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Schlumpf in Ribnitz-Damgarten: Mutter kennt wahren Grund für Polizeibesuch


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Polizeieinsatz bei Schülerin
Mutter äußert sich: "Dann hätten wir anders reagiert"


Aktualisiert am 20.03.2024Lesedauer: 4 Min.
"Deutsche" "Jugend" "voran": Ein von der Neonazi-Partei III. Weg besetzter Begriff in einer Story bei "Loretta", die in der Schule Polizeibesuch bekam.Vergrößern des Bildes
"deutsche jugend voran": Ein von der Neonazi-Partei III. Weg besetzter Begriff in einer Story bei "Loretta", die in der Schule Polizeibesuch bekam. (Quelle: Screenshots Telegram)

Große Aufregung um den Polizeibesuch bei einer Schülerin wegen ihrer TikTok-Postings. Die Mutter muss jetzt feststellen, dass es einen ernsten Grund dafür gab.

Den Schlümpfen reicht es – sie wollen nicht für politische Botschaften stehen: Der belgische Rechteinhaber wird offenbar gegen Rechtsverletzungen vorgehen, die es nach einem Vorfall an einem Gymnasium in Ribnitz-Damgarten zuhauf gibt. Jetzt ist auch klar, dass die Schlümpfe überhaupt nichts dafür können, dass der Schulleiter die Polizei rief und eine Schülerin von drei Beamten flankiert durchs Schulgebäude geführt wurde.

Annett B., Mutter der 16-jährigen Loretta, hat eines der kleinen blauen Wesen bislang in ihrem Account in einem Profil in einem sozialen Netzwerk und wird ihn herauswerfen. "Der Schlumpf ist unschuldig", sagt sie t-online. In der Öffentlichkeit ging es seit Tagen darum, dass ein Video mit Schlümpfen und Sympathie für die AfD Auslöser für den Polizeibesuch war. "Wir haben das bislang fest geglaubt", sagt die Mutter. Sie beklagt, dass die Familie jetzt als Lügner dastehe, weil das Vorgehen rund um den unangekündigten Polizeibesuch in der Schule so fragwürdig gewesen sei.

Mutter kennt Screenshots seit Dienstag

Weil die Familie Angst hat, dass sie wegen des Wirbels vielleicht Anwälte einschalten oder sogar umziehen muss, hat ein Freund eine Spendenaktion für sie eingerichtet. Auch die ist mit Schlumpfbild illustriert. "Ich lasse das austauschen", erklärt die Mutter t-online. "Es war nicht meine Idee, und ich sehe das auch etwas kritisch. Wenn wir das Geld hoffentlich nicht benötigen, wird es an eine gemeinnützige Organisation fließen."

Annett B. kennt seit Dienstag Screenshots aus dem Account, die der Auslöser für den Verdacht möglicher Bezüge ihrer Tochter zur Neonazi-Szene waren. "Davon wusste ich nichts", sagt sie. "Und so ist Loretta nicht, sie wollte provozieren."

Sie sagt: Ihre Tochter sei auch im Glauben gewesen, dass es um Schlümpfe und einen Beitrag mit Bezug zur Heimat in ihrem früheren gelöschten Account gegangen sei. Annett B. erklärt aber auch, sie könne nun "besser verstehen, dass man sich Gedanken gemacht hat. Aber wenn das ordentlich gelaufen wäre von Schule und Polizei, dann hätten wir auch gewusst, um was es geht und anders reagiert." Sie seien in ein offenes Messer gerannt.

Die Mutter hatte sich an die AfD-nahe "Junge Freiheit" gewandt und mit der Schilderung die Welle losgetreten, die sie selbst nicht kontrollieren kann. "Ich wollte, dass Konsequenzen gezogen werden und sich so etwas nicht wiederholt." Aus ihrer Sicht sei bei den Gesamtumständen mit geordneten Familienverhältnissen und keinen Auffälligkeiten in der Schule das Vorgehen völlig überzogen.

Zudem war die Rede vom Schlumpf-Video Auslöser dafür, dass der Rektor die Schülerin aus dem laufenden Unterricht drei vor der offenen Tür stehenden Polizisten holte. "Die Polizisten haben Loretta dann bei dem Gespräch gefragt, ob sie sich denken kann, um was es geht." Loretta habe das Schlumpfvideo genannt, "die Polizisten haben ihr nicht widersprochen".

