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Zum journalistischen Leitbild von t-online.TV-Triell der Kanzlerkandidaten "Sie haben absichtlich einen falschen Eindruck erweckt!"
Es ist der Höhepunkt des Wahlkampfs: das Triell von ARD und ZDF. Aber wer hat gepunktet? Und wer enttäuscht? Lesen Sie hier die Analyse.
Es war das zweite Triell, etwas Übung hatten die drei Kanzlerkandidaten also schon. Einfacher wurden die Aufgaben, die sie an diesem Abend zu lösen hatten, damit jedoch nicht gerade.
Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet (CDU) läuft so langsam die Zeit davon, um die viel zitierte Wende im Wahlkampf noch zu schaffen – oder zumindest nicht den Anschluss zu verlieren. Und Olaf Scholz (SPD) liegt zwar weiterhin recht komfortabel vorne. Die Razzia im Finanzministerium hat aber gezeigt, dass auch er verwundbar ist.
Also: Wie haben sich die drei geschlagen?
Der angriffslustige Herr Scholz
Olaf Scholz kann auch lebhaft, sogar ein bisschen ungemütlich sein. Das zeigt er beim zweiten Triell. Er ist allgemein wesentlich präsenter als beim vergangenen Mal. Und sein Anzug erinnert diesmal auch nicht an eine Beerdigung.
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Beim gefährlichsten Thema für Scholz, der Razzia im Bundesfinanzministerium, versucht er zunächst die Moderatoren mit Details an die Wand zu reden. Das hilft nicht gerade, das Ganze nachzuvollziehen, aber wahrscheinlich ist das sein Plan. Die folgenden Angriffe von Laschet pariert er mit Gegenangriffen – und wird dabei emotional. "Sie haben absichtlich einen falschen Eindruck erweckt!", wirft er Laschet vor, auch "falsche Behauptungen" kritisiert er mehrfach. Nach viel Hin und Her sagt Scholz zu Laschet: "Sie haben es nicht wiederholt, weil es falsch war." Welche Aussage er meint, weiß niemand so richtig. Aber Laschet steht nicht sonderlich gut da.
Seine eigenen inhaltlichen Punkte macht Scholz in gewohnt scholziger Manier. Nicht aufregend, aber solide. So wie er sich auch an die Spitze der Umfragen gesetzt hat.
Der zahme Herr Laschet
Ganz am Ende kopiert Armin Laschet, was Annalena Baerbock beim ersten Triell gemacht hat: Zum Abschluss tritt er hinter dem Rednerpult hervor. Er trägt ein ordentliches Statement vor, es gipfelt in dem Satz, er wolle ein "Bundeskanzler des Vertrauens werden". Doch eben dieses Statement gehört schon zu den stärksten Parts von Laschet an diesem Abend. Und das ist für seine Partei, für die das Triell die Wende im Wahlkampf bringen sollte, keine wirklich gute Nachricht.
Schon der Beginn ist für Laschet nicht leicht. Er attackiert Olaf Scholz, es geht wieder um die Frage, ob dieser mit der Linkspartei regieren würde (hält sich Scholz offen), dann um Skandale wie Wirecard, CumEx und die Razzia im Finanzministerium. Das hätte eine echte Attacke werden können, doch Laschet verstrickt sich in den Details, Scholz hält wortreich dagegen. Am Ende zerbröselt der Angriff im Kleingedruckten einer Diskussion.
Anschließend wird es tendenziell nicht leichter für Laschet. Er bleibt oft im Ungefähren, man bekommt als Zuschauer keinen präzisen Eindruck davon, welche konkreten Maßnahmen er umsetzen will als Kanzler. Bei der Bewältigung der Klimakrise erklärt Laschet etwa: "Die deutsche Autoindustrie ist längst auf diesem Weg sich umzustellen, und ich finde: Wir müssen die jetzt auch mal machen lassen." Ansonsten: wenig konkrete Äußerungen, nur gegen Verbote sei er. Sagt Laschet.
Allerdings hat er an diesem Abend auch Pech: Eine regelmäßig wiederholte Kameraeinstellung suggeriert, Baerbock und Scholz stünden nah beieinander und Laschet am Rand des Studios. In Wahrheit haben die Pulte die gleichen Abstände zueinander.
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Die wache Frau Baerbock
Annalena Baerbock präsentiert sich so, wie sie sich schon beim ersten Triell gezeigt hat: Aufgeweckt, empathisch und kritisch, ohne dabei zu überdrehen. Ihre Erklärungen sind manchmal etwas kompliziert, aber das liegt auch daran, dass sie vor allem durch inhaltliche Details bestechen will.
Sie widersteht dem Impuls, gegen Scholz bei der Razzia einfache Punkte sammeln zu wollen. Zu den Ermittlungen könne sie "von außen" nichts sagen, erklärt sie. Bemängelt dann aber, dass der Kampf gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche offenbar keine Priorität für Scholz gehabt habe. Ein schwer zu widerlegender Punkt.
Allgemein hält sich Baerbock weitgehend heraus, als sich Laschet und Scholz bei dem Thema hart angehen – und versucht, die Diskussion auf die Zukunft auszurichten: "Was können wir künftig besser machen?" Eine durchaus kluge Strategie.
Wer hat überrascht?
Eigentlich alle drei Kandidaten. Olaf Scholz ist deutlich lebendiger als im ersten Duell. Vor zwei Wochen wirkte er zuweilen so, als habe er zwischendurch das Studio verlassen. Auch wenn Scholz natürlich weiter der eher zurückhaltende Hamburger ist: Für hanseatische Verhältnisse ist er fast schon auf Krawall gebürstet.
