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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lindner und Pistorius "Ein Witz, aber ein schlechter"
"Zeitenwende", Litauen-Brigade, eine kriegstüchtige Truppe: Verteidigungsminister Pistorius will viel, aber ihm fehlt das Geld. Nun steht er vor seiner wichtigsten politischen Schlacht. Lässt ihn der Kanzler hängen?
Boris Pistorius hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Deutschen eine Idee einzupflanzen: Seit Monaten fordert der Verteidigungsminister, die Bundesrepublik müsse "kriegstüchtig" werden. In fünf bis acht Jahren wäre Russland zu einem Angriff auf das Nato-Gebiet fähig, glaubt der Minister, bis dahin müsse die Bundeswehr in die Lage gebracht werden, einen Krieg zu führen.
Um dem Putin-Regime die Lust am Überfall zu nehmen, kauft Pistorius Waffen, schmiedet internationale Allianzen und bastelt an einer politischen Erzählung, um sich Rückhalt zu sichern.
Doch für seinen nächsten Kampf braucht er keine Haubitzen oder Kampfjets, sondern Durchsetzungsvermögen, Nerven und vor allem: einflussreiche Unterstützer. Sein Gegner sitzt auch nicht in Moskau, sondern keine zwei Kilometer Luftlinie von ihm entfernt im Bundesfinanzministerium. Denn der dortige Hausherr, Finanzminister Christian Lindner (FDP), hat ihn und die anderen Ampelminister zu einem eisernen Sparkurs verdonnert.
Eiserner Sparkurs
Denn über der Ampel schaukelt die Abrissbirne: Ein riesiges Haushaltsloch von über 25 Milliarden Euro muss gestopft werden. Wie das gelingen kann, ohne die Schuldenbremse zu verletzen, können selbst erfahrene Haushaltspolitiker nicht beantworten. Klar ist: Die Verhandlungen werden hart wie nie. "Es wird ein Hauen und Stechen geben", prophezeit ein Ampelpolitiker hinter vorgehaltener Hand.
Lindner hat die Minister daher aufgefordert, bis zum gestrigen Donnerstag ihre Budgetvorstellungen für 2025 beim Finanzministerium anzumelden. Die Ressorts waren angehalten, auch gleich konkrete Vorschläge mitzuschicken, wo sie den Rotstift im eigenen Haus ansetzen wollen. Wie die "Bild" berichtete, hatte Lindner im März bereits seine eigenen Sparideen per Brief an die Ministerien verschickt.
Das kam nicht überall gut an. Am meisten sparen sollen demnach das Verkehrsministerium (5,2 Milliarden) und das Auswärtige Amt (1,4 Milliarden). Doch auch Verteidigungsminister Pistorius könnte in die Röhre gucken, sollte sich Lindner durchsetzen.
Pistorius' Geldnot
Denn den Zahlen zufolge soll Pistorius 2025 nur 50 Millionen Euro zusätzlich bekommen. Der Verteidigungsetat stiege damit leicht auf 52 Milliarden Euro an. Angesichts eines Gesamthaushalts von 450 Milliarden Euro keine kleine Summe (immerhin der zweitgrößte Einzeletat). Vor allem nicht, wenn man die rund 20 Milliarden Euro dazurechnet, die dem Verteidigungsminister jedes Jahr bis 2027 aus dem Bundeswehr-Sondervermögen zur Verfügung stehen.
Doch für das, was Pistorius alles vorhat, reicht es hinten und vorne nicht. Das liegt zum einen an den wachsenden Betriebskosten für Personal und Material, die sich aus den Investitionen der vergangenen Jahre ergeben. Zum anderen hat der Minister sich einiges vorgenommen. Allein die deutsche Litauen-Brigade, die bis 2027 einsatzfähig sein soll, schlägt laut "Spiegel" mit rund elf Milliarden Euro zu Buche.
