Verteidigungsminister Pistorius "Der größte Teil der Zeitenwende liegt noch vor uns"
Die Erwartungen an den neuen Verteidigungsminister sind hoch. Gleich am ersten Tag spricht er über seine Pläne für die Bundeswehr – und empfängt den ersten Gast.
Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will die Bundeswehr schnell für die verschärfte Sicherheitslage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine stark machen. "Es geht um Abschreckung, Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit", sagte er am Donnerstag nach seiner Begrüßung mit militärischen Ehren im Bendlerblock, dem Sitz des Verteidigungsministeriums in Berlin. "Deutschland ist nicht Kriegspartei. Trotzdem sind wir von diesem Krieg betroffen."
Pistorius kritisierte, die Streitkräfte seien in den vergangenen Jahrzehnten oft vernachlässigt worden. Die Truppe brauche jetzt volle Unterstützung, er wiederum brauche für seine Arbeit die Unterstützung aller in der Bundeswehr, im Verteidigungsministerium und in den dazugehörenden Behörden. "Ich brauche jeden Einzelnen. Ich brauche die Unterstützung aller. Und ich werde sie auch einfordern", sagte Pistorius und mahnte: "Der größte Teil der Zeitenwende liegt noch vor uns."
Steinmeier ernannte Pistorius
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte dem neuen Minister am Morgen im Schloss Bellevue die Ernennungsurkunde überreicht. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm an der Zeremonie teil. Kurz darauf wurde Pistorius im Bundestag vereidigt. Steinmeier wünschte ihm "Durchhaltevermögen, gutes Gelingen und eine glückliche Hand". Er übernehme das Ministeramt in einer Bedrohungs- und Gefährdungslage, die Deutschland lange nicht mehr gekannt habe. "Deutschland ist nicht im Krieg", betonte auch der Bundespräsident. Für das Land beginne aber eine Epoche im Gegenwind. "Wir müssen auf Bedrohungen reagieren, die auch auf uns zielen."
Pistorius müsse direkt loslegen, so der Bundespräsident. "Für all die kommenden Herausforderungen und notwendigen Reformen benötigen Sie jetzt kühlen Kopf, gute Nerven, Führungsstärke, klare Sprache und politische Erfahrung." Dass Pistorius all das habe, habe er in anderen anspruchsvollen politischen Ämtern gezeigt, sagte Steinmeier.
Mit der Ernennung und Vereidigung ist der 62-jährige Pistorius von nun an Verteidigungsminister und Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die deutschen Streitkräfte.
Entlassung von Vorgängerin Lambrecht
Pistorius' Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD) bekam zugleich ihre Entlassungsurkunde. Steinmeier danke ihr für all das, was sie in 23 Jahren als Abgeordnete geleistet und als Bundesministerin in verschiedenen Positionen auf den Weg gebracht habe. Er dankte ihr auch "für die Bereitschaft, über so viele Jahre für unser Land, für unsere Demokratie einzustehen, sie zu verteidigen, wo sie angegriffen wird, ihre Probleme nicht nur zu beklagen, sondern auch lösen zu wollen".
Zum Eingewöhnen bleibt Boris Pistorius allerdings keine Zeit. Der Sozialdemokrat telefonierte laut Verteidigungsministerium unmittelbar nach seiner Vereidigung mit seinem französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu. "Frankreich ist unser engster Verbündeter und ältester Freund in der Europäischen Union", sagte Pistorius. Paris und Berlin arbeiteten seit Jahrzehnten auch in der Sicherheitspolitik eng zusammen. Deshalb sei es ihm besonders wichtig gewesen, möglichst schnell mit Lecornu ins Gespräch zu kommen.
Als ersten ausländischen Besucher empfing Pistorius dann US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Beide sagten vor Beginn ihres Gesprächs der Ukraine weitere Hilfe zu – ohne allerdings konkret zu werden.
Kampfpanzer-Lieferungen: Druck auf Deutschland wächst
In den vergangenen Tagen ist der Druck auf Deutschland stark gewachsen, der Ukraine auch Kampfpanzer vom Typ Leopard zur Verfügung zu stellen. Kanzler Scholz ist dazu nach übereinstimmenden Medienberichten nun unter Bedingungen bereit. Laut "Süddeutscher Zeitung" und "Bild"-Zeitung stellte er in einem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden klar, Deutschland könne nur liefern, wenn die USA ihrerseits der Ukraine eigene Abrams-Kampfpanzer zur Verfügung stellen. Hier lesen Sie mehr dazu.
Deutschland und die USA stünden wie so oft in der Geschichte Schulter an Schulter, sagte Pistorius bei der Begrüßung Austins. Dieser nannte Deutschland "einen der wichtigsten Verbündeten der USA". Er dankte der Bundesregierung für die Unterstützung der Ukraine und für die schnelle Verstärkung der Nato-Ostflanke.
Der Bundestag diskutierte zeitgleich über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. "Die schwere Waffe schlechthin sind Panzer", betonte der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul (CDU). Es sei jetzt die Zeit, dass Deutschland grünes Licht für die Lieferung von Kampfpanzern gebe. "Wir sind jetzt gefordert", sagte Wadephul.
Am Freitag kommen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz die Verteidigungsminister mehrerer Dutzend Staaten zusammen, um über die weitere militärische Unterstützung der Ukraine zu beraten. Lesen Sie hier mehr zu Pistorius' Laufbahn.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- Bundestagssitzung am 19. Januar 2023