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Absurde Gendersprache: Wenn Loriot das wüsste!


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Tagesanbruch
Gendersprache: Wenn Loriot das wüsste!

MeinungVon Florian Harms

23.01.2019Lesedauer: 6 Min.
Loriot alias Vicco von BülowVergrößern des Bildes
Loriot alias Vicco von Bülow (Quelle: imago)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Unsere Gedanken formen unsere Sprache. Umgekehrt prägt aber auch unsere Sprache unser Bewusstsein und unser Verhalten. Es macht also einen Unterschied, ob ich den Tagesanbruch mit den Worten “Guten Morgen, liebe Leser“ beginne oder mit dem Satz “Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser“. Und dabei sind wir schon beim Thema. Wer vor fünf, zehn Jahren über gendergerechte Formulierungen sprach, wurde meist angeschaut wie ein Alien: Bitte was? Aber Schritt für Schritt und Buchstabe für Buchstabe ist das Thema auf der Agenda von Politik und Medien immer höher geklettert – und jetzt ist es auch in der Herzkammer des deutschen Staates angelangt: den Behörden. Sicher, die offiziellen Briefe vom Finanzamt, der Kfz-Zulassungsstelle und dem Bürgerbüro enthalten schon länger Konstruktionen wie den Querstrich in Bürger/innen und anderen Worten. Derlei wurde einst als wichtiger Schritt in Richtung Gleichbehandlung von Männern und Frauen gefeiert.

Aber die Stadt Hannover geht nun noch einen großen Schritt weiter. Der gesamte offizielle Schriftverkehr der Landeshauptstadt soll künftig in “geschlechtergerechter Verwaltungssprache“ formuliert sein, hat das Referat für Frauen und Gleichstellung im Namen des Oberbürgermeisters verkündet. Die amtliche Empfehlung gilt für Präsentationen, Broschüren, Pressemitteilungen, Drucksachen, Hausmitteilungen, Flyer, Briefe, Formulare und E-Mails. Damit Sie sich das konkret vorstellen können: Unerwünscht sind in Hannover künftig das “Rednerpult“, die “Rednerliste“, der “Protokollführer“ und die “Teilnehmerliste“. Stattdessen sollen die Begriffe “Redepult“, “Redeliste“, “das Protokoll schreibt“ und “Teilnahmeliste“ verwendet werden. Der “sozialpädagogische Berater“ steht künftig ebenso auf der Giftliste wie das “Wählerverzeichnis“ und der “Ansprechpartner“. Stattdessen muss es heißen: “sozialpädagogisch beraten durch“, “Wählendenverzeichnis“ und “Auskunft gibt“. Der “Erziehungsberechtigte“ ist falsch, richtig sind “erziehungsberechtigte Personen“ (könnten ja zwei, drei oder mehr sein). Denn auch des Plurals haben sich die Hannoveraner Sprachpolizisten angenommen: “Lehrer“ sind künftig “Lehrende“, ja, noch nicht mal mehr “Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ soll man mehr sagen, sondern “die Mitarbeitenden“.

Und spätestens da hört es bei mir auf. Wäre ich ein städtischer Angestellter, Entschuldigung: eine bei der Stadt angestellte Person, würde ich misstrauisch, wenn die Behörden mir vorschreiben, wie ich zu schreiben oder zu reden habe. Bevor ich jetzt einen Proteststurm von Feministinnen, Entschuldigung: von Feministinnen und Feministen ernte, wiederhole ich mich schnell noch mal: Ja, Sprache prägt das Bewusstsein. Und ja, Männer haben viel zu viele Jahrhunderte lang alleine das Sagen gehabt. Wenn wir unsere Gesellschaft gerechter machen wollen (und das wollen wir hoffentlich alle), dann müssen wir auch hinterfragen, wie wir miteinander kommunizieren. Sprache ist ja nicht statisch, sie lebt, wächst und verändert sich mit uns, wie der kontinuierlich dicker werdende Duden beweist.

