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Bundestagswahl 2021 | Triell: "Die Verzweiflung der Union wird zur Gefahr"


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Tagesanbruch
Die Verzweiflung der Union wird zur Gefahr

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 13.09.2021Lesedauer: 6 Min.
Zögern, zaudern, winden: Die Abgrenzung nach Rechts fällt nicht nur Laschet derzeit schwer.Vergrößern des Bildes
Zögern, zaudern, winden: Die Abgrenzung nach Rechts fällt nicht nur Laschet derzeit schwer. (Quelle: Peter Kneffel/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

hat Ihnen nach dem Triell gestern Abend auch der Kopf gebrummt? Die drei Kanzlerkandidaten und die beiden Moderatoren, die sich mindestens ebenso wichtig nahmen, redeten so oft durcheinander, dass man zwischenzeitlich kaum noch etwas verstand. Immerhin: Es wurde gestritten. Es wurden Unterschiede deutlich. Der Überblick:

Olaf Scholz: Der SPD-Kandidat kam zum ersten Mal aus dem sicheren Kanzlertritt und hob die Stimme. Angesprochen auf die Durchsuchungen in seinem Finanzministerium am Freitag warf er Herrn Laschet wiederholt vor, die Unwahrheit zu sagen – blieb in der Verteidigung aber ebenfalls undeutlich. Ansonsten sprach er sich für eine Bürgerversicherung und damit für ein Ende der privaten Krankenversicherung aus, für ein Mietenmoratorium in den Städten, gegen eine Impfpflicht sowie gegen eine Corona-Testpflicht in Unternehmen. Auch jungen Wählern garantierte er, dass das Renteneintrittsalter sowie deren Höhe stabil bleiben. Unterm Strich war es nicht Olaf Scholz' stärkster Auftritt. In der Blitzumfrage landete er dennoch auf dem ersten Platz.

Armin Laschet: Der glücklose CDU-Kanzlerkandidat verschärfte seine Angriffstaktik, mehrfach attackierte er Herrn Scholz frontal – nicht nur beim Streit um die Durchsuchung im Finanzministerium. Auch die Rentengarantie der SPD bezeichnete er als "nicht seriös"; stattdessen müsse bei der betrieblichen Altersvorsorge parteiübergreifend ein neues System gefunden werden. Die private Krankenversicherung will Laschet nicht abschaffen, die Einwanderung von Fachkräften stärken, den steigenden Mieten in vielen Städten mit mehr sozialem Wohnungsbau beikommen.

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Annalena Baerbock: Die Grünen-Kandidatin thronte zwischenzeitlich wie eine Mediatorin bei der Paartherapie zwischen Laschet und Scholz. Es gelang ihr, die Pläne ihrer Partei zu transportieren, während sich die beiden stritten: Corona-Testpflicht in Unternehmen, Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen (etwa im Bildungsbereich), Bürgerversicherung, härtere staatliche Eingriffe in der Klimapolitik ("jedes Verbot ist auch ein Innovationstreiber"). Ihre Klarheit half ihr jedoch wenig, beim Publikum schnitt Frau Baerbock wie schon beim ersten Triell am schlechtesten ab.

Ein Schlagabtausch, viele komplizierte Details und zwei Moderatoren von ARD und ZDF, die erkennbar nicht miteinander harmonierten: Das war das zweite Triell vor der in zwei Wochen anstehenden Bundestagswahl (eine ausführliche Analyse liefern Ihnen unsere Reporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert hier).

Klar ist: Selbst wenn man ihm den einen oder anderen Punkt zugutehält, der große Umschwung ist Armin Laschet gestern Abend nicht gelungen. Bei CDU und CSU dürfte dieses Triell deshalb die Zukunftsängste verstärkt haben. Denn es ist das Jahr der starken Briefwahl; mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten haben das bequeme Wählen zu Hause beantragt. Wie viele bereits abgestimmt haben, ist noch unklar. Sicher ist aber: Ein ungewöhnlich großer Teil der Wähler dürfte die Kreuzchen vor dem letzten Triell am kommenden Sonntag setzen.