Codes der Neonazi-Szene Teil der Postings

Dieses Video sei auch Monate nach dem Posten noch so präsent gewesen, weil Loretta vorher bei ihr nachgefragt habe, ob sie es abschicken könne. "Als sie dann an dem Tag von der Schule heimkam, hat sie sich zuerst entschuldigt, dass sie wegen der Schlümpfe Ärger hat. Wir sind alle davon ausgegangen, dass das der Grund ist." Sie habe deshalb auch die Polizisten nicht gezielt gefragt, als diese sich am selben Tag noch meldeten. B.s Schilderung widerspricht klar der Darstellung der Polizei in einer Pressemitteilung, wonach der "Einsatzanlass umfassend dargelegt" wurde.

Tatsächlich hatte der Hinweis an die Schulleitung einen anderen Inhalt: Screenshots von Accounts der Schülerin zeigen Postings mit Botschaften, die als Codes der Neonazi-Szene genutzt werden – aber in weiten Teilen auch völlig harmlos sind und falsch interpretiert werden. Strafbar sind auch sie nicht. Neben der Frage, wie überzogen es war, dass der Direktor nach den Postings von Anfang und Mitte Februar am 27. Februar die Schülerin aus dem Unterricht holte, liefert auch das Stoff für Diskussion: Wann ist etwas alarmierend?

Am deutlichsten wird das an einem Kleidungsstück: Die Jugendliche im Posting trägt ein Oberteil mit dem Schriftzug "HH" – wie die Anfangsbuchstaben der Hitler-Grußformel. Nur: Es sind die Anfangsbuchstaben von "Helly Hansen", einer sehr beliebten Kleidungsmarke, die mit ihrem Marketing gegen Vereinnahmung von Rechtsextremisten kämpft*. In einer ersten Berichterstattung der "Welt" stand aber nur, dass auf die Jacke "HH" gestickt sei. Die "Welt" hatte nur eine Beschreibung der Screenshots vorliegen, nicht aber die Bilder selbst.

Winkender Emoji oder Hitlergruß?

Für viele Menschen dürfte ebenso absurd sein, dass ein Emoji Fragen aufwirft und problematisch sein könnte: Massenhaft verwenden Nutzer das Symbol einer Frau, die den rechten Arm gehoben hat – zum Winken. Das habe auch Loretta damit verbunden – und keinesfalls einen Hitlergruß. In ihrem Instagram-Account stand das Emoji unter einem Story-Ordner "Stolze Deutsche" mit Eichenkranz, da war der Verdacht nicht so abwegig.

Dazu trug auch der Spruch im Profil "heimat freiheit tradition, multikulti endstation" bei: Er wird als Ruf von der "Identitären Bewegung" sowie dem Nachwuchs der früheren NPD genutzt, aber auch von der Jungen Alternative. Eine mit Screenshots dokumentierte Bilderfolge im Profil führt sogar zum "III. Weg". "Deutsche Jugend voran" ist sehr eng mit dieser Neonazi-Kleinstpartei verbunden und wird von einem Neonazi-Versand als Aufkleber vertrieben. Wer weiß das? "Ich kannte nicht mal den III. Weg", sagt Annett B. Den Zahlencode 1161 für "Anti-Antifa" auch nicht.

Die Mütze, die Loretta in einem Posting auf dem Kopf trägt, zeigt zugleich: Es ist nicht neu, dass Schulen sensibel auf mögliche Warnsignale reagieren. Die Mütze ist von der Marke "Pit Bull West Coast", in den USA gegründet von einem früheren Mitinhaber der Marke "Pit Bull Germany". Diese Marke wurde vor allem von gewaltaffinen jungen Männern getragen – aus verschiedenen Szenen. 2002 informierte die Firma, dass an 80 Schulen das Logo verboten oder unerwünscht sei. "Allem Anschein nach versuchen hier einige Lehrer und Rektoren, auf unserem Rücken ihre eigene politische Karriere zu forcieren", beklagte die Firma. Anlass war da: Eine Mutter war erfolgreich dagegen vorgegangen, dass im Raum Köln ein Direktor einem Schüler einen schriftlichen Tadel für das Tragen eines Pullis erteilte.

*Wir haben diese Stelle präzisiert, weil "Helly Hansen" in der Neonazi-Szene zumindest eine beliebte Marke war.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Annett B.
  • pitbull.de: Logoverbot an deutschen Schulen (archiviert)
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