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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit um staatliche Förderung Millionen für AfD-Stiftung? Kritiker fürchten "Katastrophe"
Erstmals könnte die AfD-nahe Erasmus-Stiftung etliche Millionen Euro Förderung vom Staat erhalten. Gegner warnen vor einer "rechts-braunen Infrastruktur", Grüne und Linke fordern ein neues Gesetz.
Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank findet drastische Worte: "Die Katastrophe für unsere Demokratie hat begonnen", warnt Meron Mendel. Politiker, die jetzt nichts gegen "diese Katastrophe" unternähmen, würden sich mitschuldig machen.
Die Katastrophe, die Mendel meint, ist die drohende staatliche Förderung der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES). Seit 2017 gibt es die Stiftung, ein Jahr darauf hat die AfD sie als parteinah anerkannt. An ihrer Spitze steht Erika Steinbach, einst CDU-Politikerin, die regelmäßig Schlagzeilen durch antisemitische und fremdenfeindliche Äußerungen macht – zum Beispiel mit der Behauptung, dass Kinder von AfD-Mitgliedern die "neuen Juden-Kinder" seien. Laut Steinbach soll die AfD-Stiftung zum "'Sperrbrecher' bestehender Tabuisierungen" werden.
Bisher hat die Stiftung keine Fördergelder aus Steuermitteln erhalten. Mit dem Wiedereinzug der AfD in den Bundestag könnte sich das ändern. Denn Zuschüsse aus Haushaltsmitteln können parteinahe Stiftungen dann erhalten, wenn sie eine dauerhaft relevante Grundströmung vertreten. Dafür muss eine Partei mindestens zweimal in den Bundestag gewählt werden – bei der AfD ist das mit dieser Bundestagswahl der Fall.
50 bis 70 Millionen Euro Förderung möglich
Den Stiftungen winken dann enorme Summen, über deren Verwendung kaum bis keine Rechenschaft abgelegt werden muss. Diese Intransparenz ist in der Vergangenheit oft kritisiert worden. Rund 660 Millionen Euro haben die sechs parteinahen Stiftungen zuletzt pro Jahr untereinander aufgeteilt. Nach dem bisherigen Schlüssel könnten der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES), stößt sie in den Kreis der Auserwählten vor, schätzungsweise 50 bis 70 Millionen Euro jährlich an Förderung zustehen.
Das sind die parteinahen Stiftungen
Zu den parteinahen Stiftungen, die bisher die Fördermittel unter sich aufteilen, gehören die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung, die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung, die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung sowie die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linken nahesteht.
Problematisch findet das nicht nur Mendel. "Die Desiderius-Erasmus-Stiftung hält geschichtsrevisionistische Veranstaltungen ab, auf denen die 'Schuldfrage' zum Zweiten Weltkrieg neu gestellt wird, die Erinnerung an die Shoah an den Rand gedrängt wird oder bei denen gefordert wird, den Islam zu verbieten", sagte der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck t-online. Politische Stiftungen erhielten Fördergelder, um die Verankerung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf pluralistische Art zu fördern. Die DES aber habe ein "indifferentes bis ablehnendes Verhältnis" zu diesem Zweck und dürfe nicht zum Fördergeldempfänger werden.
Vordenker der Neuen Rechten
Arne Semsrott, ehemals Leiter von "Transparency Deutschland", inzwischen Leiter von "Frag den Staat", hat die Arbeit und das Personal der Stiftung in einer neuen Studie unter die Lupe genommen. So gut es geht – die Stiftung hüllt sich größtenteils in Schweigen über ihre Arbeit, eine aktuelle Liste der Kuratoriumsmitglieder ist nicht verfügbar, die Übersicht über das Spitzenpersonal wurde von der Homepage gelöscht.
Auf Grundlage zuvor verfügbarer Daten legt Semsrott dar, dass eng mit der Szene der Neuen Rechten verbundene Köpfe in der Stiftung den Ton angeben – neben Erika Steinbach finden sich darunter geschichtsrevisionistische Autoren wie Karl Albrecht Schachtschneider und Alfred-Maurice de Zayas sowie Karlheinz Weißmann, Mitgründer des "Instituts für Staatspolitik", das der Verfassungsschutz von Sachsen-Anhalt gerade als rechtsextrem eingestuft hat.
Seminarinhalt: Wie entgeht man dem Verfassungsschutz?
Schon jetzt betreibt die Stiftung ein Bildungswerk, das der AfD nahestehende Personen in Rhetorik, Argumentation sowie Social Media schult. Laut "taz" ein Seminarinhalt: Strategien, um einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen. Eine Politische Akademie soll außerdem "Forum für den Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft" sein, schreibt Semsrott unter Berufung auf Publikationen der Stiftung. Stipendien sollen Nachwuchskräfte sowie Kunst und Kultur unterstützen, um "die kulturelle Identität unseres Landes zu bewahren".
Bisher ist die Desiderius-Erasmus-Stiftung klein und arbeitet oftmals im Verborgenen. Eine staatliche Millionenförderung würde zumindest Ersteres ändern, schreibt Semsrott. Die Pläne zum Ausbau wurden demnach aus einem internen Konzept 2018 bekannt: Mehr als 900 Mitarbeiter will die DES perspektivisch in den unterschiedlichen Bereichen einsetzen.
Wie wird das Geld aufgeteilt?
