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Ostsee: Wirtschaftskrise und Inflation bedrohen Küstenfischer-Tradition


Ostsee-Fischerei ohne Hoffnung
"Uns hört ja niemand zu, wir haben ja nicht studiert"


02.09.2024Lesedauer: 4 Min.
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Fischer Uwe Dunkelmann holt sein Stellnetz ein: Die Kormorane würden ihm viele Fische wegfressen, sagte er.Vergrößern des Bildes
Fischer Uwe Dunkelmann holt mit einer hydraulischen Kurbel sein Stellnetz ein: Die Kormorane würden ihm viele Fische wegfressen, sagte er. (Quelle: Malte Bollmeier)

Sinkende Fangquoten und leere Netze, dafür aber Wirtschaftskrise und Inflation: Die meisten Küstenfischer an der Ostsee haben aufgegeben. Ein Mann hingegen fährt immer noch raus. Warum?

Rote Fahnen im Meer markieren den Fang des Tages. Zehn Meter darunter hat der 64-jährige Fischer Uwe Dunkelmann am Vortag ein Netz aufgebaut, das er nun mithilfe eines Motors in seinen Holzkutter zieht. Am Ende liegt das ganze Netz im dunkelbraunen Boot – aber nur sieben Heringe. "Was für ein Trauerspiel", klagt er an diesem Freitagmorgen Ende März.

An besseren Tagen erwischt er Hunderte Fische, hier, in der Bucht vor der mecklenburgischen Kleinstadt Klütz. Dennoch: "Von den geringen Fangmengen und niedrigen Verkaufspreisen kann keiner leben", sagt er. Allein vom Fisch könne er bei den steigenden Energiepreisen kaum den Sprit für sein Boot bezahlen. Zudem dürfen die Fischer der westlichen Ostsee seit 2017 pro Jahr deutlich weniger fangen. Statt wie früher rund 16.000 Tonnen sind ihnen allen zusammen nur noch 435 Tonnen Fisch erlaubt. Die Umsätze in der Fischer-Branche gehen allgemein zurück, wie Sie hier nachlesen können.

Wie viele seiner Kollegen finanziert sich Dunkelmann nun anders: Im Westen der Bucht betreibt er in seinem Heimatdorf Boltenhagen seit 2008 ein Restaurant, einen Laden und eine Räucherstube. Fischen geht er nur noch nebenbei. Die meisten Fischer haben ihren Beruf aufgegeben. Der Landesfischereiverband Mecklenburg-Vorpommern hat sich 2020 aus Mangel an Mitgliedern aufgelöst. "An vielen Tagen komme ich mir vor wie der letzte Mohikaner", sagt Dunkelmann und blickt in die grauen Weiten der Ostsee. Trotzdem fährt er nach 45 Jahren als Fischer immer noch raus. Wieso?

Sein Fischerboot heißt "Uschi"

An jenem Freitagmorgen um sieben Uhr, die Sonne ist gerade irgendwo hinter der Wolkendecke aufgegangen, tänzelt Dunkelmann in orangefarbener Gummimontur an Bord seines Kutters: Ein Schritt auf die Stahlreling, ein Griff ans Kajütendach, schon ist er drin. Sein knapp zehn Meter langes Fischerboot ist 36 Jahre alt und heißt "Uschi", benannt nach seiner Mutter.

"Uschi" ist eins der letzten Holzfischerboote in Boltenhagen. "Alle anderen haben auf Plastikschiffe umgerüstet. Aber diese Joghurtbecher sehen scheiße aus", sagt Dunkelmann und streichelt das Armaturenbrett. Dann startet er den 100-PS-Motor, das Auspuffrohr über dem Heck poltert wie ein rüstiger Traktor.

Er wuschelt durch seine graublonden Haare, die er mit einem Stirnband mit Mammutbildchen bändigt, und deutet auf einen Bildschirm in der Kajüte: "Da wollen wir hin." Über seinem Kopf hängt zwischen Radar, Funk und Tiefenmesser eine elektronische Seekarte. Dunkelmanns Netz ist dort mit einem roten X eingezeichnet. Das Ganze sieht aus wie eine Schatzkarte.

