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"Letzte Generation": Statt Kleben nun "ungehorsame Versammlungen"


Interview
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Nach Strategieänderung
Jetzt spricht die "Letzte Generation"

InterviewVon Amir Selim

Aktualisiert am 31.01.2024Lesedauer: 5 Min.
Lina Johnsen klebt auf der Straße bei einer Protestaktion (Archivbild): Mit solchen Blockaden soll in Zukunft Schluss sein.Vergrößern des Bildes
Lina Johnsen klebt bei einer Protestaktion auf der Straße (Archivbild): Mit solchen Blockaden soll in Zukunft Schluss sein. (Quelle: "Letzte Generation")
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Sie stoßen auf viel Wut: die Klebeproteste der "Letzten Generation". Nun sind sie Geschichte. Straßen sollen aber weiterhin blockiert werden.

Die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" wollen sich nicht mehr auf die Straße kleben. Das hat die Gruppe am Montag angekündigt. Das bedeutet jedoch nicht das Ende von Straßenblockaden. Stattdessen sind "ungehorsame Versammlungen" geplant. Was das genau bedeutet und warum sie die Strategie wechseln, erklärt Lina Johnsen, Sprecherin der "Letzten Generation", im Interview mit t-online.

Frau Johnsen, was ist unter "ungehorsamen Versammlungen" zu verstehen?

Lina Johnsen: Der Kern von ungehorsamen Versammlungen ist, dass sie anschlussfähig sind und Widerstandsgeist in den Leuten wecken sollen. Wir wollen große Versammlungen auf Kreuzungen oder wie in den Niederlanden vielleicht auch auf Autobahnen machen. Dort werden auch Reden gehalten. Wann sie von der Straße wieder runtergehen, entscheiden die Teilnehmer dann spontan, je nachdem, wie weit jeder Einzelne gehen möchte.

Sie setzen also doch weiter auf Blockaden und die Störung des Straßenverkehrs, nur ohne Klebeaktionen?

Ja, wir gehen weg von der maximalen Störung der öffentlichen Ordnung hin zu einer maximalen Anzahl von Menschen, die die öffentliche Ordnung stören – mit lokaleren Versammlungen auf großen Kreuzungen zum Beispiel.

Das wird wieder zu heftigen Spannungen führen.

Die Geschichte hat gezeigt, dass solche Spannungen in der Gesellschaft notwendig sind. Sonst kann man auch nichts verändern. Das perfekte Maß an Spannung liegt dabei zwischen zwei Polen: zwischen anteilnahmslos oder passiv auf der einen Seite, also Folge leisten, auch wenn das das Hinnehmen von riesigem Unrecht heißt, und der Gewalt auf der anderen. Damit eine Gitarre einen Unterschied macht, also bespielt werden kann, dürfen die Saiten weder zu locker noch zum Zerreißen gespannt sein. Wir planen Störungen so, dass sie anschlussfähig sind, sich alle austauschen und weitere Leute dazukommen können. Ob sie dabei stehen, sitzen, tanzen oder musizieren, ist den Leuten komplett selbst überlassen. Aber wie gesagt – wir kleben uns nicht mehr an.

Lina Johnsen: Die Sprecherin der "Letzten Generation" kündigt weitere Straßenblockaden der Klimaaktivisten an.
Lina Johnsen: Die Sprecherin der "Letzten Generation" kündigt weitere Straßenblockaden der Klimaaktivisten an. (Quelle: Privat)

Zur Person

Lina Johnsen ist 26 Jahre alt. Sie ist Sprecherin der "Letzten Generation" und seit März 2022 Teil der Bewegung.

Wieso? Woher kommt der Sinneswandel?

Wir glauben immer noch, dass die bisherige Strategie richtig war zu der Zeit. Die Klebeaktionen waren nun mal effizient und effektiv, und die Bundesregierung hat gezeigt, dass sie lieber Menschen kriminalisiert, als ihr katastrophales Versagen im sozial gerechten Ausstieg aus Gas, Kohle und Öl anzugehen. Trotzdem wurde in den letzten zwei Jahren die Außenwahrnehmung analysiert und Umfragen gemacht. Wir kamen zu dem Schluss: Es braucht eine Strategieentwicklung, um uns für alle Menschen zugänglicher zu machen. Es ist der nächste Schritt. Wir brauchen das Kleben nicht mehr.

Was genau haben die Analysen ergeben?

Dass wir uns einen Namen gemacht haben. Aus den anfänglich 24 Leuten sind mehrere Hundert Menschen geworden. Im Jahr 2023 waren es zum Beispiel 80 Prozent mehr als im ersten Jahr. Aber zuletzt sind die Zahlen nicht mehr so deutlich gestiegen. "Die Zeit" hat eine repräsentative Befragung von 2.800 Menschen durchgeführt. 25 Prozent der Befragten unterstützen die Straßenblockaden, mehr als 40 Prozent finden den Protest legitim, eine große Mehrheit der Deutschen ist für angemesseneren Klimaschutz und alle wollen, dass wir auch in Zukunft noch Wasser, Essen und Frieden haben. Dann haben wir uns gefragt: Wenn da so eine Masse an Leuten ist, die das legitim und gerechtfertigt findet, warum sind diese Menschen nicht Teil unserer Proteste?

Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?