Zentrale Rüstungsvorhaben stehen auf dem Spiel
Doch das Geld ist dafür noch nicht im Haushalt hinterlegt, ebenso wenig wie für einige zentrale Rüstungsvorhaben des "Zeitenwende"-Ministers: So sind eigentlich zwei weitere Fregatten vom Typ 126 (Kosten: rund drei Milliarden Euro) geplant, ein weiterer Eurofighter-Großauftrag sowie 35 Leopard-2-Panzer, um die Litauen-Brigade auszustatten. Woher das Geld dafür kommen soll, vor allem bei einer derart angespannten Haushaltslage, kann bislang niemand beantworten.
Pistorius hat daher schon vor Wochen seine Forderung offen geäußert: 6,5 Milliarden Euro zusätzlich brauche er im nächsten Jahr, sonst drohe ein "Rüstungsstopp", sagte Pistorius im April. Wegen wachsender Betriebskosten bliebe ihm bei einem Etat von 52 Milliarden Euro nur eine halbe Milliarde für den Kauf neuer Waffen und Ausrüstung. Weder könne er so die Modernisierung der Bundeswehr vorantreiben noch das Zweiprozentziel der Nato erreichen, warnte der Minister.
Wer sind Pistorius' Truppen in der SPD?
Es war der Versuch einer klaren politischen Botschaft: Wenn ihr mir nicht das gebt, was ich brauche, scheitern zentrale Versprechen dieser Regierung. Doch ob mahnende Worte ausreichen, muss sich zeigen. Klar ist: Um den Kampf zu gewinnen, braucht Pistorius politisches Kapital: sein eigenes und vor allem das des Kanzlers. Doch auch eine lautstarke Unterstützung seiner Genossen könnte dem Verteidigungsminister helfen. Allerdings sind die bisherigen Solidaritätsbekundungen aus der SPD bislang eher verhalten.
Die Parteispitze der Kanzlerpartei ist in dieser Hinsicht zumindest klar. Im Interview mit t-online stellte sich SPD-Chef Lars Klingbeil diese Woche demonstrativ hinter die Forderung seines Parteikollegen. "Pistorius kann sicher sein, dass er meine Unterstützung hat: Wir müssen deutlich mehr in unsere Verteidigung investieren. Wir haben uns jahrzehntelang ausgeruht und zu wenig für unsere eigene Sicherheit getan."
Hadern mit der "Zeitenwende"
Doch bei den SPD-Abgeordneten im Bundestag liegen die Dinge anders. Für die Mehrheit der 207-köpfigen Fraktion der Sozialdemokraten hat die Erhöhung des Wehretats nicht oberste Priorität. Noch immer hadern viele mit den konkreten Implikationen der "Zeitenwende", insbesondere mit den Waffenlieferungen und militärischer Aufrüstung. Verteidigungspolitiker haben bei den Genossen traditionell wenig zu melden. Manch einer beschwert sich gar, an den Rand gedrängt zu werden.
Das liegt auch an der Fraktionsspitze unter Führung von Rolf Mützenich. Mützenich hat zwar die parlamentarischen Mehrheiten für die milliardenschweren Ukraine-Hilfen organisiert. Doch sieht sich der Sozialdemokrat weiterhin in der Tradition der Friedens- und Abrüstungsbewegung verankert. Mit seiner Forderung im März, den Ukraine-Krieg einzufrieren, hat Mützenich zudem eine Kontroverse ausgelöst, die bei vielen Zweifel genährt hat, ob es den Genossen mit der "Zeitenwende" wirklich ernst ist.
"Putin würde sich die Hände reiben"
Unter Mützenichs Führung dürfte die Fraktion beim anstehenden Haushaltszoff vermutlich andere Schwerpunkte setzen als einen höheren Wehretat. Doch auch in den Reihen der Fraktion gibt es offene Pistorius-Unterstützer. Der für Verteidigung zuständige Haushaltspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion, Andreas Schwarz, zu t-online: "Die Verteidigungsausgaben sollten aufgrund der internationalen Zusagen der Bundesregierung hohe Priorität genießen, ebenso wie ein starker Sozialstaat."