300 Meter lange Netze

Dunkelmann dreht den Motor auf, Glas und Holz der Kajüte vibrieren, dann lenkt er "Uschi" aus Boltenhagens Fischereihafen. Das Thermometer zeigt 8 Grad Celsius. Die Ostsee ist ruhig, es weht kaum Wind, und es regnet auch nicht. "Uschi" gleitet über den Wellenteppich.

Auf dem Deck stehen backbord blaue Plastiktonnen voll mit unterschiedlich grobmaschigen Netzen bereit, je nachdem, ob Dunkelmann Dorsche, Heringe oder Plattfische fangen will. Mittschiffs erwarten leere Kästen den Fang des Tages. Steuerbord ist die hydraulische Kurbel montiert, um das Netz einzuholen.

Nach einer halben Stunde und drei Kilometern Fahrt nach Süden sichtet er die roten Fahnen, die den Standort seines Stellnetzes markieren. Dieses hängt in zehn Metern Tiefe und erinnert an ein Tennisnetz, ist aber 300 Meter lang. An der unteren Seite ist Blei eingewoben, an der oberen Schwimmkörper. So steht es senkrecht auf dem Meeresboden.

Schlachtung direkt auf dem Schiff

Dunkelmann geht zum zweiten Steuer auf dem Vorderdeck, und lenkt nun damit, während er gleichzeitig das Netz einholt. Außer den sieben Heringen zieht er noch einige Miesmuscheln und einen Seeskorpion ins Boot, ein Fisch mit Stacheln an den Kiemen. Skorpion und Muscheln gehen zurück ins Meer, die Heringe schlachtet Dunkelmann sofort.

Mit einem Messer schneidet er ihnen den Kopf ab, schlitzt den Bauch auf, schiebt mit den Daumen die Eingeweide raus und ritzt die Blutrinne an, eine Ader am Rücken. Das alles dauert keine zehn Sekunden. Ein paar Schuppen, Blut und Gedärme bleiben kalt an den Fingern kleben. Er geht hinter die Kajüte und spült sie mit einem Wasserschlauch ab.

Dunkelmann räumt das leere Netz in eine Kiste. Ihm zufolge verfängt sich in Stellnetzen nur wenig Beifang, weil die Fischer über die Maschengrößen steuern, welche Tiere sie erwischen. Laut dem Bundesamt für Naturschutz und den Umweltschützern des Nabu hingegen bedrohen die Netze Schweinswale und Seevögel wie den Haubentaucher: Sie würden sich verstricken und ertrinken.

"Dein einziger Gegner ist die Natur", sagt er

"Die Nabu-Leute sollen mal ihre Hausaufgaben machen!", sagt Dunkelmann. Seiner Meinung nach haben Umweltschützer wenig Ahnung von der Praxis. Die Schweinswale in der Region hätten sich in den letzten Jahren vermehrt. Er sehe sie häufig neben seinem Boot schwimmen. Allerdings sind für ihn die Wale und auch die Kormorane dafür verantwortlich, dass er so wenig fängt. Die Tiere fräßen viele Fische oder verjagten sie aus der Bucht. "Aber uns Fischern hört niemand zu, wir haben ja nicht studiert", sagt er.

Warum geht er dann trotz allem noch fischen? Dunkelmann zeigt nur aufs Meer und sagt: "Na, darum!", als sei damit alles klar. "Fischen ist einfach geil. Dein einziger Gegner ist die Natur." Sonne, Strömung, Regen und Hagel, all das müsse er beherrschen, häufig auf sich allein gestellt. Während er das sagt, wirkt er wie die Hauptfigur aus Hemingways Geschichte "Der alte Mann und das Meer". Darin kämpft ein Fischer mit einem Riesenfisch und muss Stärke und Ausdauer beweisen. Dunkelmann kennt die Geschichte natürlich und sagt: "Ach, das erleben wir hier jeden Tag."

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