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Rituale in der Bundeswehr: Spindsaufen, Schweineleber, Stromschläge


Militär & Verteidigung
Spindsaufen, Schweineleber, Stromschläge

spiegel-online, Von Hasnain Kazim, Veit Medick und Oliver Sallet

Aktualisiert am 25.01.2011Lesedauer: 5 Min.

Alles soll raus: Verteidigungsminister Guttenberg will nach den schweren Vorfällen auf der "Gorch Fock" die Bundeswehr auf fragwürdige Rituale durchleuchten. Das Ergebnis dürfte ernüchternd sein - denn menschenverachtende Bräuche sind bei der Truppe keine Seltenheit.

Karl-Theodor zu Guttenberg ist ein feiner Herr. Der Verteidigungsminister legt wert auf Etikette. Die guten Manieren wurden dem fränkischen Freiherrn schon in die Wiege gelegt, gerne gibt er sie zum Besten.

Doch bald dürfte der Christsoziale mit einer ganz anderen Welt konfrontiert sein. Sie ist rau, wild und brutal, in ihr sind Manieren nicht viel wert: Die heimliche Welt der Bundeswehr.

Sämtliche Teilstreitkräfte, so hat es der Minister veranlasst, sollen vom Generalinspekteur durchleuchtet werden - auf Rituale, die "den Grundsätzen der Bundeswehr widersprechen". Es ist seine Reaktion auf die jüngsten Vorfälle in der Truppe, die vermeintliche Meuterei auf der "Gorch Fock", die möglichen Waffenspiele in Afghanistan. Sie haben Guttenberg alarmiert, jetzt sollen alle Disziplinlosigkeiten aufgedeckt werden, auch wenn es weh tut: Mutproben, Trinkspiele, Nötigungen - alles.

Es ist ein heikler Vorstoß, so viel ist klar. Denn Guttenberg droht ein umfangreicher, vor allem aber unangenehmer Katalog über das Innenleben jener Truppe, mit der er sich so gerne schmückt. Man muss kein intimer Kenner der Bundeswehr sein, um zu wissen, dass dort eine ganze Reihe von mehr oder weniger geschmacklosen Ritualen existiert - nicht nur jene, die jetzt von der "Gorch Fock" bekannt sind. Seit Jahren sorgen einzelne Fälle immer mal wieder für Wirbel - in Berichten des Wehrbeauftragten, in Prozessen, in der Presse.

Von Totenschädeln und roher Schweineleber

Einer der bizarrsten Fälle der vergangenen Jahre war der sogenannten Totenschädel-Skandal. Auf ihrem Einsatz in der Nähe der afghanischen Hauptstadt Kabul posierten Soldaten des Gebirgsjägerbataillons 233 mit Totenschädeln in der Hand. Eines der Fotos zeigt, wie ein Soldat seine Hose öffnet und sich den Schädel neben das Genital hält. Die Bilder sorgten 2006 für einen handfesten Skandal: Die afghanische Öffentlichkeit reagierte bestürzt, auch in Deutschland tobte eine heftige Debatte über ethische Maßstäbe in der Truppe.

2010 rückte abermals das Bataillon 233 der Gebirgsjäger in den Fokus: Ein ehemaliger Wehrpflichtiger beklagte beim Wehrbeauftragten, Vorgesetzte hätten ihn zum sogenannten "Fuxtest" gezwungen. Er habe Alkohol trinken und Rollmöpse mit Frischhefe und rohe Schweineleber essen müssen - bis zum Erbrechen. Das Bataillon kennt auch der Verteidigungsminister: Er leistete dort einst seinen Grundwehrdienst ab. Derlei Praktiken habe er aber nicht kennengelernt, versicherte er kurz nach Bekanntwerden der Beschwerde im vergangenen Jahr.

Der Fuxtest ist offenbar nicht das einzige Ritual, mit dem Soldaten ihre Kameraden peinigen. Ein Soldat, der vor 20 Jahren auf einem Zerstörer arbeitete, berichtete dem Wehrbeauftragten 2010 vom sogenannten "Rotarsch-Ritual": Dabei sei der Soldaten-Hintern mit der Borstenscheibe einer elektrisch betriebenen Bohnermaschine bearbeitet worden, bis er wund gewesen sei. Der Fall alarmierte auch den Verteidigungsausschuss des Bundestages.