Dabei müsste mittlerweile allen klar sein, dass Deutschland nicht wie in der Vergangenheit an seiner Sicherheit sparen dürfe. "Wir haben eine objektive Bedrohungslage. Dafür müssen wir Geld in die Hand nehmen, die 'Zeitenwende' mit Leben erfüllen, um uns besser zu schützen."
"Ein Witz, aber ein schlechter"
Schwarz sagt, er verstehe die "Lindnersche Arithmetik" überhaupt nicht. Zentrale Rüstungsvorhaben seien noch nicht finanziell hinterlegt. Wenn sein Parteifreund Pistorius statt der geforderten 6,5 Milliarden Euro mehr, nur die tatsächlich in der Finanzplanung hinterlegten 52 Milliarden Euro bekäme, würde sich das negativ auf Deutschlands Sicherheitslage auswirken. Im schlimmsten Fall drohe ein Scheitern oder eine Verschiebung wichtiger Verteidigungsvorhaben. "Putin würde sich die Hände reiben", so Schwarz.
Auch der SPD-Außenpolitiker Michael Roth kritisiert die Sparvorstellungen von Finanzminister Lindner scharf. "Eine Erhöhung des Verteidigungsetats um 50 Millionen Euro wäre ein Witz, aber ein schlechter", so Roth zu t-online. Verteidigungsminister Pistorius brauche zwar vor allem die Unterstützung des Kanzlers, um seine Forderungen durchzusetzen.
Doch auch die SPD-Fraktion könne noch mehr tun, sagt der Außenexperte. "Dazu sollten sich aber nicht nur die üblichen Verdächtigen öffentlich hinter Pistorius stellen. Deutschland ist internationale Verpflichtungen eingegangen. Wir sollten dem Kanzler und dem Verteidigungsminister den Rücken stärken."
Bisher fehle ein klares Bekenntnis der Fraktion zu den Etatforderungen des Verteidigungsministers, so Roth, und mahnt: "Die 'Zeitenwende' gibt es nicht zum Nulltarif. Wir müssen deutlich mehr in unsere Verteidigung unserer Demokratie investieren. Wer das bestreitet oder ignoriert, schenkt den Bürgerinnen und Bürgern keinen reinen Wein ein."
Herbe politische Niederlage droht
Für Pistorius werden die nächsten Wochen entscheidend. Schafft es der Minister nicht, den Großteil seiner Forderung durchzusetzen, wäre es eine herbe politische Niederlage. Pistorius' Image als Macher und Anpacker wäre angekratzt, sein Durchsetzungsvermögen infrage gestellt. Schon im vergangenen Jahr hatte Pistorius zehn Milliarden Euro mehr gefordert und wurde mit knapp zwei abgespeist. Zweimal deutet auf ein Muster hin.
Schon jetzt kalibriert die Union ihre Angriffe auf Deutschlands beliebtesten Politiker dergestalt, Pistorius als bloßen Ankündigungsminister zu entlarven, der gut reden kann, aber wenig umsetzt. Eine Niederlage in der zentralen Frage der Mittelvergabe könnte dieses Bild untermauern.
Am Ende wird es auf Olaf Scholz ankommen. Über Wohl und Wehe des Verteidigungsministers entscheidet also auch ein Kanzler, der den in Umfragen deutlich beliebteren Pistorius mittlerweile wohl auch als innerparteilichen Rivalen betrachtet. Die Gerüchte über Pistorius als Reservekanzler reißen jedenfalls nicht ab. Ein Schelm, wer denkt, Scholz würde Pistorius deswegen keinen Sieg gönnen. Oder zumindest keinen glatten.
- Eigene Recherchen
- bild.de: Lindner verdonnert Kabinett zum Knallhart-Sparkurs
- spiegel.de: Litauen-Brigade kostet elf Milliarden Euro
- spiegel.de: Pistorius verlangt deutlich mehr Geld – und warnt vor "Rüstungsstopp"