Gut möglich, dass Armin Laschet mit seinem Auftritt also bereits zementiert hat, was Umfragen seit Wochen prognostizieren: den Sieg von Olaf Scholz und den freien Fall der Union auf einen neuen Tiefstand. Es wäre ein historischer Absturz.

Die Verzweiflung an der Parteispitze ist angesichts der Umfragen groß – und wird zunehmend zur Gefahr. Zum einen für die Partei selbst, zum anderen aber auch für den demokratischen Diskurs. Denn auf den letzten Metern ist vielen CDU-Funktionären offensichtlich jede Stimme willkommen – auch wenn sie aus dem rechtsextremen Spektrum kommt.

Am Wochenende ist der Neonazi Tommy Frenck als Wahlkämpfer für die Union aufgetreten. Genauer: für Hans-Georg Maaßen, einst umstrittener Präsident des Verfassungsschutzes, jetzt Kandidat der CDU in Südthüringen. Der in Thüringen bestens vernetzte Tommy Frenck spricht auf seiner Homepage eine Empfehlung dafür aus, Maaßen als "echtem Konservativen" die Erststimme zu geben – und mit der Zweitstimme AfD zu wählen. Maaßen bringe Linke schon mit seiner Kandidatur "zur Weißglut", freut sich Frenck. Es sei möglich, dass er zu einem "unbequemen Fragesteller" werde, der "auch über die nötige Medienpräsenz verfügt".

Die offensive Werbung von rechts außen ist eine neue Zäsur im ohnehin prekären Fall Maaßen. Der 34-jährige Frenck ist eine Größe in der Neonaziszene. Er war NPD-Funktionär, betreibt in Thüringen den bundesweit bekannten Rechtsextremisten-Treff "Goldener Löwe" und veranstaltet Rechtsrock-Konzerte mit mal Hunderten, mal Tausenden Teilnehmern. Über seinen Versandshop "druck18" (die 18 steht für die Initialen Adolf Hitlers im Alphabet) vertreibt er Nazipropaganda – von Rommel-Devotionalien über "Auch ohne Sonne braun"-Shirts bis hin zu Bikinis mit Reichskriegsflaggen-Print. Einer, der liefert, was das ganz weit rechts schlagende Herz begehrt. Und dessen Empfehlung tatsächlich Gewicht hat in der rechtsextremen Szene.

Sind das genügend Gründe für Armin Laschet und die Granden der Union, sich endlich klar von Maaßen zu distanzieren? Weit gefehlt. Stattdessen öffnen sie weit die Arme. Nun weiter als je zuvor: In einem Interview mit dem SWR sprach sich CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble, der Herrn Maaßen in der Vergangenheit bei Angriffen auf Journalisten durchaus auch tadelte, am Samstag (also dem Tag der Frenck-Empfehlung) uneingeschränkt für Maaßen aus. Der sei "unbestreitbar Demokrat", seine Kandidatur sei ein Zeichen für "die ganze Bandbreite des politischen Spektrums".

Armin Laschet hingegen verwandelte sich im Triell, angesprochen auf Maaßen, in einen wundersam gelenkigen Gummimann: Von der AfD distanzierte er sich deutlich ("Mit ihnen kooperieren wir nicht, verhandeln wir nicht und werden wir nie koalieren"), eine Distanzierung zum eigenen Kandidaten, der AfD-Positionen vertritt, war ihm aber nicht abzuringen. In der "Bild am Sonntag" hatte er sich kurz zuvor klarer geäußert: "Ich kämpfe dafür, dass die CDU bundesweit an erster Stelle durchs Ziel geht." Übersetzt: Hauptsache Platz 1 – egal, mit welchen Stimmen.

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Als demokratischen Kraftakt wollte Armin Laschet im Triell scheinbar schon verkaufen, dass er Karin Prien nicht aus seinem Zukunftsteam wirft. Die CDU-Bildungspolitikerin hatte Maaßen – als eine der wenigen prominenten Stimmen in jüngster Zeit – in einer Talkshow kritisiert und sich indirekt für die Wahl des SPD-Konkurrenten in Thüringen starkgemacht. Maaßen forderte danach ihren Rücktritt aus Laschets Schattenkabinett. "Karin Prien bleibt im Zukunftsteam", verkündete Laschet stolz in die TV-Kameras. Es wirkte eher erbärmlich als souverän.

