Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Klima-Olympiade in Baku Dabei sein ist alles
Aus Aserbaidschan werden Sie in den nächsten Tagen Dramatisches hören: Die Klimakonferenz ist festgefahren. Das Scheitern droht. Aber keine Sorge, das wichtigste Ergebnis steht schon fest: Nächstes Jahr sehen wir uns wieder, dann in Brasilien.
Wissen Sie eigentlich, wie viele Teilnehmer zur COP29 in Baku angereist sind? Bitte halten Sie sich fest: mehr als 65.000. Aus 197 Nationen. Die wenigsten sind Politiker und Diplomaten, die hinter verschlossenen Türen um mehr Geld, weniger Schadstoffe und komplizierte Kompromisse ringen. Die große Mehrzahl sind Aktivisten, Lobbyisten und Journalisten. Wissenschaftler sind auch dabei. Eine kunterbunte Versammlung, die sich jedes Jahr für zwei Wochen trifft, im vergangenen Jahr in Dubai, jetzt in der Hauptstadt Aserbaidschans, nächstes Jahr in Belém, im brasilianischen Amazonasgebiet.
Da drängt sich eine einfache Frage auf: Ist das denn gut fürs Klima? Die Leute kommen ja nicht mit der Straßenbahn nach Baku. Aber die Frage gilt in Konferenzkreisen als falsch gestellt, weil populistisch – eine kleinliche Mäkelei, wo es doch um die Rettung der Welt geht. Trotzdem: Dass ausgerechnet Klimaaktivisten so viele Bonusmeilen sammeln, hat etwas Befremdliches.
Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".
Es geht in dieser Kolumne nicht um die Frage, ob und wie die Erderwärmung bekämpft werden sollte. Falls Sie die Ansicht von Donald Trump zum Klimawandel teilen („Eine der größten Betrügereien aller Zeiten“) oder der AfD zuneigen („Der menschliche Einfluss auf das Klima ist umstritten“), lesen Sie bitte nicht weiter; träumen Sie ruhig von der heilen Welt Ihrer Vergangenheit. In dieser Kolumne geht es um die Frage, ob die Mammutkonferenzen unter dem Label COP politisch hilfreich sind oder nicht. Die Abkürzung COP steht übrigens nicht für amerikanische Polizisten, sondern für "Conference of the Parties" (deutsch: Vertragsstaatenkonferenz).
Wer ist diese Weltgemeinschaft?
Diese Klima-Diplomatie ist auf jeden Fall gut gemeint. Die Weltgemeinschaft, so der idealistische Grundgedanke, ringt um Lösungen für eines der zentralen Zukunftsprobleme der Menschheit. Nur, wer ist diese Weltgemeinschaft? Die USA und China gehören dazu, die beiden großen geopolitischen Rivalen. Russland und die Ukraine, die Kriegsgegner. Israel und die Mullahs im Iran. Große Industrienationen wie Deutschland und kleine Atolle im Pazifischen Ozean. Zur Welt gehören sie alle, eine Gemeinschaft bilden sie nicht.
Die Vereinten Nationen, Veranstalter der COP, sind weder eine Weltregierung noch ein Weltparlament. Eine Regierung könnte Maßnahmen anordnen, ein Parlament könnte sie mit Mehrheit beschließen. Aber bei der Klimakonferenz gilt das Einstimmigkeitsprinzip. China kann jede Entscheidung blockieren, Fidschi auch.
In diesem Jahr wird vor allem ein Finanzkompromiss gesucht. Aktuell stellen die Industrieländer 100 Milliarden Dollar im Jahr zur Verfügung, damit die Entwicklungsländer etwas gegen den Klimawandel und seine Folgen tun können. Dieser Finanzausgleich ist prinzipiell richtig, weil er dem Verursacherprinzip entspricht: Wer den Dreck macht, soll auch dafür bezahlen. Aber in Baku geht es um die Forderung, diese 100 Milliarden Dollar zu verzehnfachen. Auf eine Billion Dollar pro Jahr.
Ich habe versucht, herauszufinden, wie diese Summe zustande kommt. Ob es ein Gutachten gibt, das die notwendigen Investitionen der ärmeren Länder kalkuliert. Oder eine Schadensbilanz, auf deren Basis eine wissenschaftlich gestützte Prognose für die nächsten zehn Jahre möglich ist. Oder eine Auflistung, wie viel Geld Papua-Neuguinea braucht, wie viel Bangladesch, wie viel Togo investieren muss. Nein, so etwas gibt es nicht. Die COP-Community fragt auch nicht danach. Die Billion ist eine politische Forderung von 45 Entwicklungsländern. Das muss reichen.
Die Zahlen können gar nicht groß genug sein
Eine einfache Rechnung, um die Dimension deutlich zu machen: Deutschland zahlt bisher jährlich knapp 6 Milliarden Euro in den 100-Milliarden-Topf ein. Würde der verzehnfacht, wären es 60 Milliarden. Beim Haushaltsstreit der Ampelkoalition ging es zuletzt um einen Fehlbetrag von 15 Milliarden Euro. Die Koalition ist geplatzt.
