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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ausnahme im Teil-Lockdown Kirche geöffnet – Kino geschlossen: "Das ist total schräg"
Seit Montag gibt es wieder einen Lockdown in Deutschland. Vor allem der Freizeit- und Kulturbereich leidet. Eine Ausnahme bilden die Kirchen: Sie dürfen für Gottesdienste öffnen. Eine Entscheidung, die für Verwunderung sorgt.
Der Gottesdienst findet im Kino statt, weil es dort sicherer ist als in der Kirche. So geschehen am Wochenende in Hilden in Nordrhein-Westfalen. Die dortige Gemeinde der Familienkirche Wuppertal hatte monatelang keinen Gottesdienst mit anwesenden Gläubigen gefeiert, schreibt die "Bild"-Zeitung.
Dann die vermeintliche Lösung: Durch die Verlegung ins örtliche Kino können die Hygienestandards während der Corona-Pandemie besser eingehalten werden, die dort vorhandene Belüftungsanlage minimiere das Risiko zusätzlich. Auch im Dezember, zu Nikolaus und an Heiligabend, sind Gottesdienste im Kino geplant, schreibt die Kirchengemeinde auf ihrer Website und spricht von einer "großartigen Alternative" zum eigentlichen Gottesdienstsaal.
Verwirrende Corona-Regeln treiben absurde Blüten
Mit den neuen Einschränkungen im Rahmen des Teil-Lockdowns wäre diese Alternative so nicht mehr zulässig: Kinos müssen schließen. Gottesdienste im für unsicher erklärten Saal der Gemeinde wären hingegen möglich, denn derartige religiöse Veranstaltungen sind von den Beschränkungen ausgenommen. Ein Einzelfall, der zeigt: Auf den ersten Blick sind die Corona-Maßnahmen nicht immer nachvollziehbar.
"Das ist total schräg", findet auch Johannes Austermann, Betreiber des Filmtheaters "Scala" in Warendorf (Nordrhein-Westfalen). Auch er muss im November sein Kino wieder schließen. "Die Belüftungsanlagen sind ein Riesen-Vorteil der Kinos. Das zeigt, wie absurd die Regel ist."
Demonstration als Gottesdienst deklariert
Absurde Blüten treibt die Entscheidung der Bundesregierung auch an anderer Stelle: Als am Sonntag auf der Münchner Theresienwiese gegen die Corona-Maßnahmen protestiert wurde, berief sich der Veranstalter ausdrücklich nicht auf die Versammlungsfreiheit, obwohl Demonstrationen unter Auflagen ebenso weiter erlaubt bleiben. Die Veranstaltung wurde zum Gottesdienst deklariert, die Teilnehmer zum Beten aufgefordert. Es sprach Fernseh-Pfarrer Jürgen Fliege, auf der Bühne waren neben Deutschland-Flaggen auch Kreuze und Särge mit Blumenkränzen aufgestellt.
Die Polizei sah zunächst keinen Anlass zum Einschreiten, "da Inhalte und der Charakter eines Gottesdienstes erkennbar waren". Erst als die Veranstaltung immer mehr Konzertcharakter annahm, wurde sie von den Behörden gegen Abend abgebrochen.
Abwägung zweier hoher Grundrechte
Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigt ihre Entscheidung dennoch: "Die Religionsausübung sei ein "sehr hochstehendes Recht", erklärte Sie nach einer Sitzung des Corona-Kabinetts am Montagmittag. "Wenn wir Kitas und Schulen offen lassen, dann ist die Ausübung der Religionsfreiheit nach Einschätzung aller Verfassungsjuristen auch zwingend geboten". Damals hatten die Richter des Bundesverfassungsgerichts anlässlich eines Eilantrages zum Osterfest erklärt: Ein Verbot von Gottesdiensten stelle einen "überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit" dar. Der Schutz von Leib und Leben sei jedoch am wichtigsten.
Damals hatte es nachweislich Corona-Infektionen nach Gottesdiensten gegeben, wie Recherchen von t-online beispielsweise beim Hotspot im Zusammenhang mit dem Fleischverarbeiter Tönnies ergaben. Die Richter erklärten deswegen das Verbot für zulässig – allerdings mit der Auflage, es wieder zu lockern, sobald es verantwortbar sei, im Zweifel mit strengen Hygieneauflagen und regional begrenzt.
Kinos gegenüber den Kirchen im Nachteil
Derzeit erlauben Bund und Länder Gottesdienste demnach weiterhin – obwohl die Wissenschaftler des Robert Koch-Instituts im aktuellen Lagebericht religiöse Veranstaltungen wieder als einen Grund für den Anstieg der Corona-Zahlen in Deutschland identifizieren. "Im Zusammenhang mit Kinos hat es aber, soweit ich weiß, nicht einen einzigen nachweisbaren Corona-Fall gegeben", sagt Kino-Betreiber Austermann dazu. "Und bei den Kirchen spielt der wirtschaftliche Aspekt weniger eine Rolle als bei uns. Die Kirchensteuer fließt ja trotzdem."
Er hingegen werde einen Monat lang nur Kosten haben, erklärte er gegenüber t-online bereits nach Bekanntwerden der neuen Lockdown-Regeln. Daher fordert er eine einheitlichere Linie: "Wenn man den kompletten Kultur-Bereich brach liegen lässt, und dazu würde ich auch die Kirche zählen, dann würde ich mir schon wünschen, dass man da mit einer Schere schneidet."
- Telefonisches Gespräch mit Johannes Austermann
- "Robert Koch-Institut": "Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019"
- "Bild": "Gottesdienst im Kino"
- Familienkirche Wuppertal: "Wir feiern wieder Gottesdienst zusammen!"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa