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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Christine Lambrecht Kann sie das retten?
Sie ist selbst massiv unter Druck – und muss das größte Problem der Ampel lösen: Ausgerechnet Verteidigungsministerin Christine Lambrecht verhandelt mit der Union über die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Nach Plan läuft das bisher nicht.
Christine Lambrecht schaut, als wäre alles in bester Ordnung. Als wüsste sie gar nicht, was das Problem ist. Es ist Montagfrüh, Lambrecht ist im ARD-"Morgenmagazin". Sie will gleich den richtigen Ton für die Woche setzen.
Der Moderator fragt, ob die laufende Diskussion um sie die Verhandlungen über die 100-Milliarden-Euro-Finanzspritze für die Bundeswehr belaste. Diese Diskussion, erläutert Lambrecht, spiele "überhaupt keine Rolle". Und: "Ich muss mich überhaupt nicht rechtfertigen. Ich muss deutlich machen, wofür ich stehe und welche Entscheidungen ich treffe. Das ist meine Aufgabe – und das mache ich."
Irgendwelche Zweifel? Bloß nicht.
Dabei wären die durchaus berechtigt. Das Sondervermögen ist die vermutlich größte Herausforderung für die Bundeswehr seit der Wiedervereinigung. Das Beschaffungswesen der kaputtgesparten Armee gilt vielen in Berlin als schwarzes Loch – in dem jetzt bloß nicht auch noch die 100 Milliarden Euro versickern dürfen.
Das wäre selbst für eine Verteidigungsministerin ohne Skandale und mit intaktem Ruf eine gewaltige Aufgabe. Für Christine Lambrecht, die so sehr unter Druck ist wie kein anderes Kabinettsmitglied, ist sie kaum zu bewerkstelligen.
Denn in der Politik geht es eben auch immer darum, wie viel Autorität ein Verhandlungspartner hat. Dass davon bei Lambrecht derzeit nicht allzu viel übrig ist, zeigte sich schon daran, dass die Regierung die Abstimmung über das Sondervermögen in der vergangenen Woche von der Tagesordnung des Bundestages nahm. Es gab einfach noch nichts zu beschließen.
Nun soll das Parlament noch vor der Sommerpause zustimmen. Aber auch das wird schwer. Selbst die Koalition ist sich ja nicht so richtig einig. Und dann will die Regierung das ganze Projekt auch noch im Grundgesetz verankern, wofür sie die Unterstützung der Unionsfraktion braucht. Deren Chef Friedrich Merz ist nach den jüngsten Triumphen bei den Landtagswahlen allerdings nicht unbedingt geneigt, den Mehrheitsbeschaffer und damit Problemlöser für die Ampel zu geben.
Das Sondervermögen ist ein Projekt, an dem nicht nur für die Bundeswehr viel hängt, sondern auch für Olaf Scholz. Der Kanzler hat die "Zeitenwende" zu seiner größten innenpolitischen Aufgabe gemacht.
Vor allem aber hängt die Karriere von Christine Lambrecht daran. Wenn sie das hinbekommt, wenn sie das 100-Milliarden-Problem löst und sich nicht selbst weitere Probleme schafft, dürfte in einigen Monaten kaum noch jemand über die Flüge mit ihrem Sohn oder Stöckelschuhe im Wüstensand reden. Wenn Lambrecht es aber verbockt, dürfte über sie bald ebenfalls niemand mehr reden. Einfach, weil eine Verteidigungsministerin a. D. nicht besonders interessant ist.
Der zurückhaltende Herr Mützenich wird deutlich
Bisher läuft es eher mäßig gut für sie. Offiziell ist von "konstruktiven Gesprächen" die Rede, inoffiziell sind in den Ampelfraktionen viele frustriert. Das Interesse der Union an Inhalten und politischen Lösungen sei derzeit nicht sehr groß, heißt es. Viele trauen Friedrich Merz nicht mehr über den Weg, seit er bei der Impfpflicht die Verhandlungen hat platzen lassen. Die wurden damals von der Ampel übrigens auch als konstruktiv empfunden.
Vielleicht hat Rolf Mützenich, der sonst so zurückhaltende Fraktionschef der SPD, auch deshalb am Montag mal ein deutliches Zeichen gesetzt. Wenn sich die Union querstelle, sagte er der "FAZ", gebe es "auch andere Wege", um das Sondervermögen aufzusetzen. Ohne eine Änderung des Grundgesetzes, also auch ohne die Union.
Na, hoppla: Ein führender Sozialdemokrat, der mitten in den Verhandlungen plötzlich der Union sagt: Im Zweifel geht's auch ohne euch. War das eine neue Verhandlungstaktik, um die Union zu Kompromissen zu bewegen? Eine offene Drohung? Oder tatsächlich das neue Ziel beim Sondervermögen?
Wer will was?
In der SPD beeilte man sich am Montag, lieber auf das Interview mit Christine Lambrecht im "Morgenmagazin" hinzuweisen. Denn die vertrat dort eine ganz andere Linie. Die Verteidigungsministerin gab sich nicht nur sehr selbstsicher, sondern erklärte auch, dass sie "sehr optimistisch" sei: "Ich habe momentan das Gefühl, dass wirklich alle – CDU, CSU, SPD, Grüne und auch FDP – hier an einem Strang ziehen wollen." Sie gehe davon aus, dass die "konstruktiven Gespräche zu einem Ergebnis führen“.
Ja, was denn nun?
Die Mehrstimmigkeit ist symptomatisch für die Debatte bei SPD und Grünen in diesen Tagen. In beiden Parteien gibt es diejenigen, die das Sondervermögen jetzt am liebsten ohne die Union durchziehen würden, um keine Kompromisse mehr machen zu müssen.
