Presse zum Meuthen-Rückzug "Die Opferrolle passt nicht"
Jörg Meuthen hat seinen Rücktritt als AfD-Chef und seinen Austritt aus der Partei bekanntgegeben. In der nationalen Presse überwiegt eine Meinung zu seiner Entscheidung. Ein Überblick.
Der langjährige AfD-Chef Jörg Meuthen hat mit sofortiger Wirkung sein Amt als Parteivorsitzender niedergelegt. Zugleich erklärte er seinen Austritt aus der Partei. Er begründete diesen Schritt mit dem aus seiner Sicht zu radikalen Kurs vieler AfD-Spitzenfunktionäre. Nun bezieht die nationale Presse Stellung zu seinem Rücktritt. Ein Überblick:
"Tagesschau", Berlin: "(...) Wenn der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen nun seinen Rücktritt und gleich auch seinen Austritt aus der Partei mit der Beobachtung begründet, es gebe zunehmend 'totalitäre Tendenzen' in seiner Partei, dann ist das scheinheilig. Denn Meuthen hätte seit Jahren riechen können, wie sehr der 'gärige Haufen' um ihn herum stinkt. Meuthen hätte den Faulprozess beenden müssen – etwa, indem er notorische Pöbler wie Björn Höcke oder Stefan Brandner aus der Partei schmeißt. Stattdessen aber hat Meuthen selbst immer wieder Hass und Hetze verbreitet und rassistische Ressentiments im Land befeuert – weil genau das das Kapital ist, aus dem seine Partei Wählerstimmen macht."
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"Der neue Tag", Weiden: "Nach Backbord, also links, wollte in der AfD nie jemand. Auch nicht Jörg Meuthen, der in den letzten Jahren verzweifelt versuchte, den stramm nach Steuerbord driftenden Dampfer – so gut, wie es eben ging – auf Kurs zu halten. Dem Chef der Alternative für Deutschland fehlte eben diese am Ende: Der Kapitän Meuthen geht von Bord, weil die Meuterei der Hardliner erfolgreich war. Und jetzt? Für die Partei beginnt eine Fahrt in neue politische Gewässer – Zielhafen unbekannt. Nun bleiben vor allem zwei Fragen: Wie viele Mitglieder der Meuthen-Crew gibt es in der AfD noch? Und werden sie die Partei nun auch verlassen? Konsequent wäre es, denn die Partei hat sich schließlich für einen Kurs entschieden, der für die Meuthen-Crew einfach nicht tragbar sein kann."
"Südkurier", Konstanz: "Für die Stimmen der Gemäßigten ist in der AfD kein Platz mehr. Nach Bernd Lucke und Frauke Petry ist es Jörg Meuthen, der dem Druck von rechts nachgibt und seinen einsamen Posten räumt. Das war zu erwarten, nachdem auf dem letzten Parteitag in Dresden der "Flügel" unter Björn Höcke in die Offensive gegangen war und Meuthen zeigte, wohin der Hase läuft: in die rechtsextreme Sumpflandschaft. Dass sich der Wirtschaftsprofessor aus Kehl mit Forderungen nach dem EU-Austritt Deutschlands nicht gemein machen kann, spricht für ihn. Doch fragwürdig war sein rhetorisches Taktieren allemal. Immer wenn AfD-Polterer mit rechten Sprüchen provozierten, gehörte der Co-Parteichef zu den Entschuldigern, die flink beteuerten, dass das alles nicht so gemeint sei. Sein Europa-Mandat will Meuthen behalten. Vermutlich sitzt ihm das Hemd näher als der Rock. Werden Ermittlungen zu illegalen Parteispenden eingeleitet, dürfte Meuthens politische Laufbahn beendet sein."
"Südwest Presse", Ulm: "Meuthen begründet seinen Schritt damit, dass die Radikalen die Partei übernommen hätten. Dafür gibt es zwar durchaus Argumente, aber doch macht er es sich damit zu einfach. Schließlich hatte er selbst früher mit dem nur formal aufgelösten rechtsradikalen Flügel paktiert, um Mehrheiten zu sichern. Vermissen wird die AfD sein rhetorisches Geschick, das er bei seinem Abschied nun gegen die Partei verwendet – und dadurch für sie den größtmöglichen Schaden anrichtet."
"Volksstimme", Magdeburg: "Dass Jörg Meuthen den Kampf gegen die rechtsextremen Ausleger seiner Partei verloren hat, ist bereits seit vergangenem Jahr klar. Nun vollzieht der langjährige Vorsitzende den endgültigen Bruch und tritt aus der AfD aus. Ein Schritt, den Meuthen bereits angedeutet hatte. Was bedeutet der Rückzug Meuthens für die AfD? Die Partei wird noch weiter nach rechts rücken, womöglich aber nach außen geschlossener auftreten können. Die Parteispitze muss sich immer weniger Mühe geben dabei, ihre radikalen Ziele zu verschleiern – auch wenn man sich auf den ersten Blick weiter bürgerlich geben wird. Dass extremistische Kräfte in der AfD an Bedeutung gewonnen haben, daran ist Jörg Meuthen aber nicht ganz unschuldig. Zu lange duldete er den "Flügel" um Björn Höcke. Für den ist der Tag des Austritts von Meuthen ein Feiertag. Höcke kann nun nahezu ungestört innerhalb der Partei weiter an Einfluss gewinnen."
"OM-Mediengruppe", Vechta/Cloppenburg: "Der Rücktritt von Jörg Meuthen kommt nach den Querelen der vergangenen Monate nicht überraschend. Er offenbart vielmehr eine sich wiederholende Überlebensstrategie in dieser inhaltlich irrlichternden Partei: die Radikalisierung nach Rechts. Nun ist Meuthen dran. Dabei hat sich der Wirtschaftsprofessor alle Mühe gegeben, sich jedem in der AfD anzubiedern. Die Opferrolle passt daher nicht zu dem 60-jährigen Opportunisten. Er hat den Flügel um den Faschisten Björn Höcke aus Eigennutz geduldet – bis der Verfassungsschutz der AfD immer mehr auf die Pelle gerückt ist. Prompt hat er versucht, die Rolle des Feigenblatts als liberaler Demokrat einzunehmen. Der Rest der Partei hat inzwischen die Corona-Leugner als Wähler für sich entdeckt und sich damit weiter radikalisiert. Das Feigenblatt braucht keiner mehr."
"Ludwigsburger Kreiszeitung": "Die Partei verliert ein bürgerliches Feigenblatt. Die Radikalen in der Partei werden zwar vordergründig gestärkt. Doch Meuthen wird zum Kronzeugen. Selbst wenn er nicht mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten sollte, worum dieser sich bemühen dürfte: Mit seiner Klage über die Macht des aufgelösten rechtsextremen, völkischen Flügels liefert er der Behörde Argumente, um die Notwendigkeit einer Einstufung der Partei als Verdachtsfall vor Gericht zu begründen. Für vergleichsweise gemäßigte AfDler im Westen der Republik ist Meuthens Austritt ein harter Schlag. Obwohl sie einen Großteil der Mitglieder stellen, werden sie weiter geschwächt. Dass die Partei so Chancen hat, bundesweit als politische Kraft zu überleben, ist eher zweifelhaft."
"Frankfurter Rundschau": "Spätestens nach den Abschiedsworten des langjährigen AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen muss allen klar sein, wie rechts die sogenannte Alternative für Deutschland ist. Sie steht "nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung" und hat "ganz klar totalitäre Anklänge". Zudem äußert sich der Thüringer Landeschef Björn Höcke wiederholt "nationalsozialistisch". Nimmt man Ergebnisse des Verfassungsschutzes hinzu, dann trifft dieser Befund nicht nur auf Teile der Partei zu, wie Meuthen behauptet. Vielmehr gilt dann für fast die gesamte AfD, dass sie völkisch, rassistisch oder antisemitisch ist. All dies sollten alle jene politischen Kräfte nicht mehr ignorieren, die mit der AfD flirten oder bereits zusammenarbeiten – wie etwa der Christdemokrat Max Otte, der sich von den Rechtsextremen als Bundespräsidenten-Kandidat küren ließ. Vielmehr ist und bleibt die AfD für alle demokratischen Kräfte der politische Gegner."
"Stuttgarter Zeitung": "Meuthen hatte zuletzt keine Handlungsoption mehr. Seine Macht erodierte spätestens seit er seinen Rückzug vom Vorsitz angekündigt hat. Diese Woche nun erlitt er eine Demütigung, als er in der Frage des Kandidaten fürs Bundespräsidentenamt fulminant überstimmt wurde. Indem Meuthen nun der Partei komplett den Rücken kehrt, versucht er seinen Gegnern zu schaden. Denn was er über die Radikalisierung der AfD sagt, werden der Verfassungsschutz und ein Gericht, das im März über die Beobachtung entscheidet, mit Interesse hören. Zum anderen versucht der Hochschullehrer, seinen Ruf zu retten und sich als gemäßigt darzustellen. Das sollte man ihm nicht abnehmen: Meuthen verhalf dem radikalen Flügel zu Bedeutung, solange jener ihm zum Machterhalt nützte. Nun ist die Strömung so mächtig geworden, dass sie Meuthen nicht mehr braucht. Sein Abschied wird die AfD kaum verändern."
"Nürnberger Nachrichten": "Inhaltlich hat sich Meuthen schon lange und ungewohnt deutlich von der – sagen wir es mal auf AfD-Deutsch – "Mainstream"-Linie seiner Partei losgesagt. Und die kennt nur eine Richtung: immer weiter nach rechts. An Belegen dafür mangelt es nicht. In Bayern sorgte die AfD erst kürzlich durch jene Chat-Gruppe für Aufsehen, in der Parteimitglieder Umsturz-Gedanken verbreiteten – dabei ausgerechnet auch der nun vorerst geschasste Vorsitzende des Bildungs(!)-Ausschusses im Landtag."
"Augsburger Allgemeine": "Meuthens Austritt ist Ausdruck seines eigenen Scheiterns. Wie seine Vorgängerin Frauke Petry hatte er aus opportunistischen Gründen zugelassen, dass die AfD zum Sammelbecken rechtsextremistischer Kräfte wurde. Und wie Petry haben diese Kräfte letztlich auch Meuthen aus der Partei gedrängt."
- Nachrichtenagentur dpa
- "Tagesschau": Ein Provokateur im Schafspelz