Im Jahr 2008 schockierten Berichte aus der Rhön-Kaserne in Wildflecken die Öffentlichkeit. So schilderte ein ehemaliger Stabsunteroffizier die geschmacklose Praxis, einem anderen Soldaten das entblößte Glied gegen den Körper und ins Gesicht zu schlagen. "Anpimmeln" nannte sich das Ritual. Die Beteiligten landeten vor Gericht, weil ein Kamerad die Übergriffe mit seinem Handy gefilmt hatte.

Auch in der Soldaten-Ausbildung kommt es offenbar immer wieder zu fragwürdigen Übungen. In der Kaserne Coesfeld wurden im Jahr 2004 Rekruten von ihren Ausbildern gequält - einige von ihnen beklagten später Brandnarben von ausgedrückten Zigaretten am Nacken und an den Händen. Im Keller der Kaserne wurden sie von ihren Ausbildern mit Stromschlägen gefoltert. Nicht zulässig für die allgemeine Grundausbildung, fand die Staatsanwaltschaft Münster und erhob Anklage gegen insgesamt 18 Ausbilder. Fünf von ihnen wurden im März 2008 verurteilt: Wegen Misshandlung oder schwerer Körperverletzung erhielten sie Haftstrafen auf Bewährung.

Ein weit verbreitetes Ritual dürfte das sogenannte "Spindsaufen" sein, über das Gefreite regelmäßig berichten. Dabei werden Kameraden während der Grundwehrdienstzeit in einem Spind eingeschlossen und durch Wackelbewegungen in Angst und Schrecken versetzt. Nach Freilassung folgt die Anweisung, zwei Flaschen Bier runterzustürzen und über Glasscherben Liegestütze durchzuführen. Eine Variante ist ein Spiel namens "Jukebox". Dabei wird ein Soldat in seinen Spind eingeschlossen, zum Singen genötigt und umgestoßen.

Mutproben bei der Marine

Auch bei der Marine gibt es etliche Bräuche. Viele dringen jedoch gar nicht erst an die Öffentlichkeit. "Wir sind bemüht, alles aufzuklären und Konsequenzen für die Verantwortlichen zu ziehen, aber unsere Führung hat große Angst davor, dass diese Ereignisse öffentlich werden und den Ruf der Marine schädigen", sagt ein Unteroffizier der Marine. So sei das "Kielholen" nach wie vor auf vielen Marineschiffen durchaus üblich. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war das eine Strafe: Die Seeleute wurden per Seil unter den Rumpf gezogen und erlitten dabei zum Teil tödliche Verletzungen. Heute sei das "eine Art Partyspaß", bei dem die Soldaten, ebenfalls an ein Seil gebunden, unter ein Boot tauchen müssten. "Die Offiziere bekommen meist nicht mit, wenn es auf einer Party hoch hergeht und solche Sachen veranstaltet werden."

Ein anderer Marineoffizier berichtet, dass "Mutproben" zum Marinealltag gehörten. "Für jede Sache gibt es eine sogenannte Taufe: zum Beispiel wenn man das erste Mal den Nord-Ostsee-Kanal durchfährt, wenn man erstmals den Äquator überquert, wenn man das erste Mal im Atlantik zur See fährt et cetera. Dann organisieren die Besatzungen für die Neulinge ein Initiationsritual." Meist gehöre dazu, dass der Smut, also der Schiffskoch, alle möglichen Flüssigkeiten aus seiner Kombüse in eine Schüssel kippe, "von Tabasco über Essig bis Zuckerrübensirup, was die Täuflinge dann trinken müssen". Zwar seien solche Veranstaltungen, bei denen die Gesundheit und damit die Einsatzfähigkeit der Soldaten gefährdet werde, nicht erlaubt. "Aber das sind uralte Traditionen, bei denen die Schiffsführung oft mal wegschaut oder sogar mitmacht."

Auch bei anderen harmloseren Ritualen scheinen die Vorgesetzten manchmal wegzuschauen. Nach der Grundausbildung, so hört man in Militärkreisen, gebe es immer öfter keine sinnvolle Beschäftigung für den Nachwuchs, also beschäftige er sich mit sich selbst - mit Schlafsackkriechwettbewerben oder "Schildkrötenrennen": Ausgerüstet mit Stahlhelmen an Ellenbogen und Knien kriechen die Rekruten über den Boden ins Ziel. Andere tanzen mit Gasmaske und Besen bewaffnet zu Technomusik und filmen sich dabei.

Der ehemalige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) fand für diese Art der Beschäftigung auch einen Namen. Er nannte sie "Gammeldienst".

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