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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Letzte Generation und Lufthansa "Auf keinem Schulhof ließe man das durchgehen"
Die Lufthansa will von der "Letzten Generation" Schadenersatz, die Gruppe macht einen Gegenvorschlag. Wie sinnvoll ist dieser?
Mitglieder der Gruppe "Letzte Generation" haben der Lufthansa nach Schadenersatzforderungen wegen Protestaktionen ein "Angebot" gemacht: Sie seien bereit, die geforderten 740.000 Euro Schadenersatz zu zahlen, teilten die Klimaaktivisten am Montag mit. Im Gegenzug müsse die Lufthansa die jährlichen sozialen Kosten des CO2-Ausstoßes begleichen. Diese liegen nach Darstellung der Aktivistinnen und Aktivisten bei rund sechs Milliarden Euro pro Jahr. Mehr dazu lesen Sie hier.
Ein vernünftiger Vorschlag oder kompletter Unsinn?
Endlich mal eine vernünftige Aktion
Endlich, möchte man fast sagen. Endlich kommen die Aktivisten der "Letzten Generation" mal mit einem vernünftigen PR-Gag um die Ecke. Während das Festkleben an Straßen oder das Beschmieren von Bildern mit Farbe vor allem Wut und Unverständnis erzeugen, legen sie zur Abwechslung mal den Finger in die richtige Wunde.
Dass Flugreisen einen großen Teil zu den weltweiten Emissionen beitragen, ist unbestritten. Doch bislang mussten sich die großen Airlines kaum darum scheren. Zwar müssen sie für Flüge innerhalb der EU Verschmutzungsrechte erwerben, doch diese wurden ihnen bislang weitgehend umsonst zugeteilt. Das wird sich nach einem EU-Entscheid zwar in den nächsten Jahren schrittweise ändern, allerdings nur für Flüge innerhalb der Staatengemeinschaft. Flüge auf andere Kontinente bleiben davon unberührt.
Kurz: Die, die verschmutzen, müssen sich um ihren Dreck nicht kümmern. Das Verursacherprinzip ist also außer Kraft gesetzt. Auf keinem Schulhof ließe man das durchgehen, im internationalen Flugwesen aber ist es gang und gäbe.
Natürlich wird sich die Lufthansa nicht auf den Vorschlag der "Letzten Generation" einlassen, warum auch. Rechtlich dürfte sie mit ihrer Schadenersatzforderung auf der sicheren Seite stehen. Ein wenig ironisch aber ist es schon, dass die "Letzte Generation" nun die Argumentation der Lufthansa umdreht, nach dem Motto: Wenn wir unseren Schaden begleichen sollen, müsst ihr auch euren begleichen.
Damit sich etwas ändert, braucht es Druck und Aufmerksamkeit. Und wenn die Airlines so gezwungen werden, endlich mehr Ressourcen in die Erforschung von klimafreundlicheren Treibstoffen zu stecken, könnten sie am Ende sogar selbst davon profitieren.
Vom Klebstoff vernebelt
Wer an der Debatte kein Interesse mehr hat, der flüchtet sich ins Absurde. Kann man immer wieder beobachten: auf der Straße, im Teammeeting, im Vereinsheim, in den sozialen Medien. Wenn dieser Punkt erreicht ist, spielt die Sache selbst keine Rolle mehr. Die Erfahrung zeigt: An diesem Punkt kann man jede ernsthafte Auseinandersetzung auch freundlich, aber bestimmt beenden.
Die "Letzte Generation" hat diesen Punkt schon lange erreicht. Und sie will ihre letzte Verteidigungslinie mit aller Gewalt halten – die Verhöhnung aller anderen, um den Diskurs zu beenden. Die Airlines haben legitime Forderungen: Für die rechtswidrige Blockade des Flugbetriebs, für den Umsatzausfall abgesagter Flüge, für ihren administrativen Aufwand verlangen sie Schadenersatz.
Wenn die "Letzte Generation" die Zahlung des Schadenersatzes an Bedingungen knüpft, dann sagt sie damit: "Wir entscheiden, ob wir Schadenersatz leisten". Das ist ein Trugschluss. Darüber werden Gerichte entscheiden. Denn: So richtig einige der Forderungen der Aktivisten auch sind, so nötig die Debatte über Klimaschutz auch ist: Wer sich über das Gesetz stellt, der hat den Rahmen der demokratischen Debatte verlassen. Und darf sich nicht beschweren, wenn sie künftig ohne ihn geführt wird.
Wenn die "Letzte Generation" zudem "vorschlägt", die Lufthansa müsse sechs Milliarden Euro (!) für "jährliche soziale Kosten des CO2-Ausstoßes" berappen, dann ist alleine die Forderung ein – verzeihen Sie bitte – ausgestreckter Mittelfinger ins Gesicht all jener, die mit ihr noch ernsthaft debattieren wollen. Die Lufthansa hat im Jahr 2022 einen Gewinn von 791 Millionen Euro ausgewiesen. Wenn ein paar Aktivisten nun eine – grob geschätzt – achtmal so hohe Fantasieforderung erheben, dann ist das ein Witz. Ein kalkulierter. Der zielt auf ein paar lässige Likes bei Social Media ab, aber nicht auf eine ernsthafte Klimadebatte.
Eine solche Klimadebatte aber müssten wir führen in Deutschland. Was ist uns Klimaschutz wert? Wie viel sind wir – jeder einzelne – bereit, an persönlicher Freiheit und finanzieller Unabhängigkeit zu opfern, um die Erderwärmung aufzuhalten? Das ist die Debatte, die zu führen sich lohnen würde. Die über die Zukunft entscheiden kann. Wer sich von ihr mutwillig verabschiedet, dem ist offenbar der Sekundenkleber zu Kopf gestiegen.
- Eigene Recherche