Einreise über Belarus-Route Zahl der Migranten stagniert: Kommt nun die Trendwende?
Allein im Oktober kamen Tausende Migranten über Belarus und Polen nach Deutschland – mehr als doppelt so viele wie im September. Seit einigen Tagen aber stagnieren die Zahlen. Was bedeutet das?
Wieder ein weißer Transporter mit polnischem Kennzeichen. Die Bundespolizei winkt den Wagen heraus, kontrolliert Papiere, bittet den Fahrer, die hinteren Türen zum fensterlosen Laderaum zu öffnen. Von der Ladefläche fällt ein Paket auf den Asphalt an der Stadtbrücke in Frankfurt an der Oder. Menschen werden hier nicht geschmuggelt.
Alles in Ordnung, bilanziert Jens Schobranski, Sprecher der Bundespolizei, nach etwa einer Stunde dieser mobilen Kontrollen am deutsch-polnischen Grenzübergang.
Seehofer schlägt Alarm
Die Beamten sind in diesen Tagen verstärkt auf der Suche nach Menschen aus dem Irak, Syrien und anderen Krisengebieten, die unerlaubt auf der neuen Fluchtroute über Polen und Belarus nach Deutschland einreisen und hier Asyl beantragen wollen. Knapp 4.900 kamen auf diesem Weg allein im Oktober – mehr als doppelt so viele wie im September.
Der amtierende Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) schlägt Alarm. Die politische Debatte nimmt gerade Fahrt auf, und sie könnte auch für die neue Bundesregierung zum Dilemma werden. Aber wie wird sich die Lage entwickeln?
"Sind an Punkt, wo es stagniert"
Tatsächlich scheint der rasante Anstieg der Zahlen in Brandenburg seit einigen Tagen etwas gebremst. "Wo es von August, die ersten Wochen September bis Anfang, Mitte Oktober immer wieder deutliche Zuwächse von Woche zu Woche gab, sind wir jetzt an einem Punkt angekommen, wo es mehr oder weniger stagniert", sagt Schobranski.
Fand die Bundespolizei allein rund um Frankfurt und Forst pro Tag in der Spitze mehr als 100 Migranten, so liegen die Zahlen dem Sprecher zufolge derzeit meist im "mittleren bis oberen zweistelligen Bereich". So oder so sei dies eine herausfordernde Situation.
Trend oder Schwankung?
An den jüngsten Zahlen der Bundespolizei für die gesamte deutsche Ostgrenze könne man ebenfalls ein leichtes Abflachen ablesen. Für die Zeit vom 20. bis einschließlich 24. Oktober lässt sich ein Schnitt von 197 Personen pro Tag errechnen, am 25. und 26. Oktober waren es rechnerisch jeweils 169, am 27. und 28. Oktober 153.
Das ist nur ein Rechenexempel – die Bundespolizei selbst nennt die täglichen Zahlen nicht. Und es bleibt die Frage: Ist das ein Trend? Oder nur eine Schwankung? Da will sich vorerst niemand festlegen.
Polen verschärft Ausländerrecht
Neu ist seit einigen Tagen eine noch härtere Linie der polnischen Regierung an der EU-Außengrenze zu Belarus. Seit der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko im Frühjahr ankündigte, Migranten in Richtung EU nicht mehr aufzuhalten, müht sich Polen um verstärkte Grenzsicherung.
Nun gilt seit Dienstag ein verschärftes Ausländerrecht. Demnach kann der Grenzschutzkommandeur sofort nach Protokollierung eines unerlaubten Grenzübertritts den betroffenen Ausländer des Landes verweisen.
Özoguz: "Wir werden Europa nicht einmauern können"
Die Regelung steht nicht nur bei Amnesty International und Pro Asyl in der Kritik, weil Migranten auf EU-Gebiet eigentlich die Chance auf ein Asylverfahren haben müssen. Sogenannte Pushbacks sind nicht erlaubt. "Wenn Menschen kommen, dann muss man sie ordentlich registrieren und bei allen einzeln schauen, ob es wirklich Geflüchtete sind", erklärt die frühere Migrationsbeauftragte Aydan Özoguz beim Sender RTL.
Die SPD-Politikerin ist auch gegen Polens Pläne, einen Zaun und weitere Befestigungen zu errichten. "Wir werden Europa nicht einmauern können, und das will auch niemand." Aber was, wenn genau die harte polnische Linie die Zahlen in Deutschland drückt? Wie die künftige Ampelkoalition im Bund das Problem angehen will, sagt Özoguz noch nicht. "Das werden wir jetzt verhandeln und sehr sorgsam darauf schauen."
Seehofer unterstützt polnischen Grenzbau
Der amtierende Innenminister Seehofer ist weniger zurückhaltend. "Ich unterstütze die Polen bei der Sicherung ihrer Grenzen, auch mit Befestigungsanlagen", sagte der CSU-Politiker diese Woche dem Sender Bild TV. Dort betonte er zudem den dringenden Handlungsbedarf. Zum ersten Mal in diesem Jahr seien diese Woche auf allen Migrationswegen – also nicht nur über Belarus – an einem Tag mehr als 1.000 Menschen nach Deutschland gekommen.
Sollte sich das fortsetzen, müsse er noch vor dem Regierungswechsel sehen, "was wir noch jetzt machen können und müssen". Als äußerstes Mittel müsse man die deutsch-polnische Grenze in den Blick nehmen, so Seehofer. Gemeint sind wohl: stationäre Grenzkontrollen, die im Schengenraum eigentlich nicht vorgesehen sind.
- Nachrichtenagentur dpa