Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann kritisiert Grüne: "Als Milieupartei gelandet"
Regierungschef Kretschmann zieht Bilanz nach der Wahl – und schießt gegen das Vorgehen seiner Partei. Gegenteilige Stimmung herrscht hingegen auf dem Parteitag: Die Grünen hätten viel geschafft, so Kellner.
Die Grünen müssen aus Sicht von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann Konsequenzen aus der Bundestagswahl ziehen und für mehr Menschen wählbar werden. "Wir wollten die Kanzlerin stellen und sind auf knapp 15 Prozent gekommen. Da klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit", sagte der Grünen-Politiker der "Heilbronner Stimme" und dem "Südkurier" (Samstag). Es sei nicht gelungen, die parteiinterne Beliebtheit von Annalena Baerbock auf die Bevölkerung zu übertragen. "Wir sind als Bündnispartei in den Wahlkampf gestartet und als Milieupartei gelandet. Nun müssen wir wieder auf den Pfad der Bündnispartei zurückfinden."
Wenn man als Partei mit acht Prozent zufrieden sei, könne man sich anders verhalten, als wenn man 18 oder 28 Prozent erreichen wolle, sagte Kretschmann. "Dann ist öffentlich ein ganz anderes Auftreten nötig. Je mehr Wähler, umso heterogener die Wählerschaft."
"Also schreckt man viele Menschen ab"
Wenn eine Partei breite Teile der Gesellschaft erreichen und bei Wahlen erfolgreich sein wolle, dann müsse sie ihr Themenspektrum erweitern und auch Meinungsvielfalt ertragen, sagte der Regierungschef. Bei der Bundestagswahl im September 2021 erreichten die Grünen 14,8 Prozent und hatten damit keine Chance, die Kanzlerin zu stellen. Kretschmann selbst kam bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2021 mit den Südwest-Grünen auf 32,6 Prozent.
Wenn ein Politiker auf einem Parteitag die Leib- und Magenthemen der Partei bespiele, jubelten ihm die Delegierten zu, sagte Kretschmann den beiden Blättern. "Aber ein Großteil der Wählerschaft ist nun mal der eigenen Partei nicht derart zugetan." Selbst die CSU in Bayern habe keine absolute Mehrheit mehr. "Also schreckt man viele Menschen ab, auch andere Themen müssen behandelt werden."
Rasmus Andresen, Sprecher der Grünen im Europaparlament, forderte derweil, das soziale Profil der Grünen zu schärfen. "Auch wenn wir Politik machen, von der Menschen mit wenig Einkommen am meisten profitiert, sind wir das Image einer Partei für Besserverdienende noch nicht los." Die Partei müsse "Finanzminister Lindner in der Finanzpolitik kritisch auf die Finger schauen", so Andresen zu t-online.
Optimistische Stimmung auf Parteitag
Indes haben die Grünen unter dem Motto "Wurzeln für die Zukunft" ihren digitalen Bundesparteitag begonnen. Es fange ein neues Kapitel an, sagte der scheidende Politische Bundesgeschäftsführer Michael Kellner zum Auftakt am Freitag. Vor Ort im Berliner Velodrom waren nur einige führende Grüne präsent. Die mehreren Hundert Delegierten waren online zugeschaltet.
Die Grünen hätten viel geschafft, erklärte Kellner. "Wir sind keine kleine Partei mehr." Gegen den Trend legten die Grünen klar an Mitgliedern zu. Am Samstag sollten der Bundesvorstand und der Parteirat neu gewählt werden. Die Erwartungen an das neue Führungsduo aus Ricarda Lang und Omid Nouripour sind hoch in der Partei. "Wir brauchen eine selbstbewusste Partei, die sich traut, eigene Positionen zu beziehen und unser Profil zu schärfen", sagte Andresen zu t-online.
Die Grünen sind erstmals seit sechzehn Jahren wieder Teil einer Bundesregierung. "Jetzt beginnt eine neue Zeit", sagte Kellner. Es gehe nicht darum, es besser zu wissen, sondern es besser zu machen. Daran werde seine Partei gemessen. Dafür seien die Grünen angetreten, dafür hätten sie gekämpft. "Festigen wir die Wurzeln für die Zukunft."
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche