Studie Nutzen von Reflektoren gegen Wildunfälle umstritten
Göttingen (dpa) - Die inzwischen weit verbreiteten blauen Reflektoren am Straßenrand können die Zahl von Wildunfällen einer neuen Studie zufolge nicht verringern.
Bei einer Untersuchung auf 150 Teststrecken in den Landkreisen Göttingen (Niedersachsen), Höxter (Nordrhein-Westfalen) sowie Kassel und Lahn-Dill (beide Hessen) hätten sich die Reflektoren als wirkungslos erwiesen, sagte der Göttinger Waldökologe Christian Ammer der Deutschen Presse-Agentur.
"Die Ausgaben für die inzwischen weit verbreiteten Wildwarnreflektoren kann man sich jedenfalls sparen", sagte auch der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), Siegfried Brockmann. Die Hoffnung, das von Autoscheinwerfern reflektierte Licht könne Wildtiere von Straßen abhalten, habe sich zerschlagen. Die Studie war im Auftrag der UDV entstanden. ADAC und Deutscher Jagdverband haben aus früheren Untersuchungen andere Ergebnisse.
Wie wenig Nutzen die Reflektoren haben, könne man auch aus der weiter gestiegenen Zahl der Wildunfälle folgern, sagte Brockmann. Sein Verband habe im vergangenen Jahr so viele Wildunfälle registriert wie noch nie seit Anfang der 90er Jahre. Bundesweit seien rund 275 000 Kollisionen gemeldet worden. Dies sind gut 750 pro Tag und 11 000 mehr als im Vorjahr. Allerdings ist in den vergangenen Jahrzehnten auch die Zahl der Autos und der Verkehrsunfälle insgesamt gestiegen. Bei Kollisionen mit Wild wurden 2017 zehn Menschen getötet und fast 3000 verletzt. Der wirtschaftliche Schaden betrug etwa 744 Millionen Euro.
Für ihre Studie haben die Göttinger Forscher zusammen mit Kollegen von der Universität Zürich etwa 10 000 Stunden Videomaterial ausgewertet, das sie mit Infrarotkameras an den zwei Kilometer langen Teststrecken aufgenommen haben. "Dabei wurden etwa 1600 Begegnungen zwischen Tieren und Fahrzeugen dokumentiert", sagte Waldökologe Ammer. "Für das Verhalten der Tiere spielte es keine Rolle, ob sich an den Strecken blaue Wildreflektoren befanden oder nicht."
Die Meinungen zur Wirksamkeit blauer Reflektoren seien unterschiedlich, sagte dagegen ADAC-Sprecherin Alexandra Kruse. Bei einzelnen Projekten mit diesen Wildwarnern gebe es "durchaus positive Erfahrungen". Nach Auskunft des Deutschen Jagdverbandes (DJV) ergab eine Studie im Schnitt 60 Prozent weniger Unfälle auf Strecken mit den blauen Reflektoren. Während vier Jahren sei es weder zu einem Gewöhnungseffekt noch zu einer Verlagerung des Unfallgeschehens gekommen. Woran das liege, sei unklar, sagte DJV-Sprecher Torsten Reinwald. Es könne auch sein, dass Autofahrer aufmerksamer werden, wenn sie die blauen Reflektoren sehen.
Wildunfälle werden nach Aussagen Reinwalds bislang zu schlecht erfasst. Wichtig sei es, Schwerpunkte zu entdecken und sie zu entschärfen. Der DJV hat ein Tierfund-Kataster entwickelt, in das jeder per Internet oder App Unfälle eintragen kann.
Reinwald forderte, an Grünstreifen neben Straßen keine Futterpflanzen mehr anzubauen wie Haselnuss, Hartriegel, Heckenrosen, Eichen oder Buchen. Stattdessen sollten dort bitter schmeckende Pflanzen wachsen. Der ADAC hat mit sogenannten Duftzäunen gute Erfahrungen gemacht, die das Wild warnen. Diese seien aber teuer, so dass sie selten genutzt würden.
Neue Erkenntnisse und eine hohe Wirksamkeit erhofft sich der ADAC von einem neuen Projekt zur Wildunfall-Prävention in Sachsen-Anhalt, das kürzlich gestartet wurde. Anders als die blauen Reflektoren wirke das neue System auch tagsüber. "Ausgelöst durch Fahrgeräusche und Scheinwerferlicht werden sowohl optische als auch akustische Warnsignale aktiviert", sagte Kruse. Das Verfahren sei neu für Deutschland, habe sich in Österreich aber schon bewährt.
Um die Zahl der Unfälle zu reduzieren, könnte man die Wilddichte und das Verkehrsaufkommen senken, meint Waldökologe Ammer. Beides halte er aber für ebenso wenig realistisch wie eine generelle Umzäunung von Straßen, auf denen es zu Wildwechsel komme.
Möglich und wirksam wären dagegen technische Verbesserungen an den Fahrzeugen, sagte Unfallforscher Brockmann. Infrage komme zum Beispiel der Einbau von Infrarot-Sensoren. "Wenn Wild am Straßenrand steht, würden solche Geräte die Fahrer durch akustische Signale warnen", sagte Brockmann.
Teurer aber wohl noch wirkungsvoller wären spezielle Nachtsichtkameras, deren Aufnahmen im Display der Fahrzeuge sichtbar wären. "In einer höheren Entwicklungsstufe würden die Fahrzeuge dann auch noch selbstständig bremsen, wenn Wild auf der Straße oder am Fahrbahnrand auftaucht", sagte Brockmann. Der ADAC hat noch einen anderen Tipp: langsamer fahren. Das reduziere im Fall der Fälle den Bremsweg.