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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fragen und Antworten Was hinter dem Maskenstreit der Groko steckt
Minderwertige Masken für Obdachlose und Menschen mit Behinderung? Die Vorwürfe gegen Jens Spahn wiegen schwer. Doch ist etwas an den Anschuldigungen dran? Ein Überblick.
Einen Begriff vermeidet der "Spiegel" derzeit. Das Wort "Schrottmasken" taucht nicht mehr in dem Bericht auf, der in der Bundesregierung und darüber hinaus für Aufsehen sorgt. Die Diskussion geht trotzdem weiter: Hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wirklich versucht, mutmaßlich minderwertige Schutzmasken an Obdachlose oder Menschen mit Behinderung zu verschenken? Oder versucht die SPD, ihrem Koalitionspartner zu Wahlkampfzwecken einen Skandal anzuhängen? Die wichtigsten Fragen und Antworten finden Sie hier:
Wie lautet der Vorwurf?
Die Diskussion begann mit einem Bericht des "Spiegel" am Freitag. Laut dem Magazin soll das Gesundheitsministerium im Frühjahr 2020 händeringend nach Schutzmasken gesucht haben. Im Eilverfahren sollen dann für eine Milliarde Euro Millionen Masken von fragwürdiger Qualität gekauft worden sein, die ursprünglich im Gesundheitsbetrieb eingesetzt werden sollten. Laut "Spiegel" wurden die Masken zum Teil zwar in Deutschland überprüft, allerdings nicht nach den zuvor festgelegten Verfahren.
Das Bundesarbeitsministerium, das die Sicherheitsstandards für Schutzmasken festlegt, meldete Zweifel an den Überprüfungen des Gesundheitsministeriums an. Spahn soll daraufhin geplant haben, die Masken an Obdachlose, Menschen mit Behinderung oder Hartz-IV-Empfänger zu verschenken. Das erlaubte das Ministerium von Hubertus Heil (SPD) allerdings nicht.
Die "Zeit" berichtet, das Gesundheitsministerium habe zusätzlich im Herbst rund 96 Millionen Masken an Alten- und Pflegeheime verschickt, die nach dem eigenen Verfahren überprüft wurden. Unabhängige Tests sollen danach bestätigt haben: Die Masken entsprechen nicht dem FFP-2 Standard.
Wie reagiert das Gesundheitsministerium?
Am Tag nach der Veröffentlichung des Spiegel-Berichts wehrten sich Spahn und sein Ministerium gegen die Vorwürfe. "Einzelne Äußerungen von heute unterstellen, dass die Gefährdung von Menschen in Kauf genommen wurde – auch von Angehörigen besonders vulnerabler Gruppen. Das ist ein nicht akzeptabler Vorwurf, der von keinen Fakten gedeckt ist", twitterte das Ministerium. Alle Schutzmasken seien sowohl von der Dekra als auch vom TÜV-Nord überprüft worden, ergänzte Jens Spahn. Jede Maske, die man verschenken wollte, habe ein entsprechendes Prüfverfahren durchlaufen.
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Zusätzlich veröffentlichte das Ministerium ein Faktenblatt: Dort wird nicht bestritten, dass man eigene Testverfahren für die Masken festgelegt hatte. Allerdings heißt es, das Prüfverfahren habe "den wesentlichen Anforderungen" entsprochen, die für FFP- oder KN95-Masken gelten. Gleichzeitig sei das Verfahren "identisch" mit den Sicherheitsstandards, die das Arbeitsministerium zuvor festgelegt hatte.
Am Montag legte der Gesundheitsminister dann nach: Es sei grundsätzlich nicht seine Idee, sondern die des Arbeitsministeriums gewesen, mit einem Sonderkontingent Masken etwa an Obdachlose abzugeben. In der ARD zeigte sich Spahn am Dienstag dann irritiert vom Verhalten des Arbeitsministeriums: "Da, wo ich herkomme, unter Partnern, sagt man Entschuldigung, wenn man sich verrannt hat. Und das ist wohl nicht zu erwarten in diesem Fall."
Wie reagiert das Arbeitsministerium?
Das Ministerium habe es grundsätzlich begrüßt, ein solches Sonderkontingent an Masken aufzustellen, teilte eine Sprecherin t-online am Montag mit. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Masken die entsprechenden Sicherheitsstandards erfüllen. Dies sei nicht der Fall gewesen.
