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Deutschlandtempo: Müssen Großprojekte so ewig dauern?


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Eine einzige Blamage für Deutschland
Und die ganze Welt sah zu

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

13.08.2024Lesedauer: 6 Min.
2020: Bauarbeiter betonieren eine Eingangsfläche des Flughafens BER.Vergrößern des Bildes
2020: Bauarbeiter betonieren eine Eingangsfläche des Flughafens BER. (Quelle: Jürgen Heinrich via www.imago-images.de)

Warum brauchen wir für alles so lange? Für einen Flughafen, einen Bahnhof, einen Windpark, ein paar Kilometer Autobahn? Es liegt an der Zauneidechse – und am gemeinen Mitbürger.

Heute vor genau 20 Jahren war ein großer Tag für Berlin und die ganze Republik. Die Nachricht liest sich etwas bürokratisch, zugegeben, die historische Dimension erschließt sich nicht auf Anhieb: Das brandenburgische Landesministerium für Infrastruktur und Raumordnung erließ am 13. August 2004 den Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Schönefelder Flughafens. In einfachen Worten: Das war die Baugenehmigung für den neuen Hauptstadtflughafen BER.

Zwei Jahre später fand der symbolische erste Spatenstich statt, im November 2011 sollte die erste Maschine vom BER starten. Wie das bei großen Bauprojekten so ist, kam dann etwas dazwischen und die Eröffnung wurde auf Anfang Juni 2012 verschoben.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt.

Sechs Wochen vor diesem Termin war ich zu einer Vorbesichtigung des neuen, praktisch fertigen Airports eingeladen. Politiker, Vertreter der Baufirmen, brandenburgische Lokalprominenz, dazu ein paar Journalisten trafen sich in einem Hangar des BER, es gab Sekt und Schnittchen, die Regierungschefs von Berlin und Bandenburg, Klaus Wowereit und Matthias Platzeck, hielten launige Reden: Seht her, das Werk ist gelungen! Zum Abschied bekamen die Gäste ein Kofferband geschenkt, mit dem Logo des neuen Flughafens.

Die Gäste waren kaum wieder zu Hause, da erreichte sie die Nachricht, dass die Eröffnung doch noch einmal verschoben werden müsse. Es gab Probleme mit der Brandschutzanlage. Was dann folgte, war ein technisches, finanzielles und politisches Fiasko. Immer neue Mängel, Missmanagement und Pfusch am Bau traten zu Tage. Letztlich musste die ganze Gebäudetechnik noch einmal neu gebaut werden, sieben Mal wurde der Eröffnungstermin verschoben. Die Kosten stiegen von gut einer auf mehr als sieben Milliarden Euro. Am 31. Oktober 2020, neun Jahre nach dem geplanten Termin, ging der Flughafen ans Netz.

Der BER war eine einzige Blamage – für Berlin und für Deutschland. Die ganze Welt sah zu, wie das Land der Tüftler und Erfinder, der Techniker und Ingenieure einen Flughafen in den märkischen Sand setzte. Ich habe oft von dem praktischen Kofferband Gebrauch gemacht. Einmal sprach mich ein Amerikaner am Gepäckband erstaunt an: Er dachte, Berlin- Brandenburg-Airport sei noch gar nicht fertig. Stimmt, antwortete ich, das Kofferband sei nur so eine Art Pre-Opening-Merch. Crazy, diese Deutschen, sagte sein Blick.

Das persönliche Prestigeobjekt eines OB

Der BER war und ist kein Einzelfall. Stuttgart 21 ist auch so eine Geschichte. Im Jahr 1997 bekam die schwäbische Metropole einen neuen Oberbürgermeister: Wolfgang Schuster, ein CDU-Mann, Typ kommunaler Manager, ein pragmatischer Macher. Ich arbeitete für die "Stuttgarter Zeitung" und traf mich mit ihm, um seine Ambitionen kennenzulernen. Seine erste Priorität war der neue unterirdische Bahnhof, das Großprojekt schlechthin. Der OB war für acht Jahre gewählt, eine zweite Amtszeit war möglich. 2013, so sein Kalkül, würde er aus dem Amt scheiden – und rechtzeitig den neuen Bahnhof eröffnen.

Als Wolfgang Schuster 2013 aus dem Amt schied, hatte noch kein Bagger irgendeinen Kubikmeter Erde am Stuttgarter Hauptbahnhof bewegt. Erst 2014 ging es überhaupt los, seitdem wird die Stadt umgegraben und untertunnelt. Die Züge fahren jetzt an einem unwirtlichen Bahnsteigprovisorium ab. Reisende müssen, wenn sie in Stuttgart ankommen und mit der S- Bahn oder der U-Bahn weiterwollen, mit ihren Rollkoffern und Rucksäcken zu Fuß einmal rund um die Riesenbaustelle ziehen. Man nennt es den Fernwanderweg.

Es ist in Stuttgart, wie es in Berlin-Brandenburg war: Die Kosten explodieren (von 4 auf 11 Milliarden Euro), die Eröffnung wird immer wieder verschoben, jetzt soll es Ende 2026 so weit sein. Ganz sicher. Jedenfalls fast ganz sicher.

Kann Deutschland keine Großprojekte mehr? Frankfurt am Main will sich eine neue Oper gönnen. Seit sechs Jahren wird diskutiert und geplant, 2037 könnte sie fertig sein. 2037! Eine Bühne, Technik, Sitzplätze fürs Publikum, Dach drüber. Kostet eine Milliarde, dauert zwei Jahrzehnte. In Köln werden die Bühnen seit 2015 saniert. Im Juni dieses Jahres sollte nach vielen Querelen und Verschiebungen Eröffnung sein. Im Mai wurde die Eröffnung wieder verschoben. Henriette Reker, die Oberbürgermeisterin, zeigte sich sehr, sehr enttäuscht. Sie hatte das Kleid für die Premiere schon gekauft.

