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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verteidigungsministerin Lambrecht Die Zweifel wachsen
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht steht sich bei ihrem Krisenmanagement oft selbst im Weg. Wann ändert sie ihre Strategie?
Es ist schon spät am Donnerstagabend, als sich im Fernsehen eine Verwandlung vollzieht: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) wird zur Selbstverteidigungsministerin. Eigentlich sollte sie in der Talkshow von "Maybrit Illner" über die Ukraine sprechen, Deutschlands Rolle im Krieg definieren und die "Zeitenwende" des Bundeskanzlers erläutern.
Doch stattdessen muss Lambrecht ihr eigenes Management verteidigen. Große Fragen stehen im Raum: Warum genehmigt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Zweifel schneller Waffenlieferungen als sie? Weshalb ist die Bundeswehr so schlecht ausgerüstet? Und warum hat sogar das deutsche Heer keinen Überblick über die eigenen Waffen?
Lambrecht rudert, Lambrecht erklärt, Lambrecht weist manche Vorwürfe zurück. Am Ende bleibt da trotzdem das Bild einer Ministerin, die um ihren Ruf ringt. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Lambrecht verwandelt, das kommt in diesen Tagen öfter vor: Mal ist sie Verteidigungsministerin, mal Selbstverteidigungsministerin. Es geht hin und her.
Der Angriff von Wladimir Putin gegen die Ukraine rollt seit über einem Monat. Christine Lambrecht ist damit die erste Verteidigungsministerin seit dem Zweiten Weltkrieg, die mit einem Angriffskrieg in Europa konfrontiert ist. Sie ist also in einer historischen Situation.
Sie will gute Schlagzeilen und produziert doch schlechte
Doch die Kritik an ihr reißt trotzdem seit Wochen nicht ab. Die häufigsten Vorwürfe lauten: Sie manage das Ressort nicht gut, auch weil sie zu wenig Führungskompetenz ausstrahle. Und sie interessiere sich nicht wirklich für die Bundeswehr. Selbst Leute, die ihr eher wohlwollend gegenüberstehen, gewinnen zunehmend den Eindruck, die 56-Jährige habe ihre Rolle immer noch nicht gefunden. Ob sich das noch ändert, ist offen.
Das Amt des Verteidigungsministers ist schon in Friedenszeiten kein einfaches. In einem Krieg auf dem eigenen Kontinent ist es einer der schwierigsten Posten im Kabinett. Da ist es nicht sehr hilfreich, wenn man sich zuweilen auch noch selbst im Weg steht. Lambrecht will gute Schlagzeilen haben und produziert oft schlechte.
Nirgendwo zeigt sich Lambrechts Schlingerkurs so deutlich wie bei der Kommunikation über Waffenlieferungen an die Ukraine. Eigentlich herrscht dabei strikte Zurückhaltung: Sämtliche Regierungsdokumente werden als geheim eingestuft. "Ich werde auch in Zukunft nicht über Waffenlieferungen sprechen", kündigte Lambrecht noch am Donnerstagabend bei "Maybrit Illner" an. "Weder wann, wie viel und was geliefert wird. Weil: Es ist ein Sicherheitsrisiko."
Kurz darauf sprach sie trotzdem ein bisschen darüber: "In einer Größenordnung von über 80 Millionen Euro ist bisher aus Deutschland geliefert worden." Nach einer ordentlichen Summe sollte das klingen. Etwa ein Euro pro Einwohner wird investiert, so die Botschaft.
Sogar im Verteidigungsministerium wächst die Unruhe
Es ist nicht das erste Mal, dass Lambrecht in Bezug auf die Waffenlieferungen nur so viel preisgeben will, wie ihr vermeintlich nützt. Auf ihrer Washington-Reise am Dienstag nannte sie Deutschland den "zweitgrößten Waffenlieferanten" der Ukraine und heizte Spekulationen über den deutschen Militärbeitrag weiter an.
