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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Skandal um sexuelle Belästigung Politikerin macht Beleidigungen öffentlich – und wird verklagt
Eine österreichische Politikerin steht vor Gericht, weil sie sich gegen sexuelle Belästigung wehrt. Sie stellte die Nachrichten eines Mannes ins Netz. Der Fall bringt den Gesetzgeber in Bedrängnis.
"Du bist heute bei mir im Geschäft vorbeigegangen und hast auf meinen Schwanz geguckt, als wolltest du ihn essen." Was macht eine Frau, die solch eine Nachricht von einem Fremden bekommt? Sigi Maurer, Grünen-Politikerin in Österreich, hat sich dazu entschlossen, die Nachricht bei Twitter zu veröffentlichen. Dazu den Namen des Verfassers und die Adresse seines Getränkehandels.
In Österreich gelten obszöne Inhalte, die via Textnachricht, Mail oder Posting versendet werden, als strafrechtlich nicht relevant. Der Verfasser kann für den Text, in dem er auch Analverkehr mit der Politikerin anbietet und von ihrem "fetten Arsch" spricht, also nicht belangt werden. Maurer sah in der Veröffentlichung des Falls einen geeigneten Umgang mit dem Thema.
Wiens regierende Parteien wollen Sanktionsmöglichkeiten
Der Besitzer eines Getränkehandels streitet ab, die Nachrichten, die eindeutig von seinem Facebook-Account von einem Computer in seinem Laden aus versendet wurden, selbst verfasst zu haben. Und stellte Privatanzeige gegen Maurer. Am 4. September muss sie sich nun vor Gericht verantworten. Der Mann fordert 60.000 Euro, da er durch ihre Behauptungen materiellen und immateriellen Schaden erlitten habe. Seine Aussichten auf Erfolg sind gut.
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Das halten Wiener Politiker für ungerecht – und fordern nun eine Gesetzesänderung und die Einführung von Sanktionen gegen sexuelle Belästigung. Die koalierenden Parteien SPÖ und Grüne fordern im Gemeinderat eine Gesetzesänderung zugunsten der belästigten Person.
Opposition gegen Vorstoß
Die Koalitionspartner wollen durchsetzen, dass der Tatbestand der sogenannten Ehrenbeleidigung verschärft wird. Bisher gilt dieser nur, wenn mehrere Personen die abwertenden Äußerungen mitbekommen. Gegen die Privatnachrichten selbst könnte nach aktueller Gesetzeslage nur vorgegangen werden, wenn sie ganz konkrete Gewaltandrohungen mit Ort- und Zeitangaben enthalten würden. Die Oppositionsparteien FPÖ, ÖVP und Neos lehnten die Forderungen im Rathausparlament ab. Die Diskussion dauert an. Auch Maurer selbst will sich weiter für eine Novellierung der Gesetzeslage einsetzen.
Die Justiz steht in dem Fall aber auch unabhängig von einer möglichen Anpassung des Rechts vor grundsätzlichen Fragen: Muss Maurer dem Ladenbesitzer nachweisen, dass er die Nachrichten tatsächlich selbst verfasst hat? Immerhin gibt es starke Indizien dafür. Abgesehen davon, dass es sein Computer in seinem Laden war und die Nachrichten ganz klar von seinem Account aus versendet wurden, weisen Artikulation und Interpunktion auf den Getränkehändler hin. Denn diese sind sowohl in den obszönen Texten als auch in einer von ihm offiziell verfassten Stellungnahme eigenwillig.
Maurers Fall könnte exemplarisch sein
Möglicherweise kann der Getränkehändler auch für Nachrichten zur Verantwortung gezogen werden, die er nicht selbst verfasst hat. Nämlich eben weil es sein PC und eindeutig sein Account war.
Stellen sich diese Fragen überhaupt? Immerhin gelten die Nachrichten nach allgemeiner österreichischer Rechtsauffassung als strafrechtlich irrelevant. Möglicherweise genießt der mutmaßliche Verfasser in diesem Fall gar keinen Identitätsschutz.
Der Fall schlägt in Österreich hohe Wellen, weil er den grundsätzlichen Umgang mit sexueller Belästigung in den Fokus stellt. Für Sigi Maurer könnte die Diskussion in diesem Fall zu spät kommen. Dass der Mann mit seiner Zivilklage Erfolg hat, gilt als wahrscheinlich. Trotzdem könnte sie mir ihrer Entscheidung eine Bewegung ausgelöst haben, an deren Ende das Gesetz Opfer obszöner Übergriffe schützt – und sich nicht vor die Täter stellt.
So sieht die Rechtslage in Deutschland aus
In Deutschland entscheidet in dieser Situation die Bewertung des Einzelfalls. "Das Veröffentlichen von Textnachrichten ist nicht generell verboten", sagt der Medienanwalt Thorsten Feldmann von der Berliner Kanzlei JBB Rechtsanwälte.
Zunächst stelle sich die Frage, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt. Dies hänge davon ab, wie kreativ, wie schöpferisch die Nachricht ist. "Außerdem muss geprüft werden, ob die Veröffentlichung der Nachricht den Absender in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dies ist Einzelfallfrage, bei der alle Faktoren gegeneinander abgewogen werden müssen. Dazu zählt, wer der Verfasser ist, wer der Empfänger, was in der Nachricht steht, ob diese eine öffentliche Frage berührt und so weiter. Auch ist die Frage entscheiden, ob der Verfasser davon ausgehen durfte, dass die Korrespondenz geheim bleibt.“
Da es sich bei Sigi Maurer als Politikerin um eine öffentliche Person handelt, die sich regelmäßig öffentlich äußert, und die Nachricht einen besonders kritikwürdigen Inhalt enthielt, hätte der Ladeninhaber in Deutschland kein generelles Geheimhaltungsinteresse für sich anführen können.