Gesplittet wird die Förderung für die parteinahen Stiftungen nach den Wahlergebnissen der Parteien. Um eine gewisse Stabilität zu gewährleisten, wird ein Durchschnitt der letzten drei bis vier Legislaturperioden berechnet. Diese Bundestagswahl hat deswegen massiven Einfluss auch auf die bildungspolitische Arbeit der Stiftungen: Das mit unter fünf Prozent sehr schlechte Ergebnis der Linken und die historischen Verluste der CDU bedeuten große Einbußen für Rosa-Luxemburg- und Konrad-Adenauer-Stiftung.
Pädagoge Mendel hält die Folgen einer Förderung der DES für zutiefst demokratieschädigend und warnt vor einer "rechts-braunen Infrastruktur im akademischen Feld". Ganze Jahrgänge von Nachwuchswissenschaftlern könnten maßgeblich mitgeprägt werden von der antidemokratischen Weltanschauung der Erasmus-Stiftung. Eine öffentliche Förderung der AfD-Stiftung bedeute konkret: "Es wird jeden Tag ein bisschen gefährlicher für Jüdinnen und Juden, für Schwarze Menschen und People of Color, für Schwule, Lesben und queere Menschen."
"Wir brauchen dringend eine Regelung"
Mendel, Semsrott und Beck dringen mit Blick auf die drohende Mega-Finanzspritze für die Desiderius-Erasmus-Stiftung gleichermaßen darauf, die Förderung der parteinahen Stiftungen zügig zu regeln. Appelle richten sie zum Teil deutlich an die künftige Regierung, die gerade in Berlin sondiert. Die Bildungsstätte Anne Frank fordere "die nächste Regierung" auf, die Finanzierung der Stiftungen so zu regeln, dass "Menschenfeinde" von der staatlichen Förderung ausgeschlossen seien, so Mendel. "Wir brauchen dringend eine Regelung in der ersten Hälfte der kommenden Legislatur", sagt Grünen-Politiker Beck, der bereits vor Monaten mögliche Eckpunkte für eine Regelung vorgelegt hat.
Mehrere Ansätze kursieren bereits. Mendel und Semsrott plädieren für ein Stiftungsfinanzierungsgesetz, Beck für ein "Wehrhafte-Demokratie-Gesetz", das weiter reicht und unter anderem auch eine dauerhafte Finanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen garantieren soll. Der Ansatz ist im Kern derselbe: Nur wer sich glaubhaft der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verschreibt, soll in Zukunft Geld vom Staat erhalten können.
Die Grünen haben sich die Neuregelung des Stiftungssektors bereits in ihr Wahlprogramm geschrieben. Man wolle eine "eigenständige gesetzliche Grundlage", um die Arbeit der politischen Stiftungen genauer zu regeln, heißt es darin. Ein Thema also auch bei den aktuellen Sondierungsgesprächen mit SPD und FDP? Das will zurzeit niemand konkret beantworten, die Inhalte der Sondierungen sollen vorerst streng geheim bleiben.
Grüne warnen vor "Kulturrevolution von rechts"
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen und Mitglied des Innenausschusses, aber teilt mit: "Wir Grüne werben weiterhin dafür, ein Stiftungsgesetz zu verabschieden." Ein solches Gesetz müsse sicherstellen, dass die staatlich geförderten Parteistiftungen an den Werten des Grundgesetzes orientiert seien. "Die 'Neue Rechte' versucht eine 'Kulturrevolution von rechts' herbeizuführen, durch die antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchgesetzt werden sollen", so Notz weiter. Es sei Verantwortung aller Demokraten, zu verhindern, dass öffentliche Mittel dafür genutzt würden.
Unterstützung für ihren Plan finden die Grünen in der Opposition. Martina Renner, Mitglied des Innenausschusses bei der Linken, plädiert ebenfalls für ein "Stiftungsförderungsgesetz", das die Verteilung der Gelder transparenter macht und sie an demokratische Kriterien bindet. Zur Orientierung könnten dabei die vom Bundesverfassungsgericht im Urteil zum NPD-Verbotsverfahren niedergelegten Merkmale der Verfassungswidrigkeit dienen, empfiehlt sie auf Anfrage von t-online.
Bisher hat die Desiderius-Erasmus-Stiftung für das Jahr 2022 einen Förderantrag über rund 7,86 Millionen Euro gestellt, wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage von t-online mitteilt. Das Innenministerium hat den Antrag an das Bundesverwaltungsamt weitergeleitet, das habe ihn bis auf Weiteres zurückgestellt – noch nämlich ist das Haushaltsgesetz für 2022 nicht in Kraft getreten, über Förderanträge könne deswegen noch nicht entschieden werden.
Mit Blick auf die sehr viel größere Finanzspritze, die Beteiligung an den sogenannten "Globalzuschüssen" für die parteinahen Stiftungen, teilte DES-Vorsitzende Erika Steinbach der "Tagesschau" auf Anfrage mit, dass sie bereits den Haushaltsausschuss und die Vertreter der anderen parteinahen Stiftungen angeschrieben habe. Eine Antwort stehe noch aus.
- Anfrage an/Gespräche mit Meron Mendel und Volker Beck, Martina Renner und Konstantin von Notz
- Anfrage an das Bundesinnenministerium
- Tagesschau: Geldsegen für AfD-nahe Stiftung
- Frag den Staat: Studie: Politische Bildung von Rechtsaußen