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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schüler entwickeln Konzepte für Schultoiletten "Da muss ich ganz neidlos sagen, Chapeau!"
Um Deutschlands Schultoiletten steht es schlecht. Deshalb ist in Berlin zu einem Toiletten-Gipfel gerufen worden.
Ein ratterndes Grummeln, ein Zischen – betretenes Schweigen. Es klingt nicht nur wie ein Furz, was da gerade im Raum für soziales Miteinander in Berlin-Kreuzberg zu hören war, es ist auch einer. Durch Lautsprecher verstärkt entfleuchte er jedoch nicht dem Moderator, der auf einer Bühne steht, sondern seinem Tablet. Damit eröffnete er stilgerecht in Berlin den 1. Deutschen Schultoiletten-Gipfel. Höhepunkt der Veranstaltung ist die Siegerehrung des Wettbewerbs "Toiletten machen Schule".
Was sich für manchen erst einmal kurios anhören mag, hat einen ernsten Hintergrund. Der Zustand vieler Schultoiletten in Deutschland ist so schlecht, dass er sich bereits auf das Wohlbefinden der Schüler auswirkt, wie eine von der German Toilet Organization (GTO) beauftragte Studie zeigt: Rund zwei Drittel der Schüler in Berlin benutzen die Toiletten in der Schule gar nicht.
Dabei ist das stille Örtchen in der Bildungseinrichtung nicht nur für die Initiatoren, sondern auch für die anwesenden Vertreter aus Schulen und Politik mehr als nur eine sanitäre Einrichtung.
Der 1. Deutsche Schultoiletten-Gipfel
Bei dem Gipfel kamen 140 Experten sowie Akteure aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung zu einem Dialog zusammen. Ziel war es, die Toiletten-Situation an deutschen Schulen zu verbessern und einen Austausch der verschiedenen Akteure zu ermöglichen.
Schüler entschieden selbst, was sich ändern muss
Thilo Panzerbieter, der Geschäftsführer der GTO, ist überzeugt: "Auf der Schultoilette lernen Kinder das erste Mal Demokratie und Eigenverantwortung." Mit Demokratie sind die Toiletten auch auf der Hellweg Realschule in Unna eng verbunden – doch das war nicht immer so. Hendrik Simon aus der 8a sagt: "Früher waren die Toiletten schäbig, es gab sehr viel Vandalismus und die Ausstrahlung war sehr depressiv."
Das änderten die Schüler zu Beginn des Jahres mit ihrer Teilnahme am Wettbewerb "Toiletten machen Schule": Gemeinsam haben sie in einer Vollversammlung Ideen gesammelt, wie die Toiletten verändert werden sollen. Agata Koszucka aus der 8c berichtet: "Wir haben uns beispielsweise darauf geeinigt, dass neu gestrichen wird – es war auch dringend notwendig, weil auf den Toiletten mit Gurken und Broten geworfen wurde, was hässliche Flecken hinterlassen hat." Mit dem entstandenen Konzept gewannen die Schüler, gemeinsam mit zwei weiteren Schulen, den Wettbewerb.
Die Auswirkungen von vernachlässigten Schultoiletten gehen weit über eine unangenehme Erfahrung beim Toilettengang hinaus. Dirk Heyartz, der Vorstandsvorsitzende des Bundeselternrats, sagt im Gespräch mit t-online, dass viele Eltern schlechte Toiletten zwar aus der eigenen Schulzeit kennen würden, trotzdem erfahre das Problem noch zu wenig Aufmerksamkeit: "Wie sollen Kinder einen optimalen Zugang zu Bildung bekommen, wenn sie den ganzen Tag mit dem Problem der Notdurft beschäftigt sind?" Denn viele Schüler mieden aus Ekel die Schultoilette.