Aber wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Wenn in Behörden der Pietcong die Macht erobert, dürfen wir zur verbalen Selbstverteidigung greifen. Wenige Sprachen sind so präzise wie die deutsche – das ist keine Zumutung, sondern ein Schatz, den es zu behüten gilt. Es hat ja einen Grund, dass die Rednerliste Rednerliste und nicht “Redeliste“ heißt. Weil darauf halt steht, wer etwas sagen will und nicht, was gesagt werden soll.

Die Hannoveraner ficht das nicht an, sie gehen sogar noch weiter: “Wenn eine geschlechtsumfassende Formulierung nicht möglich ist, ist der Gender Star zu verwenden“, lautet die Anweisung von oben. So soll der neuen Gesetzgebung entsprochen werden, der zufolge im Personenstandsregister auch das dritte Geschlecht “divers“ geführt wird. “Das Sternchen* zwischen der maskulinen und femininen Endung soll in der Schriftsprache als Darstellungsmittel aller sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten dienen und hebt gezielt den Geschlechterdualismus auf“, teilen die Hannoveraner Spezialisten mit. Künftig sollen Briefe und E-Mails also nicht mehr mit “Liebe Kolleginnen und Kollegen“ begonnen werden, sondern mit “Liebe Kolleg*innen“. Aber dabei bleibt es nicht, auch für die gesprochene Amtssprache stellen die Hannoveraner Leitplanken auf: “Beim Vorlesen wird der Gender Star durch eine kurze Atempause gekennzeichnet.“

"Vielfalt ist unsere Stärke – diesen Grundgedanken des städtischen Leitbilds auch in unserer Verwaltungssprache zu implementieren, ist ein wichtiges Signal und ein weiterer Schritt, alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht anzusprechen", sagt der Hannoveraner Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD). Ich stelle mir nun vor, wie Herr Schostok künftig seine Oberbürgermeisteransprachen in Ämtern, Festhallen und Fußgängerzonen hält und alle paar Sekunden ein Kunstpäuschen einlegt: “Liebe Mitbürger – Pause – innen, ich freue mich, dass wir heute die Schüler – Pause – innen der ersten Klasse einschulen können.“ Und dann wünsche ich mir sehr, dass Loriot noch leben würde. Um den Hannoveraner Schildbürgern mit zwei, drei politisch unkorrekten Sätzen klarzumachen, welchen Unsinn sie da veranstalten.

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WAS STEHT AN?

Ein paar Politpromis sind also doch nach Davos gekommen, um sich zwischen Schnee und Scheinwerfern über große und kleine Krisen sowie ihre eigene Großartigkeit zu unterhalten. Heute geben sich auf dem Weltwirtschaftsforum Kanzlerin Merkel, Japans Ministerpräsident Abe, Italiens Ministerpräsident Conte, Spaniens Regierungschef Sánchez und Chinas Vizepräsident Wang die Türklinke und das Mikrofon in die Hand. Alle haben sie eines gemeinsam: Ihre Politik steht unter dem Schatten des Elefanten, der zwar nicht da ist, aber trotzdem unsichtbar im Raum steht und alle verunsichert.

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Der Elefant muss sich nämlich in Washington mit den Folgen der heute schon 32 Tage andauernden Haushaltssperre herumschlagen, die er selbst provoziert hat. Ein Viertel aller Bundesbehörden steht still, rund 800.000 Bedienstete sind betroffen. Das FBI beklagte sich gestern, dass es keine Drogen für verdeckte Einsätze und kein Kopierpapier mehr kaufen könne. Na dann.

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Weil noch nicht mal US-Außenminister Mike Pompeo nach Davos fliegen wollte, fliegt Bundesaußenminister Heiko Maas heute zu ihm. Der SPD-Mann will mit dem Trump-Mann über das Verbot atomarer Mittelstreckenraketen reden. Die USA werfen Russland einen Verstoß gegen den INF-Abrüstungsvertrag vor und wollen diesen kündigen, falls Moskau bis zum 2. Februar nicht einlenkt. Deutschlands Sicherheit würde das bedrohen. Gut also, dass unser Mann fliegt.

