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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Das ist eine Katastrophe" Skandal auf Putins Lieblingsbühne

Keine Technik, kein Charakter, plump und vulgär: So beschreiben Fachleute den Auftritt der jungen Maria Schuwalowa am Bolschoi-Theater. Ein Skandal in der Ballettwelt.
Das Bolschoi-Theater in Moskau ist eine Institution. Nicht nur in Russland – weltweit gilt seine Bühne als ein kulturelles Heiligtum. Das Theater ist das Zuhause des größten Balletts der Welt. Wer es in diese Truppe geschafft hat, dem stehen alle Bühnen dieser Welt offen. Ein Engagement im Bolschoi gilt als Ritterschlag. Das Bolschoi verkörpert russische Kultur, Geschichte – und den Traum vom Aufstieg in die Weltelite des Balletts. Wer als Primaballerina auf die Bühne treten darf, gehört zur Crème de la Crème der internationalen Tanzszene.
Diesen Ritterschlag sollte nun die junge Tänzerin Maria Schuwalowa bekommen. Am 27. März trat sie zum ersten Mal in einer Hauptrolle auf. Im Ballett "Anjuta" feierte sie ihr überraschendes Solistinnen-Debüt. Doch die Ballettwelt reagierte entsetzt.
"Mal ist es plump, mal vulgär"
Die Ballerina und Choreografie-Lehrerin des Bolschoi-Theaters Anna Russkich stellte ein vernichtendes Urteil aus. "Keine Technik, kein Charakter … Mal ist es plump, mal vulgär, mal nicht im Einklang mit der Musik, und fast überall sind die Bewegungen nicht zu Ende ausgeführt. Auf der Bühne muss man auch gehen können", schrieb sie in ihrem Blog. Sie sei vom Geschehen auf der Bühne schockiert. "Stiller Horror", fügte die lang gediente Ballerina hinzu, die 1987 die heutige Moskauer Staatliche Akademie für Choreografie abgeschlossen hat.
"Während der gesamten Aufführung hatte ich das Gefühl, dass eine fleißige Schülerin auf der Bühne steht, die versucht, sich daran zu erinnern, welche Kombination als Nächstes kommt und … auf den Beinen zu bleiben. Letzteres hat nicht immer geklappt", so die Choreografin.
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"Das ist eine grundsätzliche Abwertung der Kunst"
Ähnlich entsetzt kommentierte auch die Autorin des Telegram-Kanals "Priwjet, eto ballet" (Hallo, es ist Ballett), das Debüt von Schuwalowa als Bolschoi-Solistin. "Die Auswahl in diesem Beruf sollte ausschließlich aufgrund professioneller Fähigkeiten erfolgen. Insbesondere für die Bühne des Bolschoi-Theaters, dem wichtigsten Theater des Landes. Für mich ist so etwas eine grundsätzliche Abwertung der Kunst", schrieb sie. Vor allem durch Leute in Leitungspositionen. "Das ist eine Katastrophe", so ihr Urteil.
Dass Schuwalowa aufgrund ihrer Fähigkeiten die Hauptrolle in dem Zweitakter bekommen hat, bezweifeln auch viele Zuschauer. Zwar schloss sie 2017 ihr Studium an der Moskauer Staatlichen Akademie für Choreografie ab und wurde in die Truppe am Bolschoi-Theater aufgenommen. Doch seitdem tanzte sie dort nur kleine Partien im Corps de Ballett.
"Die reichste Ballerina der Welt"
Bekannt ist Schuwalowa aber als "die reichste Ballerina der Welt". Denn ihr Vater ist der russische Bankier und Politiker Igor Schuwalow. Im Mai 2018 wurde er von Waldimir Putin zum Vorsitzenden des staatlichen Kreditinstituts Wneschekonombank ernannt. Er gehörte über Jahre zum innersten Machtzirkel des Kreml. Zwischen 2003 und 2008 war er stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung. Anschließend, von 2008 bis 2018, diente er als Erster Stellvertreter des Ministerpräsidenten in der russischen Regierung.
Kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geriet Schuwalow ins Visier westlicher Strafmaßnahmen. Bereits am 23. Februar 2022 – einen Tag vor dem Einmarsch russischer Truppen – setzte die Europäische Union ihn auf ihre Sanktionsliste. Im März folgte auch die US-Regierung mit eigenen Sanktionen.
"Sie ist die Tochter des prominenten Putin-Lakaien"
Das hindert ihn aber offenbar nicht daran, seiner Tochter eine Hauptrolle auf der renommiertesten Bühne der Welt zu besorgen. In den sozialen Netzwerken tauchten schnell Vergleiche zwischen ihrer tänzerischen Darbietung und der angesehener Primas auf.
Im Video links ist die berühmte "Tarantella" zu sehen, aufgeführt von der großen sowjetischen Ballerina Ekaterina Maximowa. Rechts ist der gleiche Tanz zu sehen, den die Schuwalowa jetzt auf der Bühne des Bolschoi aufgeführt hat. "Himmel und Erde", lautet der Kommentar zu den beiden Aufnahmen. "Aber Schuwalowa hat einen wichtigen Vorteil. Sie ist die Tochter des prominenten Putin-Lakaien Igor Schuwalow. Und deshalb steht sie auf der Bühne des Bolschoi. Die absolute Degradierung im Putinismus ist offensichtlich."
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Dass russische Politiker und Geschäftsmänner ihren Kindern hohe Positionen verschaffen, für die sie nicht qualifiziert sind, ist nichts Neues. Putin selbst geht mit bestem Beispiel voran. Seine langjährige First Lady, Alina Kabajewa, ist seit 2014 Vorsitzende des Verwaltungsrates der Nationalen Mediengruppe (NMG). Von Beruf ist die versteckte Lebensgefährtin des Kremlchefs Sportgymnastin.
Doch auf einer Bühne werden fehlende Qualifikationen offensichtlich. Die Hälfte der vorgesehenen Tanzelemente lässt Schuwalowa schlicht aus. Die Fouette am Ende der "Tarantella" wird durch eine Diagonale aus viel einfacheren Pirouetten ersetzt, die auch noch nicht optimal ausgeführt sind. Das Orchester ist zudem gezwungen, das Tempo zu verlangsamen, damit Schuwalowa mitkommt.
Putin-Vertrauter regiert das Bolschoi-Theater
Dass auch im Bolschoi-Theater längst die Politik regiert, ist spätestens seit der Ernennung des Dirigenten Waleri Gergijew zum Generaldirektor offiziell. Gergijew gilt als Vertrauter von Putin und übernahm das Amt von Wladimir Urin, der sich gegen den Ukraine-Krieg ausgesprochen hatte.
Urin hatte sich zwei Tage nach Kriegsbeginn gemeinsam mit anderen Kulturschaffenden öffentlich gegen den russischen Angriffskrieg gewandt. Er hatte das renommierte Haus seit 2013 geleitet. Das Bolschoi-Theater steht seit Beginn des Kriegs unter Druck. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler verließen das Ensemble und Russland – freiwillig oder unter Zwang.
- dzen.ru: "Новость на Dzen – Z-Zv4wVYx0c664GO" (Russisch)
- meduza.io: "Дочь Игоря Шувалова получила главную партию в балете Большого театра. Ее выступление назвали обесцениванием искусства" (Russisch)
- br-klassik.de: "Wladimir Urin verlässt Bolschoi-Theater Moskau"
- stiletto.blog: "Мария Шувалова и Большой театр" (Russisch)
- echofm.online: "Портрет дня: Мария Шувалова – дочь Игоря Шувалова и солистка Большого театра" (Russisch)