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Wetter in Deutschland – Heißer Sommer: Die Hitze und das vergessene Gift


Meinung
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Heißer Sommer
Die Hitze und das vergessene Gift

MeinungVon Jörg Kachelmann

Aktualisiert am 26.07.2018Lesedauer: 6 Min.
Waldsee: Vielerorts in Deutschland halten sich noch immer Mythen um Sonne und Temperaturen – aber ein Gift wird völlig vergessen.Vergrößern des Bildes
Waldsee: Vielerorts in Deutschland halten sich noch immer Mythen um Sonne und Temperaturen – aber ein Gift wird völlig vergessen. (Quelle: Patrick Pleul/dpa)

Die erste Hitzewelle des Jahres 2018 ist da. Wo ist es üblicherweise am heißesten? Warum müssen wir nicht auf Gewitter hoffen? Und warum sind Jogger abends an solchen Tagen doof?

Zuerst müssen wir uns einigen, wie die Lufttemperatur gemessen wird. Die schlechte Nachricht: Was Sie auch immer mit normalen Hausmittelchen mit mehr oder weniger teuren Stationen messen, ist leider völlig unbrauchbar und misst irgendwas, aber nicht die Lufttemperatur. Es hilft auch nur wenig, ein Thermometer oder einen Temperaturfühler in den Schatten zu hängen: Es zeigt tagsüber immer noch bis fünf Grad zu warm an, weil der Himmel zwar keine Sonne ist, aber reicht, um den Fühler zu erwärmen.

Warum das Thermometer oft spinnt

Alle Fühler, die nicht in einem Rohr ventiliert werden oder sich in einer Wetterhütte befinden, messen nicht die Lufttemperatur, sondern einfach ihre eigene Temperatur. Deswegen haben Sie an Tagen wie diesen oft so viel höhere Zahlen als die, die offizielle Wetterstationen zwei Meter über Wiese messen.

Hier können Sie sich die Daten im Detail anschauen. Zum Ablesen klicken Sie in die Bundesländer – wenn Sie dann auf eine der Zahlen klicken, sehen Sie die Temperatur im Zehn-Minuten-Takt.

Und falls Sie sich fragen, wie eine Wetterhütte aussieht – so:

In so einem schönen Holzhäuschen mit Jalousien nach innen und außen, zwei Meter über Wiese, wird weltweit üblicherweise die Temperatur gemessen. Da ist der Temperaturfühler gut geschützt und misst nicht die eigene, sondern die Lufttemperatur. Heutzutage werden in vielen Ländern auch ventilierte elektronische Thermometer genommen, bei denen einfach so viel Wind am Fühler vorbeipfeift, dass die Verfälschung durch Sonne und Himmel keine Rolle spielt.

Wenn es geht, posten Sie deshalb nicht Ihre eigenen 40-Grad-Messungen in den sozialen Medien und behaupten, dass Sie am heißesten Ort seien – wie gesagt, die Werte sind tagsüber alle unbrauchbar, die ohne Wetterhütte und ventiliertes Thermometer gemacht werden. Freuen Sie sich auf die Nacht, solange Sie von abstrahlenden Hauswänden und Betonflächen entfernt sind. Straßen und Wege erinnern sich nämlich noch lange an die Hitze des Tages.

Das hier waren die Temperaturen der Überholspuren Deutschlands am Mittwochnachmittag um 16 Uhr. Zum Ablesen klicken Sie in die Länder und Kreise – andere Zeiten und Parameter können Sie via Menü auswählen.

Um 22 Uhr war es schon weitgehend dunkel in Deutschland, die Straßen schmurgelten aber vor allem in NRW immer noch vor sich hin.

Das sah dann so aus.

Entsprechend verfälscht sind auch nachts die Lufttemperaturwerte in der Nähe solcher Heizflächen. Das Bauen von Straßen und Häusern ist deshalb für den Deutschen Wetterdienst (DWD) seit jeher ein Riesenmist. Am besten wäre es, wenn man irgendwo vor 200 Jahren eine Wetterstation hingestellt hätte und es hätte sich dann nichts verändert. Nur Prärie. Wie man hört, ist das allerdings nicht überall so gewesen, weshalb der DWD Wetterstationen immer wieder umziehen muss, weil Büsche wachsen und Häuser und Parkplätze kommen.