Dass viele eingeschüchtert sind von Repressionen, die sie bei den Protesten erwarten könnten und von dem Bild, das die Medien von der "Letzten Generation" präsentieren. Und dass wir noch mehr Möglichkeiten bieten müssen, sich auch neben einem normalen Leben, neben der Arbeit, der Familie, am Widerstand gegen den Status quo "weiter so" zu beteiligen.

Aber auch die neue Protestform bleibt ein Eingriff in den Straßenverkehr. Die Menschen müssen also weiter mit Repressionen rechnen. Warum sollten sie jetzt weniger Angst davor haben?

Dass Menschen Angst vor Repressionen haben, ist nur logisch. Ich habe das auch. Aber es werden keine Repressionen folgen, wenn man auf die Straße geht, sich versammelt und dann der Polizei Folge leistet und auch wieder von der Straße runtergeht. Wie der Staat darauf reagiert, wenn ganz viele Leute einfach nicht mehr von der Straße gehen wollen, das können wir noch nicht genau sagen. In Den Haag in den Niederlanden hatte das Erfolg und hat die Regierung letztendlich zum Einlenken gebracht.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass auch wirklich viele Menschen an den Störungen teilnehmen?

Jede und jeder ist dazu aufgerufen, teilzunehmen. Ja, das Klima ist beschissen, vielleicht sogar aussichtslos, wir wissen nicht genau, ob es schon zu spät ist. Aber eins ist sicher: Es ist nie zu spät, für eine gerechtere Sache zu kämpfen. Wir werden auch medial ankündigen, an welchem Ort die Versammlungen stattfinden werden. Die "Letzte Generation" ist mittlerweile mit zig bis Hunderten Menschen in größeren und kleineren Städten vertreten und alle Leute sind angehalten, von außen einfach dazuzukommen, sich auszutauschen und sich von neuem die Frage zu stellen: Ist das etwas, was ich machen kann?

Kündigen Sie Proteste nun also immer an?

Die Ankündigungen gelten für die ungehorsamen Versammlungen, wo neue Leute mobilisiert werden. Es wird aber auch weiter Proteste geben, die nicht angekündigt werden. Sie sollen an kritischen Orten stattfinden, wo Ungerechtigkeiten ganz klar sichtbar sind.

Woran denken Sie dabei konkret? Bisher haben Sie Privatjets, Jachten und Luxusläden mit Farbe attackiert oder politische Veranstaltungen gestört.

Genau, bei den Protesten soll ein direkter Bezug zum Unrecht hergestellt werden können. Mit welchen Mitteln genau, können wir jetzt noch nicht sagen – das wird sich zeigen. Aber es wird auch noch eine Pressekonferenz am 11. März geben. In Zukunft wollen wir Politiker direkt konfrontieren, zur Rede stellen und an den Orten des Unrechts präsent sein.

Wird es also bis zum 11. März keine weiteren Proteste geben?

Doch. Wir können nicht damit warten, von unseren Politikern einzufordern, dass sie endlich sozial gerechte Politik im Wohle der ganzen Gesellschaft machen, jetzt, wo es dringlicher denn je wird. Deswegen planen wir weitere Proteste, wie zum Beispiel die Konfrontation letzten Mittwoch von Friedrich Merz auf der Grünen Woche. Die Medien bringen menschenfeindliche und faschistische Vorhaben ans Licht. Eine eskalierende Klimakatastrophe bringt immer mehr Unsicherheiten und ist der Nährboden für immer stärker werdenden Faschismus. Deshalb brauchen wir in diesem Jahr so viel Widerstand wie wohl noch nie zuvor. Der Widerstandsgeist, der jetzt in vielen erwacht ist, muss aufrechterhalten werden.

Wie genau wollen Sie Politiker zur Rede stellen?

Ein gutes Beispiel ist das schon genannte mit Friedrich Merz bei der Grünen Woche. Es geht darum, in der Öffentlichkeit Politiker bei Veranstaltungen direkt zur Rede zu stellen und sich aber auch nicht zur Seite schieben zu lassen. Ihnen müssen konkrete Fragen gestellt werden, weil wir immer wieder merken, dass sie um den heißen Brei herumreden. Zum Beispiel: Wie schaffen wir es, aus den fossilen Energien bis 2030 auszusteigen? Wir wollen die Leute im Saal darauf aufmerksam machen, wie die Politiker darauf reagieren.

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Und Sie glauben wirklich, dass Sie damit Politiker zu klaren Antworten zwingen können? Bisher hat das auch nur bedingt funktioniert.

Es geht um das Konfrontieren mit sich selbst und ja, ich habe große Hoffnung, dass das funktioniert. Durch die Bekanntheit der "Letzten Generation" fühlen sich Politiker dazu verpflichtet, zu reagieren. Friedrich Merz hat sich nach der Aktion bei der Grünen Woche in den sozialen Medien vor die Kamera gestellt und ist auf diesen Protest immerhin eingegangen. Bei der Gruppe "Climate Defiance" in den USA haben diese Konfrontationen gut funktioniert. Und wir arbeiten mit den Vorbildern anderer Widerstandsbewegungen. Joe Biden hat die ausstehenden Genehmigungen für den Export von LNG gestoppt, das ist ein Riesenerfolg für alle, die so lange Widerstand dagegen geleistet haben.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Lina Johnsen, Sprecherin der "Letzten Generation"
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