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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Blind am Boden des Ozeans" Wie sicher ist die "Titan"? Mängel waren seit Jahren bekannt
Die Suche nach der "Titan" im Atlantik geht weiter. Ein Bericht wirft neue Fragen zur Sicherheit des Tauchboots auf.
Die Suche nach dem Tauchboot "Titan", das fünf Passagiere zu den Wrackteilen der "Titanic" bringen sollte, geht weiter. Ein neuer Bericht wirft indes heikle Fragen auf: Führungskräfte der Tauchboot-Industrie hatten einem Artikel der "New York Times" (NYT) zufolge bereits 2018 Sorgen bezüglich der Sicherheit der "Titan".
"Wir befürchten, dass der aktuelle experimentelle Ansatz von OceanGate zu negativen Ergebnissen führen könnte (von geringfügig bis katastrophal)", schrieben sie in dem Brief, den die Zeitung veröffentlichte. Darin wird dem Betreiber OceanGate unter anderem irreführendes Marketing vorgeworfen. Chef Stockton Rush, der sich derzeit ebenfalls an Bord befinden soll, wurde dazu aufgerufen, die "Titan" von einer unabhängigen Partei auf gängige Industriestandards zu testen.
"Ihre Darstellung ist zumindest für die Öffentlichkeit irreführend und verstößt gegen einen branchenweiten beruflichen Verhaltenskodex, den wir alle aufrechtzuerhalten versuchen", ist in dem Brief zu lesen.
Fehlende Beurteilung der Sicherheit durch Behörden
Die "New York Times" schreibt, es sei unklar, ob OceanGate auf den Brief geantwortet habe. In einem Blogbeitrag aus dem Jahr 2019 argumentierte das Unternehmen demnach, dass es daran gearbeitet habe, Risiken zu minimieren. Aber eine Zertifizierung durch eine Handelsgruppe würde die Sicherheit nicht gewährleisten, da "Innovationen oft außerhalb des bestehenden Industrieparadigmas liegen."
Wie sicher die "Titan" wirklich ist, kann aufgrund der fehlenden Beurteilung durch staatliche Behörden nicht abschließend geklärt werden. Das Verschwinden des Bootes ist jedoch der erste größere Zwischenfall, seit das Tauchboot im Jahr 2019 in Betrieb genommen wurde. Lesen Sie hier, wie die Chancen zur Rettung des U-Bootes stehen.
Mitarbeiter äußerte Bedenken – und wurde angeblich gefeuert
Auch innerhalb des Unternehmens gab es dem "NYT"-Bericht zufolge schon 2018 Sicherheitsbedenken. Die Zeitung beruft sich bei ihren Informationen auf Gerichtsdokumente. Demnach habe ein ehemaliger Manager des Unternehmens, David Lochridge, einen vernichtenden Abschlussbericht zur "Titan" verfasst.
Das Boot benötige weitere Tests und berge potenzielle Gefahren für die Passagiere, sollte das Tauchboot extreme Tiefen erreichen. Lochridge habe das Unternehmen zu einer Zertifizierung des Bootes gedrängt, sei aber zurückgewiesen worden. Die Begründung sei gewesen, dass das Unternehmen nicht dafür zahlen wolle.
Lochridge arbeitete seit Mai 2015 für OceanGate, zunächst als unabhängiger Vertragspartner, dann als Leiter von Meeres-Einsätzen, wie aus den Gerichtsunterlagen hervorgeht. 2018 verklagte OceanGate ihn wegen Verletzung von Betriebsgeheimnissen. In einer Gegenklage warf Lochridge dem Unternehmen im Januar 2018 vor, ihn gefeuert zu haben, nachdem er "kritische Sicherheitsbedenken wegen des experimentellen und ungeprüften Designs der 'Titan'" geäußert habe.
OceanGate wollte sich auf Anfrage der "NYT" nicht zu den Berichten äußern. Der Vorsitzende des Unternehmens, Stockton Rush, war der Pilot an Bord des U-Boots, als es verschwand.
Ehemaliger Passagier erzählen Ungutes
Auch ein früherer Teilnehmer der Mission hat nach dem Verschwinden der "Titan" Kritik an dem Boot geübt. Der CBS-Journalist David Pogue fuhr im vergangenen Jahr mit der "Titan" zum Titanic-Wrack. "Im Inneren des Boots hat man etwa so viel Platz wie in einem Minivan", erklärte Pogue damals. In seinem Bericht er außerdem Bedenken über die Bauweise der "Titan": "Mir ist aufgefallen, dass viele Teile des U-Boots improvisiert zu sein scheinen", sagt der CBS-Journalist. "Viele Komponenten wirken wie normale Bauteile von der Stange".
Auch der US-Drehbuchautor Mike Reiss, der das "Titanic"-Wrack im vergangenen Jahr mit demselben Boot besucht hatte, schilderte der BBC sein Erlebnis. Der Kompass sei damals ausgefallen und habe sich nur noch wild gedreht, "wir mussten blind am Boden des Ozeans herumrudern". Vor Beginn der Fahrt hätten alle Teilnehmer einen Haftungsausschluss unterzeichnen müssen, in dem schon "auf der ersten Seite dreimal das Wort Tod vorkommt".
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Das Tauchboot ist speziell für Touristen gebaut. Wirklich bequem ist es aber nicht. Die Reisenden, die hohe Summen für das Abenteuer bezahlen, müssen auf dem Boden sitzen. Raum für Bewegung lassen die Maße nicht zu, berichtete unter anderem die BBC.
Das gewölbte Bullauge an der Vorderseite soll den Blick auf die "Titanic" ermöglichen. Starke Scheinwerfer an der Außenseite durchbrechen das pechschwarze Wasser in rund 3.800 Metern Tiefe und beleuchten das Wrack. In der Tiefe des Atlantiks kann es sehr kalt werden. Deshalb sind die Wände beheizt.
Einmal von der Startplattform gelöst, erreicht das Tauchboot mithilfe von vier elektrischen Triebwerken eine Geschwindigkeit von bis zu 5,56 km/h. Um dem enormen Wasserdruck in der Tiefe standzuhalten, verfügt das etwa 10,4 Tonnen schwere Boot über einen fünf Zoll dicken Rumpf aus Kohlefaser, der dem Luft- und Raumfahrtstandard entspricht und mit zwei gewölbten Endkappen aus Titan verstärkt ist.
Die Ortung ist schwierig: In diesen Tiefen funktioniert das GPS-Signal nicht mehr. Stattdessen hilft ein Akustiksystem namens Ultra Short Baseline, mit dem sich die "Titan" mit dem Mutterschiff austauscht. An Bord steuert der Pilot anhand dieser Anweisungen dann mit einem verstärkten Videospiel-Controller.
- nytimes.com: "OceanGate Was Warned of Potential for ‘Catastrophic’ Problems With Titanic Mission" (englisch, kostenpflichtig)
- Mit Material der Nachrichtenagenturen afp und dpa
- cbsnews.com: "David Pogue" (englisch)