Aber das ist der Sound der internationalen Klimakonferenzen: Die Zahlen können gar nicht groß genug sein, die Worte nicht laut genug. Wenn jahrelang ergebnislos über die Billionen-Forderung verhandelt wird, dann verdoppelt man sie, um die Dringlichkeit des eigenen Anliegens deutlich zu machen. Wenn es nicht gelingt, den Ausstoß von CO2 bis 2030 um 42 Prozent zu verringern, dann muss er eben bis 2035 um 60 Prozent runter – egal ob das ein realistisches Ziel ist oder eine illusionäre Vorgabe. Und was immer die Diplomaten drinnen in der Konferenz beschließen, die Aktivisten draußen kommen zu dem Ergebnis: alles zu wenig, alles zu spät. Die Medien schreiben und senden dann wie jedes Jahr, die Weltgemeinschaft habe versagt.
Chefdirigent dieses vielstimmigen Panikorchesters ist António Guterres, der UN-Generalsekretär. Vor zwei Jahren, bei der COP27, sah er die Welt auf einem "Highway zur Hölle", vor einem Jahr steckte sie in einem "tödlichen Kreislauf" fest, dieses Jahr zählte er den "Final Countdown" an. Was sagt Guterres im nächsten Jahr? Leute, die Welt ist untergegangen, ihr habt es nur noch nicht gemerkt?
Pardon, mit der Apokalypse ist nicht zu spaßen. Aber es ist doch offenkundig, dass die verbale Eskalation mit immer krasseren Weltuntergangs-Szenarien ihr Ziel, die Menschen aufzurütteln, verfehlt. Wenn die Sirene auf Dauerbetrieb geschaltet wird, wird die Sirene als Problem wahrgenommen – nicht die Gefahr, vor der sie warnen soll.
Protest zur Sicherheit im deutschen Pavillon
Würde im Kongresszentrum von Baku, direkt neben dem Olympiastadion, nicht eine Klimakonferenz stattfinden, sondern ein G20-Gipfel oder im Olympiastadion eine Fußball-Weltmeisterschaft – im Bundestag gäbe es aktuelle Stunden und im Fernsehen kritische Brennpunkte. Ilham Alijew, der schnauzbärtige Autokrat des aufstrebenden Öl- und Gasimperiums Aserbaidschan als Gastgeber: geht gar nicht! Die Menschenrechte! Die Umwelt! Die Ungerechtigkeit der Welt! Aber jetzt, da es ums Klima geht, kann man sich nicht auch noch darum kümmern. Und wenn es Protest gibt, dann zur Sicherheit im deutschen Pavillon. Luisa Neubauer hat dort ein Pappschild hochgehalten.
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Haben Sie beim Stichwort Olympiastadion gerade gestutzt? Olympia in Baku? Wann war das noch mal? Nein, Sie leiden nicht unter Gedächtnisschwäche. Alijew hat sein Stadion einfach so getauft – man weiß ja nie. Mit den regenerativen Energien hält er es genau so: vielleicht irgendwann mal, in ferner Zukunft. Man nennt es Greenwashing.
Flugzeit zur nächsten COP: 23 Stunden
Diese COP29 ist eine große, laute Klima-Kirmes, ein Spektakel der 65.000. Das Spektakel kommt notfalls auch ohne Ergebnis aus. Nächstes Jahr gibt es ohnehin die COP30 in Brasilien. Die Reiseveranstalter werben schon: Belém, das eindrucksvolle Tor zum Amazonas. Flugzeit 23 Stunden ab Frankfurt.
Donald Trump ist sicher nicht der "Good Cop" der sogenannten Weltgemeinschaft. Aber wenn er demnächst ankündigt, dass seine Regierung diese Reise boykottiert, sollten Sie ihn nicht gleich einen "Bad Cop" nennen. Nicht deshalb. Zugegeben, Trump hat eigenartige Vorstellungen von den Folgen der Erderwärmung. Wenn der Meeresspiegel steigt, werde es mehr Strandimmobilien geben, sagte er im Wahlkampf. Das ist alternative Geometrie. Aber in Sachen Klimakonferenz hat er trotzdem den richtigen Instinkt.
Mehr Ahnung vom Thema hat Mojib Latif, einer der führenden deutschen Klimaforscher. Der Professor am Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung hält schon länger nichts mehr von der COP und ihrem Alarmismus. Weil die viel beschworene Weltgemeinschaft zu einer gemeinschaftlichen Politik nicht fähig ist, fordert er eine "Koalition der Willigen" für den Klimaschutz. Da kommen keine 65.000 Teilnehmer zusammen. Trump wird auch nicht dabei sein. Aber vielleicht käme etwas Produktives dabei heraus.