Armin Laschets Beteuerungen, er wolle niemals mit der AfD paktieren, wirken angesichts seiner Manöver im Fall Maaßen fadenscheinig: Wer braucht schon die AfD, wenn man ihre Positionen in der eigenen Partei so bereitwillig akzeptiert und unter falschen Vorzeichen bewirbt? Mit der fehlenden Abgrenzung zu Maaßen und dessen Unterstützern beschädigt Armin Laschet die Union stärker als mit der Wurstigkeit seines Auftretens als Spitzenkandidat. Er ist drauf und dran, die letzte verbliebene Volkspartei, die Angela Merkel jahrelang vor dem Rechtsruck bewahrt hat, über die Brandmauer zu hieven. Für ein paar Stimmen von Neonazis.


Noch eine Chance

Heute geht es noch mal um politische Inhalte: Vor genau einer Woche hat die Linkspartei, die es in Umfragen nur knapp über die Fünfprozenthürde schafft, ihr Sofortprogramm für eine Regierungsbeteiligung präsentiert. Als große Wahlofferte, kurz vor dem 26. September. Die Union tut es ihr nun nach: Um 13 Uhr stellt Armin Laschet in einer Pressekonferenz vor, welche Schritte seine Partei in einer Regierung zuerst gehen würde. Der Termin gilt als eine der letzten Gelegenheiten für die Union, das Ruder vielleicht doch noch herumzureißen.


Neue Klimaklagen gegen Bundesländer

Gegen Bayern, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg geht die Deutsche Umwelthilfe gemeinsam mit jungen Aktivisten bereits juristisch vor. Nun weiten die Klimaschützer ihren Kreuzzug aus und legen gegen fünf weitere Bundesländer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht vor. Sie fordern die Verabschiedung von Landesklimaschutzgesetzen, die sich tatsächlich den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens verschreiben. Um 10 Uhr will die Deutsche Umwelthilfe bekannt geben, gegen welche Länder sich die Beschwerden richten.


Richtungsentscheidung in Norwegen

Norwegen wählt heute ein neues Parlament. Seit acht Jahren regiert dort Ministerpräsidentin Erna Solberg mit ihrer Partei Høyre ("Rechte"). Gern wird sie mit Angela Merkel verglichen. Doch auch in Norwegen droht Umfragen zufolge den Konservativen eine Niederlage; zuletzt hatten die Sozialdemokraten fünf bis sechs Prozentpunkte Vorsprung. "Ich habe ein gutes Gefühl", frohlockt denn auch Jonas Gahr Støre. Der Vorsitzende der Arbeiterpartei könnte neuer Regierungschef werden. Es wäre das Ende der letzten konservativen Regierung in Skandinavien.


Was lesen?

Kevin Kühnert zählt zu den größten politischen Talenten der Republik. Jetzt kandidiert er für den Bundestag. Was genau will er dort erreichen? Meinen Kollegen Johannes Bebermeier und Florian Harms hat er seine Pläne hier erklärt.


Warum war Deutschland so schlecht vorbereitet auf das Coronavirus? Weil sich das Land in trügerischer Sicherheit und Entfernung zu China gewähnt hat, sagt der Medizinhistoriker Alfons Labisch im Gespräch mit meinem Kollegen Marc von Lüpke. Warum Corona längst nicht die bedrohlichste Geißel der Menschheit ist, lesen Sie hier.


Werden wir künftig vor allem innerhalb Deutschlands reisen? Welche Fernreisen sind gegenwärtig überhaupt möglich und welche Ziele sind besonders beliebt? Meine Kollegin Sandra Simonsen hat mit dem CEO der "Urlaubspiraten", David Armstrong, hier einen Ausblick auf den Herbst und die Zeit nach der Krise gewagt.

Was amüsiert mich?

Morgen begleitet Sie Florian Harms wieder in den Morgen.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Ihre

Annika Leister
Redakteurin Politik
Twitter: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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