Grüne und die Industrie Baerbock macht Wahlkampf zwischen Walzen
Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat ein Stahlwerk in Ostbrandenburg besucht. Dort befürchten die Mitarbeiter durch die anstehenden Klimaziele große Verluste.
Ausgerechnet die energiehungrige Stahlindustrie soll klimaneutral werden, also kein CO2 mehr ausstoßen. Im ostbrandenburgischen Eisenhüttenstadt, das den größten Arbeitgeber der Region mit 2.700 Mitarbeitern schon im Namen trägt, löst das Sorgen aus. "Was wird aus den gut bezahlten Arbeitsplätzen, die wegfallen?", fragt Hochofen-Arbeiter Chris Rücker Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. "Die Zukunftsängste sind groß. Das wollte ich mal gesagt haben."
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Baerbock hört zu, dankt für die offenen Worte und versichert, ihr gehe es nicht allein um "grünen Stahl" sondern auch um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Die Grünen-Chefin lässt sich an diesem heißen Frühsommerfreitag die Verzinkungsanlage des ArcelorMittal-Werks zeigen.
Ein Roboter schöpft Schlacke, millimeterdünner Stahl läuft über riesige Walzen, über allem befördert ein Deckenkran tonnenschwere Stahlrollen quer durch den Raum. Es ist nur eine Station des gewaltigen Werks, das jährlich 1,7 Millionen Tonnen Stahl produziert. Ein Großteil davon geht an die Autobranche, aber auch Hausgeräte- und Heizungsproduzenten gehören zu den Abnehmern.
Kostenausgleich gefordert
Sein Unternehmen wolle zum Vorreiter bei klimaneutraler Produktion werden, betont Vorstandschef Reiner Blaschek. Dazu brauche es allerdings Investitionen und Kunden und einen Kostenausgleich für den teureren grünen Stahl. Der Betriebsratsvorsitzende Dirk Vogeler sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wir sind nicht gegen einen Wandel, wollen aber Standort- und Beschäftigungsgarantie."
Baerbock redet die Bedenken nicht klein, fragt nach. Sie hat lange genug in Brandenburg Politik gemacht, um die Nöte in strukturschwachen Regionen zu kennen. Als aufmerksame Zuhörerin und gut vorbereitet beschreibt sie Arbeitnehmervertreter Vogeler später.
Baerbock will Sicherheit vermitteln
Eine "riesengroße Chance" könne der klimafreundliche Umbau werden für Europa, Deutschland und Eisenhüttenstadt, betont Baerbock, und auf die Dauer auch ein Wettbewerbsvorteil. Sie will hier Sicherheit vermitteln, die Hoffnung, dass Klimaschutz die Mitarbeiter nicht allesamt zu Verlierern macht.
Zwischen sozialer Abfederung und Ökologie machen die Grünen einen Bindestrich und sprechen von "sozial-ökologischer Marktwirtschaft". Es dürfte das Leitmotiv dieses Wahlkampfsommers werden. Das gerade verabschiedete Wahlprogramm würdigt Stahl-, Zement- und Chemiebranche als "Eckpfeiler unseres Wohlstandes", die Hunderttausende gute Arbeitsplätze böten. Sie sollten Vorreiter werden bei der Entwicklung klimaneutraler Prozesse. Dazu wollen die Grünen etwa mit Zuschüssen fördern. Für CO2-neutrale Grundstoffe soll es Quoten geben.
Klimaschutz rechnet sich noch nicht
Wie das funktionieren soll, buchstabiert Baerbock in einem am Freitag veröffentlichten Papier aus, mit dem blumigen Titel "Ein Versprechen als Angebot – Ein Pakt zwischen Industrie und Politik". Das Kernproblem: Klimaschutz ist politisch gewollt, erst recht von den Grünen, rechnet sich allzu oft aber noch nicht.
Baerbocks Antwort darauf sind Klimaschutzverträge, die Unternehmen für eine Laufzeit von 15 bis 20 Jahren abschließen sollen. Das Grundkonzept verfolgen nicht nur die Grünen. Auch die aktuelle schwarz-rote Bundesregierung denkt laut über solche Förderkonzepte nach.
Staat soll Kosten tragen
Die Grundidee: Der Staat soll die Zusatzkosten für klimaschonendere Produktionsweisen tragen. Einen Anreiz, auf saubere Alternativen umzurüsten, setzt bereits der CO2-Preis, der den Ausstoß von Treibhausgasen für Unternehmen verteuert. Doch klimafreundliche Produktionsweisen können immer noch teuer sein. Die verbleibende Lücke sollen Klimaschutzverträge schließen, und zwar so lange, bis CO2-sparende Produktion sich rechnet. Das soll Investoren die nötige Sicherheit geben.
Hinzu kommt: Unternehmen aus anderen Teilen der Welt, die klimaschädlicher produzieren, sollen dafür bei Importen einen Aufschlag zahlen – was aber entsprechende EU-Regelungen im Einklang mit den Vorgaben der Welthandelsorganisation bräuchte.
Als Baerbock wieder fährt, nimmt sie die Anliegen der Belegschaft mit – wortwörtlich. Betriebsratschef Vogeler hat ihr einen Brief in die Hand gedrückt mit Fragen, für die keine Zeit war. Die Grünen-Chefin verspricht Antworten binnen einer Woche.
- Nachrichtenagentur dpa