Ein Sprecher Lambrechts hatte tags darauf große Mühe, die Äußerung wieder einzufangen. Er sprach auf einer Pressekonferenz von "Platz zwei" in Bezug auf das Gewicht der gelieferten Waffen. Und in Bezug auf deren Wert von "Platz drei" im internationalen Vergleich.
Laut dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, stimmt sogar das nicht: Deutschland sei "meilenweit" davon entfernt, zu den "top drei" der wichtigsten Rüstungspartner zu gehören, sagte Melnyk der "Bild"-Zeitung.
t-online-Recherchen zufolge haben mindestens vier Länder – USA, Estland, Großbritannien, Schweden – mehr Waffen in die Ukraine geschickt. Und das sind nur die Staaten, die ihre Zahlen öffentlich machen. Mittlerweile mehren sich auch die Stimmen innerhalb der Regierungsfraktionen, die endlich eine Offenlegung der Waffenexporte fordern.
Sogar in Lambrechts eigenem Haus wächst die Unruhe. Und es ging schon nicht ruhig los. Schon ihre Berufung zur Ministerin sorgte für Aufregung, weil sich diese entgegen vieler Wahrscheinlichkeiten vollzog. Denn Lambrecht, zuvor noch Justizministerin, wollte sich ursprünglich aus der Politik zurückziehen. Sie überlegte, wieder als Anwältin zu arbeiten und nannte das ihren "Traumberuf". Nach dem Wahlsieg von Olaf Scholz wollte Lambrecht dann statt Anwältin doch lieber Innenministerin werden. Doch Olaf Scholz bevorzugte Nancy Faeser. Also blieb für Lambrecht nur der Posten als Verteidigungsministerin.
Innerhalb der Truppe gab es Kritik: Generäle würden kaum zu ihr durchdringen, sie vermittle nicht den Eindruck, als würden sie die Streitkräfte sonderlich interessieren. Obendrein besetzte Lambrecht schnell viele Posten mit Getreuen und vergraulte dadurch altgediente Kräfte.
Ist Lambrecht also "ein Totalausfall"? Diesen konstatierte kürzlich der Leiter des Zentrums für Strategie und Höhere Führung, Klaus Schweinsberg. Ganz so einfach ist es auch nicht.
Können der Kanzler und seine Ministerin miteinander?
Denn für die Verteidigungsministerin stellt auch ihr eigener Chef ein Problem dar. Olaf Scholz hatte sich noch vor Ausbruch des Krieges, trotz enormen Drucks europäischer Partner, geweigert, Waffen an die Ukraine zu liefern. Erst als russische Soldaten in das Land einmarschierten, verkündete Scholz die "Zeitenwende": die Erhöhung des Militäretats und Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet. Plötzlich sollte alles ganz schnell gehen – und hakt seitdem dennoch.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur spielt das Kanzleramt bezüglich des Liefertempos eine Rolle. Steht Scholz auf der Bremse des SPD-geführten Verteidigungsministeriums?
Zügiger geht es laut "Welt" jedenfalls im grünen Wirtschaftsministerium. Laut der Zeitung war es Robert Habeck, der Waffenlieferungen schnell auf den Weg brachte. Im Eilverfahren habe er die Lieferung von Panzerabwehrraketen genehmigt – weil die Ukrainer unter Umgehung des deutschen Verteidigungsressorts direkt beim Lieferanten Dynamit Nobel Defence in Deutschland bestellten.
Scholz und Lambrecht, so heißt es in der Ampelkoalition, könnten nicht miteinander. Und Lambrecht verpasse es auch, die Zweifel an ihr auszuräumen. Ihre Patzer und Pannen kämen im Scholz-Umfeld schlecht an, das Klima verschlechtere sich zunehmend. Scholz hat wohl nicht ganz zufällig die 100 Milliarden für die Bundeswehr zur Chefsache gemacht.