Hubertus Heil wiederholte am Mittwoch seine Version der Dinge: Mehrfach habe Spahns Ministerium versucht, Masken mit fragwürdiger Qualität zu verteilen. "Wir haben dem fachlich widersprochen und uns am Ende als Bundesarbeitsministerium auch durchgesetzt", betonte Heil in Berlin. Man habe "sauber in der Sache gehandelt", sagte er zuvor in der ARD. Dennoch seien viele Fragen offen, die man allerdings an das Gesundheitsministerium richten müsse.
Geht es hier doch mehr um Wahlkampf?
Die Empörungswelle ging zumindest umgehend nach Veröffentlichung der Vorwürfe los. Am heftigsten reagierte die SPD. "Geschockt" zeigte sich etwa Generalsekretär Lars Klingbeil von den Vorwürfen und nannte das Vorgehen des Gesundheitsministeriums "unmenschlich". Parteichef Norbert Walter-Borjans warf in der "Bild am Sonntag" die Frage auf, ob Spahn für die CDU noch tragbar sei. Seine Co-Vorsitzende Saskia Esken wurde noch deutlicher: "Sollten sich die Vorwürfe gegenüber Jens Spahn und dem Bundesgesundheitsministerium bewahrheiten, ist er in seinem Amt nicht mehr haltbar", sagte sie der Funke Mediengruppe.
Spahn und die Union wehrten sich dagegen: "Dass einige nun bewusst Obdachlose und Menschen mit Behinderung verunsichern, um Stimmung zu machen, sagt mehr über Zustand der SPD als über Qualität der Masken aus", twitterte der Minister am Samstag. Der "Tagesspiegel" berichtete, in Spahns Ministeriums sei von einem "abgekarteten Spiel" die Rede, mit dem die SPD aus wahltaktischen Gründen nun den Minister angreife. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sprach in der ARD von "billigen parteipolitischen Tricks" der Sozialdemokraten.
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In einer internen Sitzung des CDU-Vorstands soll auch Bundeskanzlerin Merkel Spahn verteidigt haben. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte zudem am Montag, das Gesundheitsministerium habe sehr klar dargelegt, warum die Vorwürfe unbegründet seien. "Die Darlegung ist schlüssig", sagte er auf die Frage nach der Einschätzung von Merkel. Die "Bild-Zeitung" berichtete, dass man in Brandenburg die scharfe Kritik an den beschafften Masken nicht teile. Ein Sprecher des Landesgesundheitsministeriums teilte mit, das Prüfverfahren des Gesundheitsministeriums werde als sicher erachtet.
Wie geht es nun weiter?
Laut dem Gesundheitsministerium ist vorgesehen, dass die Masken in die Notreserve des Bundes gelangen, bis ihr Verfallsdatum erreicht ist. Eine Entscheidung, ob sie vernichtet werden sollen, habe die Bundesregierung bislang nicht getroffen.
Politisch wird von mehreren Seiten weitere Aufklärung gefordert. Der stellvertretende Fraktionschef der FDP, Michael Theurer, sprach sich gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland etwa für einen Sonderermittler aus. Der Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch forderte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe eine Regierungserklärung. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, brachte eine Akteneinsicht der Vorgänge ins Gespräch.
Für den Nachmittag ist eine aktuelle Stunde im Bundestag zu dem Thema angesetzt. Allerdings scheinen die Groko-Parteien nach Informationen der "Welt" darum bemüht, den Streit nicht weiter eskalieren zu lassen. So soll Jens Spahn auf einen Redebeitrag verzichten.
- Eigene Recherchen
- Nachrichtenagentur dpa und AFP
- Spiegel: "So will Jens Spahn unbrauchbare Masken im Wert von einer Milliarde Euro verschwinden lassen"
- Zeit: "Schutzbehauptungen"
- Zeit: "Die vom Bund waren besonders beschissen"
- Bundesgesundheitsministerium: "Faktenblatt zur aktuellen Berichterstattung rund um das Thema Schutzmasken"
- Bild: "SPD-Landesregierung findet Spahn-Masken "sicher""
- Tagespiegel: "SPD-Spitze legt Rauswurf von Spahn nahe – Minister keilt zurück"