t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitik

Militärexperte ist sicher: "Putin wird diesen Krieg nicht gewinnen"


Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Militärexperte ist sicher
"Putin wird diesen Krieg verlieren"

InterviewVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 12.03.2022Lesedauer: 4 Min.
Der Kriegstreiber: "Am Ende wird es Putin gehen wie den Amerikanern im Irak und wie den Amerikanern und den Sowjets in Afghanistan."Vergrößern des Bildes
Der Kriegstreiber: "Am Ende wird es Putin gehen wie den Amerikanern im Irak und wie den Amerikanern und den Sowjets in Afghanistan." (Quelle: imago-images-bilder)

Die russische Invasion in der Ukraine scheint ins Stocken geraten. Trotzdem ist der Militärexperte Martin van Creveld überzeugt, dass die Einnahme aller ukrainischen Städte nur noch eine Frage der Zeit ist – und Putin trotzdem nicht gewinnen kann.

Der israelische Sicherheitsexperte Martin van Creveld ist einer der renommiertesten Militärhistoriker der Welt. In Deutschland ist er umstritten, weil er 2019 bei einer Veranstaltung der AfD auftrat und mit einigen seiner Thesen auch in rechten Kreisen populär ist. Seine Expertise indes ist unbestritten. Sein Buch "Die Zukunft des Krieges" gilt als Standardwerk.

Herr van Creveld, wie stark ist die russische Armee wirklich?

Martin van Creveld: Die russische Armee ist sehr stark. Es wird ihr gelingen, die großen Städte in der Ukraine einzukesseln, unter Artilleriebeschuss zu setzen und einzunehmen. Die Ukraine hat mit ihren schlecht gerüsteten Streitkräften gegenüber Russland keine Chance. Aber das wird nicht das Ende des Krieges sein. Im Gegenteil: Mit dem Fall von Kiew wird der Krieg erst richtig beginnen.

Wie meinen Sie das?

Das wird der Auftakt für Guerillakämpfe sein, die lange Zeit dauern werden. 100.000 russische Soldaten reichen nicht aus, um ein Land wie die Ukraine, das doppelt so groß wie Deutschland ist, zu besetzen. Am Ende wird es Putin gehen wie den Amerikanern im Irak und wie den Amerikanern und den Sowjets in Afghanistan: Er wird diesen Krieg verlieren.

Wie könnte eine Friedenslösung aussehen?

Die Lösung wird darin bestehen, dass die Ukraine neutral wird. Sie wird der Nato niemals beitreten. Ich sehe keine andere Lösung.

Die EU könnte die Ukraine bald als neues Mitglied aufnehmen. Welche Auswirkungen hat das?

Das ist völlig irrelevant. Im Übrigen wird es Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis der Prozess der Aufnahme abgeschlossen ist.

Der ukrainische Präsident Selenskyj ruft die Nato auf, eine Flugverbotszone über der Ukraine sicherzustellen. Was halten Sie von dieser Forderung?

Ich kann Präsident Selenskyj völlig verstehen. Aber es wäre das Letzte, was der Westen tun sollte. Es wäre selbstmörderisch. Und nicht nur das: Es könnte das Ende der Welt bedeuten. Es gehört zu der dem Krieg innewohnenden Logik, dass er zu immer neuen Eskalationsstufen führt. Das hätte verheerende Folgen für die ganze Welt.

Wie realistisch ist Putins Drohung mit dem Einsatz von Nuklearwaffen?

Ich glaube, es ist unrealistisch und realistisch zugleich. Unrealistisch im Sinne, dass Putin wie jeder andere um die Konsequenzen eines solchen Schrittes weiß. Realistisch, weil er es trotzdem in einem Moment der Schwäche oder Verzweiflung anordnen könnte.

Welches Ziel würde er dabei am ehesten ins Visier nehmen?

Ich habe keine Ahnung. Vermutlich wäre es eher eines, um zu schocken und zu beeindrucken als zu töten und zerstören, weil es sonst ein schreckliches Ende für die ganze Welt bedeuten würde. Ich kann mich aber täuschen.

Glauben Sie, dass Putin an einen Punkt kommen könnte, wo er Nuklearwaffen auch gegen den Westen einsetzt?

Wie ich schon sagte: Im Krieg gibt es eine Dynamik, die ab einem bestimmten Punkt unkontrollierbar wird. Wenn Putin den Westen als Kriegsteilnehmer sieht, könnte das eine Eskalationsspirale in Gang setzen, bei der auch der Einsatz von Nuklearwaffen nicht mehr auszuschließen ist.

Ukrainische Quellen zeigen ein Geburts- und Kinderkrankenhaus in Mariupol, das von den Russen zerstört wurde. Sollte dies stimmen, wäre dies ein Kriegsverbrechen. Wird Putin vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag enden?

Putin ist nicht Slobodan Milosevic, und Russland ist nicht Serbien. Ich wüsste nicht, wer ihn dorthin bringen könnte. Was das Krankenhaus betrifft: Ich halte diese Berichte für sehr wahrscheinlich. In diesem Krieg wird sehr viel Artillerie eingesetzt, die nicht sehr präzise ist. Ich denke nicht, dass das Krankenhaus absichtlich unter Beschuss genommen wurde. Denn was hätte Putin davon, außer, dass schlecht über ihn berichtet wird?

Immerhin haben die Russen das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja ganz gezielt angegriffen. Was war das Ziel?

Wie in den meisten anderen Kriegen sind Kraftwerke besonders wichtige Ziele. Ob sie nuklear sind oder nicht, ist dabei zweitrangig, abgesehen davon, dass man dabei auf den Austritt von Strahlung achten muss. Das scheint in diesem Fall aber nicht passiert zu sein.

Es gibt inzwischen einige in Deutschland, die der früheren Kanzlerin Angela Merkel vorwerfen, mit einer zu beschwichtigenden Haltung gegenüber Putin für die jetzige Eskalation des Konflikts mitverantwortlich zu sein. Würden Sie diese Einschätzung teilen?

Schauen Sie, das war Merkels Prinzip. Sie hat darauf gesetzt, durch den Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen auch den Frieden zu sichern. So war ihr Naturell, zumal sie ja auch in Ostdeutschland aufgewachsen ist und das kommunistische System hasste. Sie hat das getan, was sie für richtig hielt. Eine andere Politik zu betreiben, hätte eine andere Frau Merkel bedeutet.

In Ihrem wichtigsten Werk "Die Zukunft des Krieges" stellen Sie die These auf, dass es in Zukunft keine konventionellen Kriege, sondern nur noch asymmetrische Kriege mit nicht staatlichen Akteuren wie Terrorgruppen geben wird. Dies schien viele Jahre zuzutreffen. Nun erleben wir einen klassischen Krieg. Müssen Sie Ihre These überdenken?

Nein. Nehmen Sie den Irak-Krieg: Der konventionelle Krieg dauerte drei Wochen, die Auseinandersetzung danach Jahre. Oder Afghanistan: In den ersten Wochen vertrieben die US-Soldaten die Taliban aus allen Schlüsselpositionen ohne größere Verluste in den eigenen Reihen. Aber das war erst der Auftakt für eine jahrelange militärische Auseinandersetzung. In der heutigen Zeit beginnen Kriege oft konventionell, münden dann aber schnell in einen asymmetrischen jahrelangen Kampf. Das wird in Zukunft noch viel stärker so sein.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Martin van Creveld
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website