Regionale Legenden aus alter Zeit

Wegen der Klimadiskussion ist der DWD zu Recht heute noch viel pingeliger als früher, was das Aufstellen von Wetterstationen betrifft. Doof, wenn eine Klimaerwärmung nur von einem neu gepflanzten Baum neben der Wetterstation oder einem neuen Parkplatz herrührt. Oder doof, wenn eine Wetterstation früher vollkommen bescheuert aufgestellt wurde, als alles noch nicht so hochprofessionell lief wie heute.

Aus der Zeit, in der man Fünfe noch gerade sein ließ, stammen viele völlig unwahre Legenden, was das Klima von manchen Orten betrifft. Menschen aus Freiburg im Breisgau glauben im Ernst, dass ihr Ort besonders warm sei. Das ist in keiner Form der Fall, der Ort liegt meist nicht unter den "Top 20" der wärmsten Orte in Deutschland – und es wäre auch völlig unerklärlich, warum ein Ort im Luv des Schwarzwalds, der auch noch deutlich höher liegt als der Oberrheingraben, besonders warm sein sollte.

Des Rätsels Lösung: Früher lag die Wetterstation sehr nahe an einer südexponierten Hauswand, was wunderbare Werte ergeben hat, die aber nichts mit Freiburg zu tun hatten. Seit die Wetterstation an einen normalen Standort umgezogen wurde, rangiert Freiburg unter ferner liefen.

Das hier waren die im Schnitt wärmsten Orte 2016:

Und 2017 sah das Bild ähnlich aus:

Man sieht, es sind nicht gerade die berühmten Touristenorte – viele Freiburger halten nach wie vor aggressiv an ihrer Hauswandlegende fest, es ist wie bei den Kommentaren zur letzten Kolumne rund um den Durchzug: Die Anhänger von Aberglauben sind oft wie Angehörige einer Sekte, die nur sehr schlecht mit Objektivität und Wissenschaft umgehen können.

Die wilden Zeiten der Vergangenheit haben auch dazu geführt, dass sich die Ostsee-Insel Usedom immer noch als sonnigste Gegend in Deutschland wähnt, weil vor vielen Jahrzehnten für kurze Zeit ein Auswerter der damals gebräuchlichen Sonnenpappstreifen es besonders gut gemeint hat, vorschriftswidrig auch die kleinsten Spürchen mitgerechnet hat und einmal auf ein sensationell hohes und sensationell falsches Sonnenjahr für Usedom herauskam. Die Insel ist zwar deutschlandweit durchaus vorne dabei, aber bei Weitem nicht am sonnigsten. Hiddensee und Teile Rügens sind deutlich sonniger, aber es gibt in Deutschland so viele Orte, die fälschlicherweise behaupten, dass sie die sonnigsten seien, dass es auf Usedom nicht ankommt.

Die falschen Hitzewerte aus Lingen

Durch das Wachstum von Pflanzen und Neubauten muss der DWD übrigens bis heute eingreifen. Dass man in den letzten Tagen immer wieder mal von tollen Hitzewerten aus Lingen im Emsland hörte, hat weniger mit einem realen Geschehen, sondern mit dem Wachstum der Bäume im dortigen Schwimmbad zu tun, die einen laufend größeren Luftstau rund um die Wetterstation erzeugen. Der DWD hat den Umzug der Station bereits im Visier, danach wird Lingen das Schicksal von Freiburg teilen und wieder in den hinteren Rängen verschwinden.

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Die Hitze wird mit kleinen Krisen noch eine Weile dauern. Was wichtig ist, dass Sie bitte aufhören, auf ein "kühlendes Gewitter" zu hoffen. Das ist auch ein lustiger deutscher Wetteraberglaube, den ich vor einer Woche zu erwähnen vergessen habe. Abkühlung kommt durch einen Luftmassenwechsel zustande, der in eher seltenen Fällen durch Gewitter begleitet sein kann, aber nicht muss. Wenn dieser Luftmassenwechsel stattfindet, passiert er überall, völlig unabhängig davon, ob irgendwo ein Gewitter war oder nicht. Gewitter bringen nichts.

