Europawahl 2019 Rechtsextreme legen zu – Verluste bei den Volksparteien
Trotz herber Verluste bleiben die Konservativen laut Prognosen stärkste Kraft im Europäischen Parlament. EU-Kritiker und grüne Parteien gewinnen an Zustimmung, doch die Ergebnisse unterscheiden sich EU-weit.
Die Europäische Union wird nach der Europawahl am Sonntag schwieriger regierbar. Nach herben Verlusten haben Christ- und Sozialdemokraten gemeinsam erstmals keine Mehrheit im Europaparlament. Gesucht werden nun Bündnisse mit Liberalen und Grünen, die beide deutlich zulegten. Rechtspopulisten und Nationalisten fuhren Erfolge in großen EU-Ländern ein, darunter Italien und Frankreich. Doch ein Rechtsruck blieb aus, auch wegen der hohen Wahlbeteiligung. Sie lag bei um die 50 Prozent.
Ob die EU-freundlichen Parteien der Mitte zusammenfinden, wird sich schon zu Wochenbeginn im Ringen um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten erweisen. Sowohl Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) von der Europäischen Volkspartei als auch der Sozialdemokrat Frans Timmermans wollen den mächtigen Spitzenposten. Auch die Liberale Margrethe Vestager erhob erstmals deutlich Anspruch. Für Mehrheiten stellen vor allem die Grünen Bedingungen: Sie pochen auf eine entschlossene Klimapolitik, denn sie sehen ihren Wahlerfolg als klaren Auftrag.
Christ- und Sozialdemokraten verlieren Mehrheit
Unter den 751 Abgeordneten des künftigen Europaparlaments wird die christdemokratische Europäische Volkspartei nach einer ersten Prognose des Europaparlaments auf 178 Sitze kommen, 38 weniger als bisher. Die Sozialdemokraten erhalten demnach 152 Mandate (minus 33). Die Liberalen liegen bei 108 Mandaten, wenn die Sitze für die Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mitgezählt werden (plus 39). Dahinter kommen die Grünen mit 67 Sitzen (plus 15). Die Linke verliert acht Sitze und kommt auf 39.
Weber sagte am späten Abend, dass die EVP zwar weiter stärkste Fraktion bleibe, er aber das Ergebnis nicht als Sieg sehe. "Wir erleben, wie die Mitte schrumpft", sagte der CSU-Vizechef.
Rechtsextreme in vielen Ländern vorn
Die bisher drei rechtspopulistischen und nationalistischen Fraktionen kommen zusammen auf 169 Sitze, 14 mehr als bisher. Stark schnitt nach ersten Prognosen vor allem die rechte Lega des italienischen Innenministers Matteo Salvini ab: Sie erreichte laut Prognosen vom späten Sonntagabend zwischen 27 und 31 Prozent der Stimmen.
In Frankreich schlug die Rechtspopulistin Marine Le Pen mit ihrer Partei Rassemblement National laut Prognosen knapp die Partei LREM von Präsident Emmanuel Macron und forderte prompt Konsequenzen. Aber sie kam mit 24,2 Prozent nicht über ihr Ergebnis von 2014 hinaus; damals waren es 24,9 Prozent. Einen großen Erfolg fuhr die neue Brexit-Partei von Nigel Farage in Großbritannien ein, die dort stärkste Partei wurde.
ÖVP trotz Regierungskrise vorne
Es wird erwartet, dass sich die rechten Fraktionen neu sortieren. So könnte sich die rechtsnationale Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban, die laut Prognosen stark hinzu gewann, von der EVP lossagen und sich der neuen Rechtsallianz von Salvini anschließen. Laut Prognosen lag Fidesz bei 42 Prozent und damit um 14 Prozentpunkte über dem Ergebnis von 2014.
In Österreich legte die konservative ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz deutlich zu, offensichtlich eine Folge des Skandals um den früheren Koalitionspartner FPÖ. Nach Berechnungen mehrerer Meinungsforschungsinstitute zufolge kommt die ÖVP auf 34,5 Prozent, das sind 7,5 Prozentpunkte mehr als bei der EU-Wahl 2014. Die FPÖ kommt auf 17,5 Prozent, ein Minus von 2,2 Prozentpunkten im Vergleich zu 2014.
Die sozialdemokratische SPÖ erreicht 23,5 Prozent, ein leichtes Minus von 0,5 Prozentpunkten im Vergleich zur letzten EU-Wahl. Die österreichischen Grünen kommen mit 13,5 Prozent nahe an ihr historisch bestes Ergebnis von 2014 heran, als sie 14,5 Prozent erhielten. Die liberalen Neos liegen erneut bei 8 Prozent.
Wo die Rechten verlieren
Einige Rechtsparteien schnitten schwächer ab als erwartet, darunter auch die Alternative für Deutschland. Sie kam auf rund 10,5 Prozent und lag damit über den 7,1 Prozent des Jahres 2014 – aber unter dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017. Auch in Finnland und Dänemark blieben die Parteien hinter den Erwartungen. In Österreich verlor die FPÖ nach dem Videoskandal laut Prognosen etwa 2,2 Prozentpunkte und kam auf 17,5 Prozent.