Armin Laschet war im ersten Duell sehr aktiv und attackierte seine Konkurrenten. Das hat ihm allerdings in den Umfragen nicht geholfen. Dieses Mal ist Laschet über weite Strecken hingegen weniger der Angreifer, der die anderen beiden wirklich stellen will, sondern selbst häufig in der Defensive.
Zum Teil gibt es längere Diskussionen zwischen Laschet und Scholz. Bisweilen wirkt Annalena Baerbock so, als würde sie von den beiden Herren ignoriert. Doch wenn sie dran ist, redet sie sehr sortiert und macht ihre Punkte.
Der kurioseste Satz
Den sagt Olaf Scholz, als er erklären soll, ob ihm die Razzia im Bundesfinanzministerium gefährlich werden könnte. Nach diesem Satz hat garantiert niemand verstanden, was da los war. Sofern er es nicht vorher schon wusste: "Die Untersuchungen, die dort gemacht worden sind von einer Osnabrücker Behörde, weil sie den Verdacht haben, dass möglicherweise in Köln ein, zwei Mitarbeiter bei der dortigen Behörde nicht richtig gearbeitet hätten, die sind zur Unterstützung dieser Erkenntnisgewinne durchgeführt worden." Uff.
Der menschlichste Moment
Gerade haben die Moderatoren die Kandidaten gelobt, dass sie bisher ungefähr gleich lange geredet haben, da gibt es eine Panne im Studio. "Wenn ich das der Fairness halber sagen darf", interveniert Baerbock auf einmal, als die Moderatoren ausgerechnet zum Thema Digitalisierung überleiten wollen: "Die Uhr von Herrn Scholz läuft weiter. Vielleicht kann die einmal kurz angehalten werden." Das hätte sie nicht tun müssen. Es ist eine spontane, faire Geste.
Die größte Schwurbel-Erklärung
Kommt an diesem Abend von Armin Laschet. Die Moderatoren wollen wissen, ob der CDU-Direktkandidat Hans-Georg Maaßen aus Südthüringen in der Mitte der CDU stehe. Maaßen, ehemaliger Chef des Verfassungsschutzes, hat immer wieder mit fragwürdigen Äußerungen Schlagzeilen gemacht. "Er ist Mitglied der CDU", windet sich Laschet und sagt: "In der Mitte der Partei steht er nicht." Ob Laschet ihn wählen würde? "Ich beantworte keine Würde-Fragen", entgegnet Laschet bloß schmallippig und setzt noch hinzu: "Herr Maaßen wird sich an den Kurs halten müssen, den ich vorgebe als Parteivorsitzender." Eine klare Positionierung ist das nur sehr bedingt.
Der unglücklichste Patzer
Beim Thema Kampf gegen Rassismus und der Diskussion, ob man genauso wenig mit der Linken wie mit der AfD koalieren dürfe, drängt Baerbock Laschet eigentlich erfolgreich in die Ecke. Unglücklich ist es deshalb, weil sie dabei den Anschlag in Hanau mit dem in Halle verwechselt. "Hanau, dieser furchtbare Anschlag auf eine Synagoge, wo dann zwei Menschen vor der Synagoge ermordet worden sind", sagt Baerbock, stockt dann kurz, und setzt mit einem Lächeln schnell hinzu: "Halle natürlich."
Die größte Enttäuschung
Sind ARD und ZDF. Das Studio sieht zwar etwas moderner aus als das von RTL vor zwei Wochen. Trotzdem haben die Öffentlich-Rechtlichen nicht ihren besten Abend. Die Sendung kommt zu Beginn schwer in Fahrt, auch weil Maybrit Illner und Oliver Köhr die Kandidaten zu Koalitionsaussagen bringen wollen, denen die drei selbstverständlich ausweichen. Die beiden Journalisten wirken ohnehin nicht besonders eingespielt. Häufig ist unklar, wer die nächste Frage stellt und womit es weitergeht. Im Studio fällt nach ein paar Minuten irgendetwas um. Später muss Annalena Baerbock die Moderatoren darauf hinweisen, dass die Uhr bei Olaf Scholz weiterläuft, obwohl er längst nicht mehr redet.
Der beste Spruch
Tja, wir würden hier gern etwas schreiben, und wir haben auch wirklich gesucht. Aber es ist, nun ja, sehr schwierig. Wir haben uns deshalb für diese Szene entschieden. Armin Laschet kommt plötzlich dran und fragt überrascht: "Wie war die Frage?" Irgendwie ist diese Situation symptomatisch für die Sendung. Denn vor dem Rätsel, um was es dort gerade geht, dürften zwischenzeitlich auch viele Zuschauer immer wieder gestanden haben.
Der lustigste Moment
Symptomatisch ist leider auch, dass wir an dieser Stelle gern für etwas Erheiterung sorgen würden, es aber leider nicht können. Es gibt in den 95 Minuten kein wirkliches Highlight, über das sich schmunzeln ließe. Lässt man mal den Krach im Studio und die Stoppuhr, die nicht stoppt, weg.
Das sagen die Zuschauer in der Nach-Triell-Umfrage
Nach Meinung der Zuschauer hat Olaf Scholz auch das zweite TV-Duell gewonnen. Einer Umfrage der ARD zufolge fanden 41 Prozent den SPD-Kanzlerkandidaten am überzeugendsten – und nur 27 Prozent Armin Laschet sowie 25 Prozent Annalena Baerbock. Das ZDF hat zumindest auf Platz zwei und drei eine andere Tendenz: Scholz hat sich demnach mit 32 Prozent am besten geschlagen, vor Baerbock (26 Prozent) und Laschet (20 Prozent).
- Eigene Beobachtungen