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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Jugendliche in Deutschland 2024" Die Stimmung kippt
Die Corona-Pandemie belastete junge Menschen stark. Doch auch Jahre nach dem Ereignis bleibt die Lage angespannt, so die Ergebnisse einer neuen Studie.
Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, eine wirtschaftlich angespannte Lage und die Klimakrise: Diese Themen beunruhigen viele junge Menschen. Das ist das Ergebnis der Studie "Jugend in Deutschland 2024". "Die junge Generation in Deutschland ist so pessimistisch wie noch nie", teilen die Autoren mit. Für ihre Studie hatten sie in einer repräsentativen Online-Befragung 2.042 Personen im Alter von 14 bis 29 Jahre um Antworten gebeten.
Im Vergleich zu früheren Erhebungen scheine die Stimmung zu kippen, so die Studienautoren. Das Ausmaß von psychischen Belastungen wie Stress (51 Prozent) und Erschöpfung (36 Prozent) sei weiter hoch. Auch nach der Corona-Pandemie habe sich dies nicht gebessert. Das könnte einen bestimmten Grund haben: "Jugendliche mit einer hohen täglichen Bildschirmzeit am Smartphone haben nach eigenen Angaben deutlich stärker mit psychischen Belastungen zu kämpfen", heißt es in der Studie. Ob das auch mit den Nachrichten zu tun hat? Diese lesen 57 Prozent der Befragten über soziale Medien und 38 Prozent über Onlinemedien. Ebenfalls bei 38 Prozent liegen Fernsehsendungen.
Studienautor Kilian Hampel warnt aber davor, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Smartphone und den mentalen Problemen zu sehen: "Wenn ich krank bin, bin ich auch mehr am Handy, weil ich nicht hinausgehen kann", sagte Hampel am Dienstag auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der Studie. Viele sehen ihre Handynutzung aber durchaus kritisch: 53 Prozent antworteten, dass sie das Smartphone mehr nutzen, als es ihnen lieb ist. 34 Prozent sprechen bei ihrer Smartphonenutzung von Sucht, so Hampel.
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Neben der Psyche machen sich die Befragten Sorgen um ihren Wohlstand. Sie gehen davon aus, dass sich die wirtschaftliche Situation Deutschlands verschlechtern wird. Es gebe eine tief sitzende Verunsicherung, sagt Schnetzer. Viele glaubten nicht, dass sie ihre persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen beeinflussen können.
"Die Aussicht auf ein gutes Leben schwindet", so Schnetzer. Vor allem die Inflation (65 Prozent), teurer Wohnraum (54 Prozent) und Altersarmut (48 Prozent) haben die jungen Menschen als Antworten genannt. Schnetzer fordert gesellschaftliche Akteure deshalb dazu auf, die junge Generation "für eine positive Vision im Land" zu begeistern.
Verantwortung nur unter bestimmten Bedingungen
Dabei seien die Befragten durchaus dazu bereit, Verantwortung für die Zukunftsgestaltung zu übernehmen. 45 Prozent stimmen der Aussage zu, dass sie für den Wohlstand in Deutschland Verantwortung tragen werden. 63 Prozent sind sich bewusst, für den künftigen Wohlstand des Landes verantwortlich. Schnetzer sieht auch oft genannte Vorwürfe gegenüber jungen Menschen, dass sie zum Beispiel faul und respektlos seien, nicht bestätigt. 70 Prozent der Befragten machen die Arbeit eigenen Angaben zufolge gerne.
Der Unterschied zu anderen Generationen: Sie wollen dies nur unter bestimmten Bedingungen machen. Das sei vor allem bei den Arbeitsbedingungen im Beruf zu merken. Arbeitsweisen der älteren Generation werden etwa infrage gestellt. So erwarten die Befragten zudem Reformen in der Bildung, der Politik und der Wirtschaft. "Die Demografie spielt ihnen in die Karten", so der Studienleiter. Entsprechend träten junge Menschen selbstbewusst auf dem Arbeitsmarkt auf. Dazu gehöre auch die Forderung nach einer stärkeren Work-Life-Balance. Sie wüssten nicht, wie die Lage in fünf Jahren aussieht. Entsprechend wollten sie das Leben im Hier und Jetzt genießen, sagt Schnetzer.
Kritik am Status Quo
Stefanie Jovanovic (25), Informatikerin und Gewerkschafterin, kritisierte auf der Pressekonferenz: "Wir werden als Jugend nicht gehört." Einerseits bestehe der Wunsch, dass junge Menschen sich beteiligen. Andererseits würden Vorschläge nicht berücksichtigt.
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Nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung plagt junge Leute. Auch die Klimakrise beschäftigt sie. 45 Prozent sind der Meinung, dass Deutschland nicht ausreichend Klimaschutz betreibt. Selbst verzichten will jedoch nur eine Minderheit. Stattdessen werden strukturelle Veränderungen gefordert. Diese seien der wirkungsvollste Hebel gegen den Klimawandel, so die Befragten.
Generell sei die Unzufriedenheit sowohl mit der eigenen Lebenssituation als auch mit den politischen Verhältnissen sehr hoch. So zeigten sich 49 Prozent besorgt über die Spaltung der Gesellschaft. 41 Prozent sind durch eine Zunahme weiterer Geflüchteter beunruhigt. Das liege auch daran, dass sich das Potenzial für rechtspopulistische Einstellungen bei jungen Menschen deutlich verstärkt hat im Vergleich zu vorherigen Befragungen.
"Wir können von einem deutlichen Rechtsruck in der jungen Bevölkerung sprechen", sagt Klaus Hurrelmann, Wissenschaftler an der Hertie School in Berlin. Der Aussage "Der Staat kümmert sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche" stimmen 30 Prozent der Befragten voll und ganz zu, weitere 21 Prozent stimmen ihr eher zu. "Während die Ampelregierung in der Gunst immer weiter absinkt, hat die AfD besonders großen Zulauf", erklärt der Bildungsforscher.
Das liege vor allem an der Präsenz der AfD auf TikTok. Andere Parteien seien dort nicht so aktiv. "Welch ein Versäumnis!", so die Autoren der Studie. Schülerin Louisa Charlotte Basner, Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, sieht hierbei dringenden Nachholbedarf in Sachen Medienkompetenz. Diese bräuchten junge Menschen, bevor sie in den sozialen Medien aktiv werden.
Mit 22 Prozent liegt die AfD bei den 14- bis 29-Jährigen vorne, vor der CDU/CSU (20 Prozent) und den Grünen (18 Prozent). Kilian Hampel schränkt jedoch ein: Der größte Teil der Befragten hat keine Partei genannt, wurde bei den Zahlen entsprechend nicht berücksichtigt. Deshalb seien die Angaben nicht mit einer Wahlprognose gleichzusetzen, sagt Klaus Hurrelmann.
Hampel sieht daher "dringenden Handlungsbedarf". Kritik vonseiten der Jugend gibt es auch an der mangelnden Digitalisierung in der Schule und der Wirtschaft. "Außerdem beklagen sie, dass ihre schulische Ausbildung sie zu wenig auf das wirkliche Leben und die Arbeitswelt vorbereitet", sagt Hampel.
Ist das deutsche Bildungssystem noch zeitgemäß?
Lehrerin Julia Schneider erlebt es tagtäglich im Beruf: "Die Ergebnisse sind erschreckend, aber nicht überraschend", sagte sie auf der Pressekonferenz. Viele junge Menschen fühlten sich von Erwachsenen nicht gehört. Schneider kritisierte, dass das Bildungssystem nicht mehr zeitgemäß sei. Themen, die Jugendliche interessieren, wie Finanzbildung, Medienkompetenz und mentale Gesundheit spielten derzeit keine Rolle. Auch die Forderungen eines Smartphoneverbots in Zeiten von Künstlicher Intelligenz seien wenig hilfreich, so Schneider.
"Die Daten sind in Teilen erschreckend", sagt auch Louisa Charlotte Basner. Sie legt bei der Schule den Finger in die Wunde: "Schule trägt zum Stress bei", sagt die 17-Jährige. Sie fordert die Politik auf, mehr in Schulpsychologie und soziale Arbeit zu investieren.
"Jugendtypischer Optimismus" vorhanden
Immerhin einen positiven Aspekt sehen die Autoren: Ein "jugendtypischer Optimismus" bleibe bestehen. Trotz Sorgen erwarten die Befragten eine deutliche Verbesserung der Situation, vor allem im persönlichen Bereich.
Die Studie ist die siebte Trendstudie der Serie "Jugend in Deutschland". Sie erscheint seit 2020 und untersucht die Stimmung und Einstellung von jungen Menschen von der Schule bis zur Erwerbstätigkeit. Es gehe darum, zu erfassen, wie die 14- bis 29-Jährigen in Deutschland auf politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ereignisse im Zeitverlauf reagieren, schreiben die Autoren. "Im Vordergrund der aktuellen Studie steht die Frage, wie die junge Generation in Zeiten der vielen Krisen ihre Lebenssituation einschätzt und die Herausforderungen im politischen und wirtschaftlichen Bereich verarbeitet."
Die Befragten entsprechen der soziodemografischen Altersstruktur der deutschsprachigen Gesamtbevölkerung in Deutschland in der jeweiligen Altersgruppe. Die Befragung fand vom 8. Januar bis zum 12. Februar 2024 statt. Die Studie finanziert sich nach Angaben der Autoren ausschließlich durch Verkäufe.
- Pressemappe "Trendstudie: Jugend in Deutschland", PDF
- Online-Pressekonferenz am 23. April