Gibt es keinen Luftmassenwechsel wie in diesen Tagen, machen Gewitter alles noch viel schlimmer. Ja, es wird für eine halbe Stunde kühler. Aber warum kippen Sie sich nicht einen Eimer Wasser über den Kopf, um denselben Effekt zu erzeugen? Das hätte den Vorteil, dass das dicke Ende nicht nachkommt – Gewitter ohne Luftmassenwechsel sind wie ein Aufguss in der Sauna: Nach kurzer Zeit ist alles noch viel unerträglicher. Sie erinnern sich an die Sache mit dem Taupunkt, das Schwülemaß: ab 16 Jammern, ab 18 Wehklagen, ab 20 nicht mehr auszuhalten. So waren die noch angenehmen Taupunkte in Hamburg am Mittwoch vor den Schauern:

Nach dem "kühlenden Gewitter" herrschten dann regelrecht brasilianisch anmutende Saunaverhältnisse, im Norden der Stadt stieg der Taupunkt später bis 20 Grad:

Kurzum: Die Orte ohne Gewitter sind nachhaltig besser dran als die mit Gewittern, wenn man von der Wasserspende absieht. Die Wärme bis Hitze an sich wird uns wohl noch eine Weile erhalten bleiben, man sieht beim 46-Tage-Trend des europäischen Modells, wie langsam der Hitzedom über Mittel- und Nordeuropa abgebaut wird.

Sie wissen spätestens seit der Kolumne vor einer Woche, dass mir Ihr Leben wichtig ist. Sie haben nun hoffentlich einen Ventilator, haben der bescheuerten Durchzugssekte abgeschworen – und sollten nicht mehr am Nachmittag und Abend joggen. Es ist wirklich sehr, sehr ungesund, vor allem bei jungen Menschen. Nehmen Sie wenigstens nicht Ihre Kinder und Jugendlichen mit, falls Sie diese sekundärtugendhafte Obsession haben, etwas immer machen zu müssen, nur weil sie glauben, etwas immer machen zu müssen. Vor allem Junge können bleibende Lungenschäden davon tragen. Solange es heiß und sonnig ist, machen Sie also entweder drinnen oder gar keinen Sport.

Ozon ist weiterhin giftig wie eh und je

Vor gut 20 Jahren gab es einen Riesenhype um das giftige Ozon in der Atemluft. Heute spricht fast niemand mehr davon, es ist alles Diesel geworden. Die traurige Wahrheit: Das Ozon ist immer noch da, giftig wie eh und je. Solange sich das Wetter nicht ändert, sollten Sie keinen Sport draußen zwischen 15 und 23 Uhr machen. Es sind kurzfristige, schlimmstenfalls langfristige Lungenschäden möglich. Ich weiß, Sie müssen jetzt einen stinkigen Kommentar schreiben und mir mitteilen, dass Sie trotzdem weiter rumrennen bei den höchsten Temperaturen und Ozonsmogwerten. Können Sie.

Ich wollte Ihnen nur sagen, dass es ziemlich beknackt ist. Was Ihre Lunge angeht, können Sie gleichwertig auch eine rauchen. Die Dreckluft läuft analog zur Temperatur, es ist also abends am schlimmsten. Sport draußen ist morgens am besten, mittags geht noch, danach nicht mehr. Auf dem Land ist es nicht besser als in der Stadt, im Wald nicht besser als auf der Wiese. Ich sags Ihnen, wenn alles wieder gut ist.

Jörg Kachelmann ist Meteorologe und Unternehmer. Er arbeitet seit vielen Jahren als Wetterexperte für das Fernsehen. Zudem hat er seine eigenen Wetterdienste gegründet. Seit 2015 ist er Chef der Wetterplattform kachelmannwetter.com.

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