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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Neuer-Debatte: Tipps für Bundestrainer Julian Nagelsmann


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Torwart-Debatte
So geht das nicht, Herr Nagelsmann

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

13.06.2024Lesedauer: 4 Min.
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Bundestrainer Julian Nagelsmann grübelt. (Quelle: IMAGO/Kirchner-Media/DI/imago)
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Julian Nagelsmann war die Diskussion um Manuel Neuer leid. Verständlich. Trotzdem als offener Brief ein paar Hinweise zu Gesetzmäßigkeiten von Debatte und Demokratie, die sogar für einen Bundestrainer gelten. Eine Kolumne von Christoph Schwennicke.

Sehr geehrter Herr Bundestrainer,

lieber (wenn ich das so schreiben darf) Herr Nagelsmann,

wir kennen uns nicht, zwischen unseren Welten liegen ebensolche, ich verstehe gar nichts von Fußball und interessiere mich nur sehr bedingt dafür. Sie verstehen von Fußball wiederum sehr, sehr viel, wie mir Leute glaubhaft versichern, die auch ein bisschen was von Fußball verstehen und deren Urteil ich vertraue.

Trotzdem faszinieren Sie mich. Denn Sie haben nicht nur Gespür für Fußball. Sie haben nach meiner Fernwahrnehmung auch ein Gespür für Macht, dem ich unlängst meinen Respekt gezollt habe.

Macht ist schon mehr mein Feld als das mit den gerahmten Netzen an beiden Enden des Platzes. Macht, Politik, Kommunikation, das ist so meine Wiese. Und genau darüber würde ich jetzt gerne mit Ihnen reden.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online schreibt er jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!"

Es geht um Manuel Neuer. Ich will mich in den Fall in seinem Ursprung, dem Beinbruch beim Skifahren, nicht groß einmischen. Nur so viel, einmal als Laie und einmal als Experte. Ich weiß nicht, was einen guten Torwart, einen Welttorwart ausmacht. Aber Reflexe vermutlich nicht zuletzt. Und die lassen, wie manch anderes, nach im Alter. Ich weiß mit meinen 58 Jahren, wovon ich rede. Und als leidenschaftlicher Skitourengeher kann ich ganz sicher sagen, dass ich bei der schütteren Schneelage seinerzeit meinen Zug den Berg hinauf unterdrückt hätte, wenn ich beruflich von intakten Gliedmaßen abhänge. Die in gesetzterem Alter obendrein schlechter und langwieriger heilen als bei den Jungen. Und derweil wird man noch älter.

Jetzt aber zur Sache. Vor ein paar Tagen haben Sie gesagt, es gebe keine Debatte über Neuer als Nummer eins im deutschen Tor bei der kommenden Europameisterschaft. Das kann man so sagen an Ihrer Stelle, verkennt aber Grundmuster und Mechanismen von Politik und Kommunikation. Also, wir fangen mal bei den Basics an. Eine Debatte ist dadurch gekennzeichnet, dass mindestens zwei daran teilnehmen. Debatte allein geht nicht. Und im Grundkurs Kommunikation gibt es einen Sender und einen Empfänger. In wahrhaftiger Kommunikation und Debatte mit wechselnden Rollen. Also: Einmal sagen Sie etwas als Sender an einen Empfänger, in dem Fall die deutsche Fußballöffentlichkeit.

Natürlich haben Sie als Sender die Hegemonie darüber, was Sie sagen und ob Sie überhaupt etwas sagen. Sie haben aber keine Hoheit (oder, Achtung: Macht!) darüber, was die Empfänger dann tun. Die können die Debatte nämlich auch gut ohne Sie führen, es sind genug da in der Fußballöffentlichkeit, die sie führen möchten (Achtung: Debatte sind immer mehrere!). Ihnen steht es dann, nun als Empfänger, wiederum frei, auf Durchzug zu schalten, was Sie in anderen Worten ja schon angekündigt haben.

Aber die Debatte findet statt. Ihr Verbot verhallt ungehört. Das nennt man Pluralismus und freie Meinungsäußerung. Gehört zum Grundbesteck unserer Demokratie. Sonst müssten Sie vielleicht darüber nachdenken, es Felix Magath gleichzutun, und in China trainieren. Aber ich denke, da würden Sie aus vielerlei Gründen ebenso wenig glücklich wie Ihr heimgekehrter und verzweifelt nach einer Aufgabe suchender Trainerkollege.

Denn merke: Die eigene Freiheit hat nicht nur – um mit dem ollen Kant – zu sprechen, ihre Grenzen dort, wo ihre Wahrnehmung anderen Schaden zufügt. Sie hat auch die Kehrseite, dass ich die Freiheit nicht allein zugesprochen bekomme. Sie ist allgemeingültig. Sie gilt für Bundestrainer im feinen Trainingslager der Nationalmannschaft ebenso wie für Stammtischfußballer in einer verrauchten Spelunke in Oer-Erkenschwick.

Eine unvergessliche Szene

Nichts ist so plastisch wie ein Beispiel. Daher dies: Vor einigen Jahrzehnten, ich war ganz frisch im politisch-publizistischen Komplex von Bonn angekommen, da absolvierte der damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze eine Pressekonferenz, in der es um irgendeinen Streit ging, vermutlich wie meistens in der Politik um Geld und dessen zielsicheren Einsatz an irgendeiner Stelle.

"Der Bundeskanzler erklärt die Debatte für beendet", sagte Hintze damals (ein toller Mann übrigens, leider schon gestorben), und es meldete sich der Kollege Stefan Kornelius, seinerzeit CDU-Berichterstatter der "Süddeutschen Zeitung", heute angesehener Politikchef der Zeitung. "Eine Frage, wenn Sie erlauben, Herr Hintze", hob Kornelius an, "woher weiß der Bundeskanzler, dass diese Debatte beendet ist?" Das war ein Lehrmoment des jungen Berichterstatters Schwennicke (damals "Badische Zeitung") und eine Szene, die er bis heute nicht vergessen hat.

Was in der Macht eines Bundestrainers liegt

Und, sehen Sie, wenn ein damals kesser Korrespondent Kornelius einem daraufhin nach Worten ringenden Hintze mit einer geschickten Frage sowie einem Machtberg wie Helmut Kohl die Grenzen aufzeigte, dann gilt das sogar für Bundestrainer. Selbst in einer Zeit, also den kommenden vier Wochen, in der man den Eindruck bekommen könnte, die Nummer eins im Staat heißt nicht Steinmeier, sondern Nagelsmann. Es liegt in Ihrer Macht, ob Deutschland gegen Schottland mit einer Dreier- oder Viererkette spielt, und wie das alles heißt. Es liegt aber nicht in Ihrer Macht, was Fußballdeutschland diskutiert und was nicht.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihrer Mannschaft alles, alles erdenklich Gute für die Zeit vom 14. Juni an. Bitte grüßen Sie bei Gelegenheit den Kollegen Bernd Neuendorf herzlich von mir, den ich in nichts als bester Erinnerung habe aus gemeinsamen Zeiten auf dem gleichen Spielfeld.

Mit besten Grüßen

Ihr Christoph Schwennicke

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen, Kants Gesammelte Werke
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