. Bayern will sich spätestens Ende Mai von der Impfpriorisierung lösen, verkündete der bayrische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Dienstag. Dann soll möglichst schnell allen infrage kommenden Menschen ein Impfangebot gemacht werden.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat nun vor einer Aufhebung der Impfpriorisierung gewarnt. Es müssten mit den begrenzten Impfstoffmengen weiter möglichst Menschen mit hohem Risiko vor einem schweren Covid-19-Verlauf geschützt werden, etwa Vorerkrankte, sagt Stiko-Chef Thomas Mertens der "Rheinischen Post". Damit schütze man auch die Intensivstationen. Durch Impfungen könne die aktuelle dritte Welle aber nicht wesentlich beeinflusst werden. "Dazu hätte man viel früher viel mehr Impfstoff haben müssen."

Impfpriorisierung: Die Reihenfolge der Impfungen ist in einer Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums festgelegt, die im Wesentlichen auf der Impfempfehlung der Stiko beim Robert Koch-Institut (RKI) aufbaut. Eine Priorisierung ist notwendig, weil zunächst nicht ausreichend Impfstoff zu Verfügung steht, um alle Menschen zu impfen, die das wünschen.

"So haben wir unzählige Leben gerettet"

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hatte eine Aufhebung der Impfreihenfolge angezweifelt, nachdem NRW-Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet dafür plädiert hatte. Laschet wolle die "ethische Impfreihenfolge zerlegen", sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. "Dabei sollte doch die Priorisierung garantieren, dass zunächst die Schwächsten als erstes geschützt werden." Schließlich seien 90 Prozent der Corona-Toten älter als 70 Jahre, so Brysch. "Doch der Ministerpräsident hat es in seinem Bundesland nicht geschafft, allen 80-Jährigen im ersten Quartal ein Impfangebot zu machen", so der Patientenschützer.

Laschet hatte angesichts steigender Impfstofflieferungen der "Bild am Sonntag" gesagt: "Wenn zum Ende des Frühjahrs die großen Impfstoffmengen kommen, sollten die Impfprioritäten fallen und die Impfungen für alle Menschen geöffnet werden. Das wäre ein wichtiger Baustein für die Brücke zu einem Sommer mit viel mehr Freiheit." Das bisherige strenge Einhalten der Reihenfolge habe er jedoch begrüßt. Mit der strikten Priorisierung am Anfang habe man eine Schutzmauer für die Alten und Pflegebedürftigen errichtet. "So haben wir unzählige Leben gerettet."

"Jetzt geht es um Geschwindigkeit"

Angesichts des Infektionsgeschehens und der sich mit Corona-Patienten füllenden Krankenhäuser forderte der Medizinische Vorstand des Universitätsklinikums Dresden, Michael Albrecht, die Aufhebung der Impfpriorisierung. "Jetzt geht es um Geschwindigkeit", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Man müsse verstärkt die impfen, die viel unterwegs sind, Kontakte haben und gefährdeter sind, sich anzustecken. "Es geht darum, in kurzer Zeit möglichst viele Leute zu impfen und sich nicht endlos in bürokratischen Diskussionen um Priorisierungslisten aufzuhalten."

Der Effekt beim Impfen müsse sich zeigen und dort weiter aufs Tempo gedrückt werden. "Man muss nur nach England oder Israel schauen, wo Fußballspiele wieder mit Publikum möglich sind und Restaurants öffnen, das ist der Effekt einer hohen Durchimpfungsquote." Daran sei ablesbar, dass nicht Öffnungen und Schließungen der Weg seien. "Die einzige Chance, die wir haben, ist, dass 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, und das so schnell wie möglich."

"Jeder Geimpfte zählt"

Die Landesärztekammer plädierte bei der Corona-Impfkampagne ebenso für eine Abkehr von der starren Impfreihenfolge. "Solange der Impfstoff extrem knapp war, war die Priorisierung beim Impfen und deren strikte Einhaltung absolut richtig und notwendig", erklärte Kammerpräsidentin Ellen Lundershausen. Nachdem die besonders schützenswerten Gruppen aber nun weitgehend geimpft seien, gehe es um mehr Tempo beim Impfen.

"Und wir brauchen damit verbunden mehr Flexibilität, damit am Ende nicht noch Impfstoffe verfallen, weil gerade niemand von der vorgeschriebenen Gruppe verfügbar war." Angesichts der Infektionslage sei ein Punkt erreicht, "an dem jeder Geimpfte zählt und wir an diesem Ziel unser Handeln ausrichten müssen", erklärte Lundershausen.

"Jetzt muss es aber darum gehen, auch in die Breite zu impfen"

Thüringens Grünen-Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich unterstützte die Forderung, die Impfpriorisierung aufzugeben und auch jüngere Menschen gegen das Coronavirus zu impfen. Es sei richtig gewesen, zuerst die Älteren zu schützen, sagte Rothe-Beinlich der Deutschen Presse-Agentur. "Jetzt muss es aber darum gehen, auch in die Breite zu impfen."

Es habe sich gezeigt, dass die Corona-Mutationen vor allem auch Kinder ansteckten und damit auch deren Eltern stärker gefährdet würden. "Deshalb müssen wir jetzt neu nachdenken und auch mobile Gruppen impfen", sagte Rothe-Beinlich. Gemeint seien alle Menschen, die noch mobil sind, arbeiten gehen und viel unterwegs sind.

"Zunehmend auf Gesundheit der Menschen schauen"

Der Hausärzteverband hatte Anfang April auch dazu geraten, nach dem breiten Start der Corona-Impfungen in den Praxen die Priorisierung beim Impfen mit steigenden Liefermengen an Impfstoff in den Hintergrund treten zu lassen. "Die Priorisierung war und ist eine gute Leitlinie für die Ärztinnen und Ärzte, solange der Impfstoff noch in geringen Mengen verfügbar ist", sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt der Düsseldorfer "Rheinischen Post".

"Allerdings werden wir bald nicht mehr so sehr auf Zahlen, sondern zunehmend auf die Gesundheit der Menschen schauen müssen", fügte Weigeldt hinzu. "Ein Mann von 69 Jahren mit Hypertonus und Diabetes sollte vielleicht eher die Impfung erhalten als eine 72-jährige Triathletin", sagte der Verbandschef. Wenn die Impfstoffmenge ein bestimmtes Maß überschritten habe, müsse die Priorität sein, "den zugelassenen Impfstoff schnellstmöglich allen, die können und wollen, zu impfen."

Mehr als 17 Prozent sind geimpft

NRW-Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) sprach sich derweil gegen eine Aufhebung der Impfreihenfolge vor dem Sommer aus, wie sie Ministerpräsident Laschet ins Spiel gebracht hatte. "Ich glaube nicht, dass es viel bringt, wenn dann zu Beginn des Sommers ein unkontrollierter Run auf den Impfstoff losgehen würde. Das könnte zu viel Durcheinander und auch Überlastungen in den Systemen führen", sagte Kutschaty der Deutschen Presse-Agentur.

Bis Donnerstag haben in Deutschland fast 15 Millionen Bürger mindestens eine Impfung gegen das Coronavirus erhalten, das sind mehr als 17 Prozent. Mehr als sechs Prozent der Gesamtbevölkerung haben bereits den vollständigen Schutz. Durch den Impfstart in den Hausarztpraxen ist die Impfkampagne deutlich angekurbelt worden. Werktags werden bis zu 700.000 Dosen verimpft. Die Zahl der Corona-Intensivpatienten lag am Donnerstag bei 4.653 und damit immer noch auf hohem Niveau.

Verwendete Quellen
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