Auch der gemeine Bürger ist eine geschützte Art

Die Gründe fürs Scheitern sind vielschichtig und unterschiedlich. Stuttgart 21 wurde von der Zauneidechse ausgebremst – nein, das ist kein Witz. Auch die Mauereidechse machte Probleme. Und die Fledermäuse. Der Juchtenkäfer sowieso. Geschützte Arten, wohnhaft zwischen Gleis 1 und Gleis 16 oder im benachbarten Schlossgarten. Sie mussten erst in einem Monitoring-Verfahren erfasst, dann umgesiedelt werden. Das dauert. In Baden-Württemberg warnt inzwischen sogar die grüne Landesregierung davor, den Artenschutz "über alles" zu stellen. Allerdings erst, seit beim Bau von Windrädern exakt die gleichen Probleme auftreten.

Auch die Bürgerin und der Bürger gehören zu einer geschützten Art. Egal, ob Windpark, Stromtrasse oder ICE-Strecke: Sie sollen und müssen an der Planung beteiligt werden. Es gibt seriöse Umfragen, nach denen eine große Mehrheit der Deutschen bei Großprojekten sogar für mehr Bürgerbeteiligung als bisher votiert. Es gibt andere, ebenfalls seriöse Umfragen, nach denen eine große Mehrheit der Deutschen findet, Großprojekte müssten viel schneller realisiert werden. Erkennen Sie das Problem?

Unmittelbar nach der deutschen Einheit hat die damalige Regierung unter Helmut Kohl für 17 Verkehrsprojekte, allesamt wichtige Ost-West-Verbindungen, die üblichen Genehmigungsverfahren außer Kraft gesetzt. Der Ausbau der Autobahn A2 zwischen Hannover und Berlin zum Beispiel begann 1994. Fünf Jahre später war die 240 Kilometer lange Strecke fertig. Zum Vergleich: Etwa zur gleichen Zeit begann im alten Westen der Ausbau der A8 zwischen Stuttgart und Karlsruhe, 80 Kilometer. Fertigstellung: 2026. Nein, eher 2027.

Wo die Ampel handelt

Die Ampelkoalitionäre haben erkannt, dass alle Pläne für ihre Energiewende an den geltenden Verfahrensregeln scheitern würden. Im Koalitionsvertrag haben sie sich deshalb vorgenommen, die Planungszeiträume zu halbieren. Und ja, man arbeitet emsig daran. Eine Menge Gesetze wurde auf den Weg gebracht, zum Beispiel das Wind-auf-See-Gesetz oder das Windenergieflächenbedarfsgesetz. Klingt wieder sehr bürokratisch, führt aber dazu, dass Vorschriften und Auflagen zum Umweltschutz gelockert und Einspruchsmöglichkeiten zurückgefahren werden.

Die Naturschützer haben zweifellos berechtigte Anliegen. Die Artenschützer auch. Ebenso die Anwohner, die aus ihrem Wohnzimmer lieber auf eine Streuobstwiese als auf einen Strommast schauen. Und die Bürger, die sich ganz einfach das Recht nehmen, in öffentlichen Angelegenheiten mitzureden. Autoritär regierte Staaten nehmen darauf keine Rücksicht, da geht alles schneller. Demokratische Staaten suchen den Ausgleich der Interessen. Ich möchte keinen autoritären Staat. Aber eine Demokratie, die Autorität ausstrahlt. Dazu gehört, dass politische Entscheidungen, die von parlamentarischen Mehrheiten oder gar – wie bei Stuttgart 21 – durch eine Volksabstimmung legitimiert sind, dann auch zügig umgesetzt werden.

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Die Ampelkoalition hat den langen und verschlungenen Rechtsweg abgekürzt, wenn es um "vorrangige" Infrastrukturprojekte geht. Vorrangig sind die Herzensangelegenheiten der Ampel: Wind- und Solarenergie fallen unter die neuen Regeln, nach dem Ausfall der russischen Gaslieferungen auch die LNG-Terminals, und die Liberalen haben, typisch FDP, noch ein paar Kilometer Autobahn in das Paket verhandelt. Für alles andere bleibt es, wie es ist. Also langwierig. Warum eigentlich?

Ein Endlager für Atommüll erst 2074

In der vergangenen Woche rief das Ökoinstitut aus Freiburg mit einer Prognose Aufsehen hervor: Die Suche nach einem Endlager für unseren Atommüll wird länger dauern als geplant. Der Standort kann nicht bis 2031 festgelegt werden – sondern erst 2074. Nein, das ist kein Schreibfehler. Steffi Lemke, die grüne Umweltministerin, ist etwas optimistischer. Aber nur etwas. Hinterher muss das Endlager irgendwo tief unter der Erde dann auch noch gebaut werden. Wir sollten ein paar Jahrzehnte bis zur Fertigstellung veranschlagen.

Das ist natürlich ein kompliziertes Thema, und zugegeben, ich habe keine Ahnung von Strahlenschutz, geologischen Gesteinsformationen und der Haltbarkeit von Castorbehältern. Trotzdem habe ich eine Frage: Zurzeit stehen diese 1.800 Müll-Fässer ja in oberirdischen Zwischenlagern herum. Kann man die da die nächsten hundert Jahre stehen lassen? Ist das nicht gefährlich?

Vor knapp zwei Jahren hat Olaf Scholz das neue Deutschland-Tempo ausgerufen. Erzählen Sie das mal einem Amerikaner, Inder oder Finnen. Er wird Sie erstaunt anschauen: Crazy, diese Deutschen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen und Beobachtungen
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