Doch bei allen selbstverschuldeten Problemen: Lambrecht befindet sich nicht in einer einfachen Ausgangslage. Sie verfügt weder über hochmotivierte noch bestens ausgerüstete Soldaten. Die Bundeswehr wurde über Jahrzehnte vernachlässigt, kann ihren Verteidigungsauftrag kaum erfüllen.
Ein politischer Spagat
Und da beginnt das nächste Dilemma der Christine Lambrecht: Sie sitzt zwischen vielen Stühlen und auf keinem so richtig. Die Soldaten der Bundeswehr wollen und brauchen endlich die Waffen und Ausrüstung, die ihnen gemäß ihres Auftrags zustehen.
Auf der anderen Seite türmen sich die Schwierigkeiten. Nicht nur logistische, denn auch der versprochene 100-Milliarden-Euro-Geldregen für die Bundeswehr dürfte zunächst eher tröpfeln, als sich sintflutartig ergießen. Mal eben umkrempeln kann auch die Verteidigungsministerin ihre eigene Truppe nicht.
Auch aus Lambrechts eigener Partei, der SPD, gibt es Widerstand. Das "Forum Demokratische Linke" will eher eine Reform der Bundeswehr als eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Es müssten ja auch Mittel zur Eindämmung der Klimakrise zur Verfügung stehen, so die Argumentation. Wenn aber nicht einmal die eigene Partei die Reihen schließt beim politischen Kurs angesichts eines Krieges, zeigt das, wie kompliziert die Lage ist.
Lambrechts Pendant im deutschen Parlament ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die FDP-Politikerin ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und für ihre klare rhetorische Kante bekannt. Donnerstagnacht traf sie sich in der ukrainischen Botschaft mit einer kleinen Delegation aus dem Land. Dabei ging es indirekt auch um die Kritik an der Verteidigungsministerin.
Strack-Zimmermann sagt: "Mir wurde auf Nachfrage nicht bestätigt, dass die Deutschen falsche Waffen liefern." Und sie nimmt die Verteidigungsministerin in Schutz: "So gut wie keiner ihrer Vorgänger hatte die Herausforderung, von jetzt auf gleich mit der brutalen Realität konfrontiert zu werden."
Und dann sagt Strack-Zimmermann noch: "Da läuft naturgemäß nicht alles nur glatt – aber sie hat die Brille der Soldaten und Soldatinnen auf und arbeitet entsprechend an der Sache orientiert." Die nächsten Wochen des Krieges werden zeigen, ob solch lobende Sätze künftig nicht nur vom Koalitionspartner kommen.
Ausgerechnet vor wenigen Tagen trug sich die passende Szene zum Dilemma der Christine Lambrecht zu. Am Ende ihres Besuchs in Washington stand Lambrecht auf der Freedom Plaza, nur wenige Hundert Meter entfernt vom Weißen Haus. Noch einmal erklärte sie ihren Besuch in der US-Hauptstadt.
Sie rang um Worte, die möglichst überzeugend das deutsche Engagement darstellen sollen. "Wir unterstützen. Wir stehen näher zusammen als jemals zuvor." Lambrecht schaute zu den Reportern, jeder Satz soll ankommen, die Schlagzeilen sollen stimmen.
Sie wippte mit ihren Fußspitzen auf und ab, um ihren Sätzen Nachdruck zu verleihen. "Wir unterstützen die Ukraine mit Waffen und Ausrüstung in ihrem unglaublichen Kampf. In diesem Kampf. In diesem unglaublichen Angriffskrieg."
Doch konkreter wird sie nicht. Was, wann und wie viel Deutschland liefert und liefern wird? Das behält die Verteidigungsministerin für sich.
- Eigene Recherchen
- RND: Widerstand in der SPD gegen Milliarden für Aufrüstung der Bundeswehr
- Handelsblatt: Darum hat die Verteidigungsministerin einen undankbaren Posten inne
- Süddeutsche Zeitung: Seht her, die Frau macht ihren Job