Die Schlappe der Volksparteien in Europa spiegelt sich auch in den Ergebnissen aus dem bevölkerungsstärksten EU-Mitgliedsland Deutschland, wo CDU/CSU und SPD historisch schlecht abschnitten.
In den Niederlanden – das bestätigten Trends, die das Europaparlament am Sonntagabend veröffentlichte – lagen die Sozialdemokraten um den Europa-Spitzenkandidaten Frans Timmermans völlig unerwartet vorn. In Irland stachen die guten Ergebnisse der Regierungspartei Fine Gael mit 29 Prozent und der Grünen mit 15 Prozent heraus. Auf Zypern lieferten sich die konservative zyprische Demokratische Gesamtbewegung DYSI und die linke Partei AKEL laut einer Prognose des Staatsrundfunks ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit jeweils 29 Prozent.
Sozialdemokratisches Comeback
In Spanien zeichnet sich bei der Europawahl ein deutlicher Sieg der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sánchez mit rund 28 Prozent der Stimmen ab. Die konservative Partido Popular kommt voraussichtlich auf 17 Prozent. Die ultrarechte Newcomer-Partei Vox kommt laut Prognose auf 6,5.
In Portugal haben die regierenden Sozialisten laut Prognosen mit 30 bis 34 Prozent einen klaren Sieg errungen. Platz zwei belegte die konservativ orientierte Sozialdemokratische Partei (PSD) mit 20 bis 24 Prozent. Auch in Finnland und Dänemark blieben die rechten Parteien deutlich hinter den Erwartungen.
In Schweden mussten ausgerechnet die Grünen deutliche Verluste hinnehmen: In der Heimat der jungen Klimaaktivistin Greta Thunberg, deren Bewegung "Fridays for Future" den Grünen in Deutschland Auftrieb gab, liegt die Partei bei 9,5 Prozent. Wenn sich diese Zahlen bestätigen, verlieren die schwedischen Grünen zwei ihrer vier Sitze im EU-Parlament. Die Sozialdemokraten konnten sich einer ersten Prognose des Fernsehsenders SVT mit 25,1 Prozent als stärkste Kraft behaupten. Die rechtsextremen Schwedendemokraten lagen mit 16,9 Prozent nur knapp hinter den Moderaten, die 17,6 Prozent gewannen, auf Rang drei.
Rechtsextreme verlieren massiv in Griechenland
Die konservative griechische Partei Nea Dimokratia ist laut erster Hochrechnung stärkste Kraft bei den Europawahlen in Griechenland geworden. Die Partei von Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis erhielt 33 Prozent der Stimmen (2014: 22,7 Prozent), wie das Innenministerium am Sonntag auf Basis von mehr als 14 Prozent ausgezählter Stimmen bekannt gab. Ministerpräsident Alexis Tsipras und seine Syriza erhielten 24 Prozent der Stimmen (2014: 26,6 Prozent).
Die sozialistische Partei KINAL (Bewegung des Wandels), ein Nachfolger der ehemaligen Partei PASOK, konnte ebenfalls nicht hinzugewinnen, wird jedoch drittstärkste Kraft. Sie erhielt 7,3 Prozent der Stimmen (2014 hatte das vergleichbare Mitte-Links-Bündnis Elia 8 Prozent erzielt). Die kommunistische Partei KKE an vierter Stelle kam auf 5,8 Prozent (2014: 6,1 Prozent).
Eine massive Niederlage steckte die rechtsextremistische Partei Goldene Morgenröte ein. Mit 4,9 Prozent der Stimmen wurde ihr Ergebnis von 2014 fast halbiert (damals 9,4 Prozent). Die Wahlbeteiligung in Griechenland lag bei 56,5 Prozent.
Rechte in Polen und Tschechien vorne
Alexis Tsipras hat vorgezogene Parlamentswahlen angekündigt. Grund dafür sei das schlechte Abschneiden seiner Partei, sagte er bei einer Pressekonferenz am Sonntagabend in Athen.
In Polen feierte die rechtsnationalistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) einen knappen Wahlsieg. Die Partei von Jaroslaw Kaczynski holte Prognosen zufolge 42,2 Prozent der Stimmen. Das pro-europäische Bündnis aus mehreren Oppositionsparteien kam demnach auf 39,1 Prozent. Die progressive Frühlingspartei des bekennenden Homosexuellen Robert Biedron errang 6,6 Prozent der Stimmen, ein rechtsextremes Bündnis 6,1 Prozent.
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In Tschechien ist die populistische Partei ANO von Ministerpräsident Andrej Babis mit sechs der insgesamt 21 tschechischen Sitze stärkste Kraft geworden. Auf den weiteren Plätzen folgten die Bürgerdemokraten (ODS) mit vier und die Piratenpartei mit drei Sitzen. Die fremdenfeindliche Freiheit und direkte Demokratie (SPD) holte zwei Mandate, wie die Statistikbehörde am Sonntag mitteilte.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters