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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sütterlin-Brief auf Digitalposten Bewerber foppt Preußen-Stiftung nach kurioser Stellenanzeige
Deutschlands größte Kultureinrichtung sucht einen Digitalprofi, der sich aber nur per Briefpost bewerben kann. Altertümlich? Ein Interessent hat die Herausforderung auf besondere Art angenommen.
Ein Berliner Journalist hat mit einer in Sütterlin geschriebenen Bewerbung auf eine scheinbar aus der Zeit gefallene Stellenanzeige der Stiftung Preußischer Kulturbesitz reagiert. Die vom Bund und den Ländern getragene Stiftung sucht eine Person, die im Social Web zu Hause ist. Wer durch Twitter, YouTube und Instagram wirbeln kann, muss allerdings die Bewerbungsunterlagen mit der Post schicken und darf keine E-Mail und keine elektronischen Datenträger nutzen.
Das Vorgehen ist durchaus zulässig, sagt Arnd Diringer, Professor an der Hochschule Ludwigsburg und dort Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht. "Aber erheiternd ist es auch, dass bei einer solchen sehr digitalen Stelle für eine große Institution dann Bewerbungen nur per Papier möglich sind."
Schrift galt von 1911 bis 1941
Das dachte auch Sebastian Pertsch, 37-jähriger freier Journalist, ausgebildeter Nachrichtenredakteur und Buchautor aus Berlin. "Sie ist vielleicht ein bisschen altbacken oder altehrwürdiger", sagt er. Er setzte mit seiner Bewerbung noch einen drauf.
Pertsch griff zum Füller und meldete sein Interesse für den ausgeschriebenen Posten als Social-Media-Redakteur*in in einer Schrift an, die 1941 verboten wurde und die kaum noch jemand lesen kann: Sütterlin.
"Ein bisschen spieße ich das Verfahren auf und trolle mit der Bewerbung", sagte Pertsch zu t-online.de. "Aber es ist ja nicht negativ, eigentlich stelle ich ja damit eine Verknüpfung zu der Stiftung her." Das Preußische Kultur- und Schulministerium hatte 1911 den Auftrag erteilt, eine für Schulanfänger geeignetere und einfachere Schrift zu entwickeln. Grafiker Ludwig Sütterlin setzte sich daran – und wurde zum Namensgeber.
Aus Gag wurde ernsthafte Idee
Von Pertsch war es zunächst nur als Witz gedacht, als er dann ein Foto mit dem Schriftzug "Internet" in Sütterlin twitterte. Doch ein paar Reaktionen später dachte er darüber nach, ob die Aufgabe nicht wirklich reizvoll sein könnte. "Das Thema ist spannend, es gibt sehr viel Sehenswertes, das man so präsentieren kann, das die Menschen noch mehr sehen wollen. Und die Kompetenzen habe ich." 3,8 Millionen Menschen besuchten im vergangenen Jahr die Museen der Stiftung, der Etat liegt bei gut 350 Millionen Euro.
Sein Anschreiben hat er dann trotzdem auf sechs in Sütterlin beschriebenen Seiten geschickt – und dabei noch einen Fehler gemacht. "Ich hatte nicht bedacht, dass es zwei Zeichen fürs kleine "s" gibt." Dass er mit der Schrift überhaupt etwas vertraut ist, verdankt er einer Lehrerin im fünften Schuljahr in der Evangelischen Grundschule. "Wegen eines Gedichts in Sütterlin haben wir auch die Schrift lernen müssen, ich hatte auch das Heft von damals noch."
Er muss nicht fürchten, dass die Bewerbung niemand lesen kann. In der Stiftung sind zahlreiche Mitarbeiter mit Sütterlin betraut, in ihren Archiven werden große Bestände an Dokumenten in der alten Schrift verwaltet. Pertsch sieht dennoch eine gewisse Gefahr, dass die Bewerbung wegen der ungewöhnlichen Form aussortiert wird. "Ich glaube aber, dass sie dort den Spaß mitmachen."
Stiftung will künftig beide Wege zulassen
Die Reaktion der Pressestelle drei Tage nach der Anfrage von t-online.de lässt darauf wenig Rückschlüsse zu. Keine Antworten auf die Fragen, ob man sich dort über die Aufmerksamkeit durch die Sütterlin-Bewerbung freut und wie viel Pionierarbeit mit der Stelle verbunden ist. Dafür ein Eingeständnis, dass digitale Bewerbungen sinnvoll sind.
"Bei den außergewöhnlich vielen Ausschreibungsverfahren und mitunter sehr vielen Bewerbungen werden wir in der Zukunft auf e-Recruiting setzen", erklärte ein Sprecher. Man werde "für einen Teil der Ausschreibungen insbesondere bei den IT- Berufen schon zeitnah beide Bewerbungsformen ausdrücklich anbieten." Es brauche dazu einen gewissen zeitlichen Vorlauf.
Papierbewerbungen oft aus Sicherheitsgründen
Arbeitsrechtsexperte Diringer kennt aus seiner Praxis sowohl Personalsuche über Matching-Plattformen mit automatisiertem Abgleich der Bewerberprofile mit den Stellenangeboten wie auch ausschließlich über Papier abgewickelte Bewerbungsprozesse. "Das ist rechtlich auch völlig in Ordnung, es liegt hier keine Diskriminierung irgendeiner Gruppe vor."
Die Erklärung sei oft recht einfach: "In Unternehmen mit kleinen Personalabteilungen sind manchmal die Zuständigen seit Jahrzehnten tätig und wenig weitergebildet." Vor allem kleinere Unternehmen entschieden sich aber aus Sicherheitsgründen für die Papierform: "Eine Bäckereikette mit wenigen Filialen hat oft nicht die IT-Kompetenz im Haus, um risikolos mit digitalen Dateien umzugehen."
- Eigene Recherchen
- Twitter-Account Sebastian Pertsch