Wettbewerb 2024: Toiletten machen Schule
136 Schulen aus 14 Bundesländern haben mit ihren Toiletten-Konzepten an dem Wettbewerb teilgenommen. Drei von ihnen wurden von einer Jury als Sieger-Schulen auserkoren. Außerdem wurden sieben weitere Schulen als Sonderpreisträger ausgezeichnet.
Der Wettbewerb hat das Ziel, die Toiletten in den Schulen nachhaltig zu verbessern. Unterstützt wird der Wettbewerb von verschiedenen Privatunternehmen sowie der Bundesschülerkonferenz und dem Bundeselternrat.
Wie tiefgreifend das Problem ist, zeigt eine Studie der GTO. Jeder zweite Schüler hat laut dieser "schon einmal weniger gegessen oder getrunken, um nicht auf die Schultoilette gehen zu müssen". Aber nicht nur auf die Ernährung kann eine schlechte Toilettensituation negative Auswirkungen haben. Das verdeutlichte der Mediziner Dietrich Grönemeyer auf dem Gipfel in Berlin: "Wenn die Kinder in der Schule nicht auf die Toilette gehen, sondern einhalten, befördert das Krankheiten wie Darmentzündungen oder Harnwegsinfektionen."
Die Taten kamen von den Schülern
Bis zur Renovierung war das auch ein Problem an der Hellweg Realschule in Unna. Rojhat Sener, Mitglied der Schülerverwaltung in Unna berichtet: "Da wollte keiner hin und jeder hat ausgehalten, bis man zu Hause war." Das hat sich seit der Überarbeitung der Toilette geändert. Die Toilette in Unna hat sogar eine extra "Diskobeleuchtung", das war den Schülern ebenso wichtig wie das Thema Fußball. In der neuen Toilette gibt es deshalb auch leuchtende Fußballsticker an der Decke, berichten die Schüler.
Dass die Schüler bei den verschiedenen Konzepten im Wettbewerb "Toiletten machen Schule" so viel Initiative gezeigt haben, hat Heyartz, der Teil der Jury war, besonders gut gefallen: "Wir Eltern haben den Fokus nur auf Stress gelegt und diskutieren und nicht auf Taten – die kamen von den Kindern. Da muss ich ganz neidlos sagen, Chapeau!" An der Siegerschule in Unna geht das Schülerengagement sogar über den Wettbewerb hinaus. Damit die renovierte Toilette ein Wohlfühlort für alle bleibt, sorgen die Schüler mit freiwilligen Klodiensten selbst für Sauberkeit. Während der Dienste achten sie in den Pausen darauf, dass die Verhaltensregeln, die sie ebenfalls selbst festgelegt haben, eingehalten werden.
Bundeselternrat fordert mehr Geld
Die Realschule in Unna erhält ebenso wie die Grundschule an der Stielerstraße in München und das Gymnasium Winsen rund 10.000 Euro als Prämie für den Gewinn des "Toiletten machen Schule"-Wettbewerbs. Heyartz hofft, dass es vonseiten der Politik auch bald flächendeckend mehr Geld für die Sanitäreinrichtungen in Schulen geben wird: "Natürlich brauchen wir mehr Geld. Aber die Ampelregierung hat bereits das Startchancenprogramm auf den Weg gebracht – ich hoffe, dass dieses im Bereich Schulbau auch Toiletten einbezieht."
Auf dem Schultoiletten-Gipfel in Berlin erhielt das Vorhaben Zuspruch aus der Politik. Die SPD-Abgeordnete Bärbel Kofler wendete sich ebenso wie die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Christine Streichert-Clivot, in einem Grußwort an die Teilnehmer des Gipfels. "Auf einer Schule lernt man so viel mehr als nur im Unterricht.
Unsere Schulen müssen Orte sein, an denen man sich wohlfühlt. An den Schultoiletten zeigt sich Respekt vor anderen und Eigenverantwortung", so Streichert-Clivot. "Der Kultusministerkonferenz ist es deshalb ein Anliegen."
- Eigenes Erleben