Und dann gibt es diejenigen, die weiter auf Friedrich Merz setzen. Sie hoffen auch darauf, dass er seinen Leuten niemals erklären könnte, dass man gegen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr gestimmt hat.
Klar ist: Wer gerade tatsächlich verhandelt, setzt weiter auf Friedrich Merz. Das sind im Kern Christine Lambrecht für die SPD, Außenministerin Annalena Baerbock für die Grünen und Finanzminister Christian Lindner für die FDP. Sie sitzen mit der Union zusammen und suchen nach einem Kompromiss.
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Eine "außergewöhnliche Notsituation"?
Das dürfte auch daran liegen, dass es ohne die Union eben doch nicht so einfach ist, wie Mützenich sagt. Denn ohne Grundgesetzänderung müsste die Regierung eine Ausnahme der Schuldenbremse bemühen, um die 100 Milliarden Euro locker zu machen.
Die sieht vor, dass die Schuldenbremse bei "Naturkatastrophen oder anderen außergewöhnlichen Notsituationen" umgangen werden kann. So wie es beim Corona-Fonds geschehen ist, der nun zum Klimafonds umgewidmet wurde.
Ob der russische Krieg gegen die Ukraine allerdings eine "außergewöhnliche Notsituation" auch für Deutschland ist, darüber gehen die Meinungen der Juristen auseinander. Bei einer Expertenanhörung im Bundestag sah das ein Jurist so und zwei nicht.
Lindner: "Keine Option"
Für die FDP scheint die Sache klar. Noch am selben Tag, als Rolf Mützenich seine Gedankenspiele in der "FAZ" verbreitete, reagierte Parteichef Christian Lindner. Auf unmissverständliche Weise. Er sagte: "Es ist keine Option, für die Bundeswehr die Schuldenbremse mit einfacher Mehrheit zu umgehen." Im Klartext bedeutet das: Ohne Grundgesetzänderung keine Finanzspritze – so sieht das die FDP. Vor allem auch deshalb, weil die Liberalen an ihre eigenen Anhänger denken.
An der liberalen Parteibasis stellt sich zunehmend das Gefühl ein, dass ausgerechnet der FDP-Finanzminister besonders gern das Geld ausgibt: Hier ein Nachtragshaushalt, dort eine Umwandlung der Corona-Schulden für den Klimaschutz. Jetzt einfach so 100 Milliarden zu beschließen, käme vermutlich nicht gut an.
Die Grundgesetzänderung, gerade im Einklang mit der Union, sorgt auch für einen politisch-kommunikativen Rahmen. Er lautet: Es ist nun mal eine staatliche Krise, wir setzen auch juristisch ganz große Hebel in Bewegung – mit lockerem Geldausgeben hat all das nichts zu tun.
Die Opposition jedenfalls registriert die Unstimmigkeiten in der Regierungskoalition mit Interesse – und zieht ihre Schlüsse. "Anscheinend ist man sich in der Ampel nicht nur bei der Verhandlungsstrategie uneinig, ernst nehmen kann man solche Vorschläge deswegen wirklich nicht", sagte Alexander Dobrindt t-online, der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
Drei Probleme – und eine Deadline
Doch wie soll eine Einigung zwischen Regierung und Union dann zustande kommen? Es ist kompliziert, und zwar vor allem angesichts dreier Probleme.
- Die Union wollte anfangs im Grundgesetz verankert wissen, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel erfüllt, also dauerhaft mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgibt. Dagegen sträubten sich SPD und Grüne – auch, weil diese Regelung das Haushaltsrecht des Bundestages ziemlich eingeschränkt hätte. Nun geht es darum, ob und wie genau das Zwei-Prozent-Ziel im sogenannten Errichtungsgesetz festgehalten wird. Das Gesetz wäre bindend, könnte vom Bundestag aber auch mit einfacher Mehrheit geändert werden.
- Die Union will, dass die 100 Milliarden Euro ausschließlich in die Bundeswehr investiert werden. Besonders die Grünen drängen jedoch auf jenen erweiterten Sicherheitsbegriff, der im Koalitionsvertrag definiert ist. Das bedeutet für sie etwa, dass es Geld für Cybersicherheit geben muss – und zwar am liebsten nicht (nur) für die Strukturen der Bundeswehr, sondern für die zivilen Behörden wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI.
- Schließlich wollen die Grünen auch, dass mit dem Geld zum Teil internationale Partner ertüchtigt werden. Das will die Union aber nicht. Ein möglicher Kompromiss könnte so aussehen: Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen sind tatsächlich nur für die Bundeswehr. Darüber hinaus gibt es in anderen Ressorts weitere Mittel, um die Wünsche der Grünen zu erfüllen.
Und es gibt eine grundsätzliche Sache, die alles kompliziert macht. Vor allem bei den Grünen ist der Wille, weiter auf die Union zuzugehen, sehr überschaubar. Das liegt auch daran, dass sie sich bereits deutlich bewegt haben. Ursprünglich wollten sie mit den 100 Milliarden auch den Zivilschutz stärken und mehr Geld für Energieunabhängigkeit von Russland bereitstellen.
Und jetzt noch weitere Kompromisse? Ausgerechnet, wenn es um Milliarden für Panzer und Maschinengewehre geht? Das halten selbst diejenigen Grünen für schwer vermittelbar, die eine Einigung mit der Union anstreben.
Wann es etwas werden könnte mit dem Kompromiss, da will sich deshalb auch niemand festlegen. Diese Woche eher nicht mehr. Vielleicht in der nächsten Woche. Vielleicht aber auch nicht.
Das Ziel aber, und damit ihr Ziel, das hat Christine Lambrecht im "Morgenmagazin" selbst gesetzt: eine Einigung noch vor der Sommerpause des Bundestags. Also spätestens am 8. Juli.
- Eigene Recherche