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Bundesinnenminister Seehofer (CSU) präsentiert heute mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylzahlen 2018 und den Migrationsbericht der Bundesregierung. Meine Politikkollegen werden berichten.

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In Venezuela gehen die Menschen gegen Präsident Maduro auf die Straße, der trotz einer von Fälschungsvorwürfen begleiteten Wahl seine zweite Amtszeit angetreten hat. Das entmachtete Parlament will ihn aus dem Amt drängen und Neuwahlen ausrufen: In Caracas ist heute eine Großdemonstration geplant.

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Ertönen mehrere Stimmen und Geräusche gleichzeitig, verstehen manche Menschen: gar nichts mehr. Ich bin so einer. Nicht schön in lauten Restaurants, aber auch an Bahnhöfen. Deshalb freue ich mich, dass die Deutsche Bahn nun etwas für sensible Hörer wie mich tut: In Frankfurt stellt die Bahn ein neues Audiosystem für deutlichere Durchsagen an Bahnsteigen vor. Mittels der neuen Übertragungstechnik soll es möglich sein, den Schall präzise auf ganz bestimmte Bahnsteigbereiche zu richten. Endlich werde ich verstehen, wo der Speisewagen hält.

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"Oh, wie ist das schön", hallte es nach dem knappen Sieg der deutschen Handballer gegen die Kroaten durch die Kölner Arena. Fast so schön wie bei der legendären Weltmeisterschaft 2007. Damals feierten Pascal Hens und Co. in Köln den WM-Titel. Mit dieser Mannschaft wird das aktuelle Team nun häufiger verglichen. Zu Recht? Mitnichten, sagt unser Kolumnist Henning Fritz, und der muss es wissen. Schließlich stand er nicht nur 2007 auf dem Feld, sondern kennt auch die heutige Mannschaft bestens. Welche Unterschiede er sieht und warum eine Niederlage gegen Spanien heute gar nicht schlimm wäre, erklärt er hier.

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WAS LESEN?

Gestern unterzeichneten Angela Merkel und Emmanuel Macron den neuen deutsch-französischen Vertrag. Grund genug für meine Kollegin Helena Serbent, unseren Nachbarn im Westen eine Liebeserklärung zu schreiben: Die Freundschaft mit den Franzosen ist einfach das Beste, was uns Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg passieren konnte.

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Der Neandertaler hat es nicht leicht. Landläufig gilt unser ausgestorbener Verwandter als grobschlächtiger Keulenschwinger, der gegen unsere eigenen Vorfahren nichts zu melden hatte. Nun belegt eine neue Studie, dass der Homo sapiens auch nicht viel besser war – zumindest wenn man die Häufigkeit von Schädelverletzungen betrachtet: Demnach haben sich Neandertaler und unsere Vorfahren ebenso häufig die Schädel eingeschlagen. Doch unser Ahne profitierte möglicherweise von einem entscheidenden Vorteil. Welchem? Das verrät Ihnen unsere Archäologie-Expertin Angelika Franz.

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WAS FASZINIERT MICH?

Zum Schluss ein bisschen Poesie. Keine Angst, ich werde Sie jetzt nicht mit schlechten Reimen quälen. Ich möchte Ihnen Fotos zeigen, die eine faszinierende Geschichte haben. Sie stammen aus einem Lagerraum: aus Kisten, die zwangsversteigert wurden, als die Mieterin für das Lager nicht mehr bezahlte. Was für ein Zufallstreffer! Der überraschte Käufer stellte ein paar der Fotos ins Internet, dann ging der Wirbel los. Aber das Rätsel um die unbekannte Künstlerin erwies sich als harte Nuss – bis ihr Name in der Lokalpresse auftauchte: in ihrer Todesanzeige. Das fotografische Talent der Vivian Maier hatte ihr Leben lang niemand erkannt. Jetzt gibt es Bildbände, weltweit Ausstellungen, einen Dokumentarfilm. Eine melancholische, poetische Geschichte. Aber nicht so poetisch wie diese Bilder.

Ich wünsche Ihnen einen poetischen Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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