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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Offener CDU-Brief an YouTuber Rezo Kampf mit ungleichen Mitteln
YouTuber Rezo kritisierte in einem Video die CDU scharf und landete damit einen Internethit.
"Ihr sagt doch immer, dass die jungen Leute mehr Politik machen sollen. Dann kommt auch damit klar, dass sie eure Politik scheiße finden", schnaubt der 26-jährige YouTuber Rezo am Beginn seines Videos "Die Zerstörung der CDU". Anschließend holt er zum rhetorischen Rundumschlag gegen die Christdemokraten und andere Parteien in Deutschland aus. Er kritisiert die Klimapolitik, den Kurs der Parteien beim Urheberrecht, die Steuerung von Drohnen in Afghanistan durch die Amerikaner von der deutschen Station in Ramstein aus.
Der Clip, der fast eine Stunde lang ist und von Rezo am Wochenende ins Netz gestellt wurde, hat bereits über fünf Millionen Aufrufe. Unter dem Video explodieren die Kommentare auch Tage später noch im Minutentakt: "Danke Rezo für dieses Video endlich wird mal ganz Deutschland drauf aufmerksam, dass die CDU keine ach so tolle Partei ist.", schreibt Lasse Spank, "Gratulation zur Bloßstellung der selbsternannten, einzig verbliebenen Volkspartei. Mach weiter so.", kommentiert eine Nutzerin, die sich "Hera die Einzige" nennt. Der Zuspruch im Netz ist enorm und setzte die CDU unter Druck, auf das Video zu reagieren.
Video angekündigt, dann wieder abgesagt
Zunächst hieß es am Mittwoch aus der CDU-Zentrale in Berlin, auf das Video solle es eine Replik vom CDU-Abgeordneten Philipp Amthor geben: Amthor ist ein 26-jähriger Konservativer wie aus dem politischen Bilderbuch, der gern mit Dreiteiler und Einstecktuch vor die Hauptstadtpresse tritt.
Nach Informationen des RND war das geplante Amthor-Video eine Idee der Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Dann am frühen Donnerstagmorgen die Absage: Eine Sprecherin der Partei sagte zu t-online.de, das Video würde nicht erscheinen, stattdessen würde es ein schriftliches Statement geben, einen offenen Brief an den YouTuber Rezo. Um kurz nach 12 Uhr am Mittag ging der Brief dann auf der Homepage der Partei online.
Statt eines Videos also ein langes Schreiben. Der offene Brief an Rezo beginnt mit einem etwa einseitigen Vorwort. Darin schreibt die Partei unter anderem den Satz "Die Währung von YouTubern sind Klickraten. Die Währung einer Volkspartei wie der CDU ist Vertrauen." Das hört sich abkanzelnd und arrogant an, doch schon auf der zweiten Seite beginnt die Partei, sich inhaltlich mit den einzelnen Punkten von Rezos Kritik auseinanderzusetzen.
CDU erklärt, dass Rezo Teile von Beweisvideo unterschlägt
Dabei geht es um präzise Formulierungen, die Partei verweist auf die Einkommensgleichheit, die nach Auskunft der CDU seit 2005 nicht gestiegen sei. Als Gründe nennt die CDU unter anderem die Zuwanderung. Rezo geht in seinem Video auch auf getötete Reuters-Journalisten ein, die von US-Soldaten im Irak erschossen wurden. Der YouTuber stellt die Szene so dar, als hätte das US-Militär einfach so auf die Journalisten gefeuert.
Die CDU erklärt dazu: "In seiner Darstellung unterschlägt Rezo jedoch die ersten Minuten der Aufnahmen. Das Schwarz-Weiß-Video besteht aus Aufnahmen, die aus einem der beteiligten Kampfhubschrauber gemacht wurden. Darauf ist eine Gruppe von Männern zu sehen, die sich auf einem Platz in der irakischen Hauptstadt bewegten. Zu hören ist die Bemerkung der Besatzung, einige der Männer seien bewaffnet."
Viele klassische Politikausdrücke im Brief
So geht es weiter: Die Jugendarbeitslosigkeit, von Rezo scharf kritisiert weil zu hoch, ist laut CDU fallend ("seit 2005 mehr als halbiert"). Auch bei den Bildungsausgaben erklärt die Partei: Es sei nicht allein repräsentativ, die Gesamtbildungsausgaben anzuschauen, die laut Rezo sinken, sondern vielmehr müsse man die Ausgaben pro Kopf betrachten, die steigen.
Der gesamte Brief ist gespickt mit klassischen Politikausdrücken: Armutsgefährdungsquote, steigende Tarif- und Bruttoverdienste, Lenkungswirkung, Wettbewerbsfähigkeit unseres Mittelstands. Alles super, alles schon in Ordnung. Und so wird der offene Brief vor allem auch ein Loblied der Partei an sich selbst und ihre vollbrachten Leistungen der letzten Jahre.
Nur an wenigen Stellen bricht dieses Bild auf, beispielsweise auf der vierten Seite unter dem Punkt "Bildungspolitik", wo die CDU fast selbstkritisch schreibt: "Richtig ist aber unserer Meinung nach, dass die Situation hier noch weiter verbessert werden sollte."
Kampf mit ungleichen Mitteln
Es ist eine Antwort, wie man sie aus der Kommunikationsabteilung einer Volkspartei erwarten kann: Langatmig, mit klarem Spin, die eigene Arbeit zu loben, doch an vielen Stellen auch sehr präzise. Die Antwort der CDU ist damit ambivalent, zum einen fachlich fundiert, indem sie auf diverse Statistiken Bezug nimmt, zum anderen eben genau deshalb nicht so schlagkräftig und greifbar wie Rezos Video.
Der Kampf wird mit ungleichen Mitteln geführt: Auf der einen Seite der blauhaarige YouTuber im orangefarbenen Pulli, der mit seinen stakkatoartig herausgefeuerten Thesen dem Zuschauer den Einblick vermitteln will: Potzblitz, da hat einer verstanden, wie das große Ganze funktioniert, die CDU und die Parteien sind indirekt für viele Tote im Nahen Osten verantwortlich, sie ruinieren die Zukunft junger Menschen in Deutschland und das Weltklima gleich mit. Auf der anderen Seite die etwas bräsig klingende Antwort der Partei, auf elf Seiten detailliert aufgelistet, unter der wenig knackigen Überschrift "Wie wir die Sache sehen".
Politik ist nicht schwarz-weiß
Dieser Brief der CDU wird die meisten jungen Menschen, die jetzt wütend unter Rezos Video kommentieren, in seiner gesamten Bandbreite wohl kaum erreichen. Und natürlich kann man gewisse Statistiken wie Rezo bewerten oder eben wie die CDU: Ob man die Gesamtausgaben für Bildung betrachtet, oder die einzelnen Pro-Kopf-Investitionen des Staates in jeden Schüler, macht einen fundamentalen Unterschied. Bei der ersten Sichtweise sinkt die Zahl ab, bei der zweiten steigt sie an.
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Daraus ergibt sich eine völlig unterschiedliche Wahrnehmung der Wirklichkeit. Dies ist, trotz allem, vielleicht der interessanteste Aspekt, der durch den Brief aufgedeckt wurde, und zeigt, warum es so wichtig war, dass die Partei überhaupt eine Antwort auf das Video gegeben hat: Demokratie lebt vom Diskurs, Konsens ist immer mühsam und es gibt selten die eine, abschließende Wahrheit in der Politik. Wenn von diesem Eindruck bei Rezos jungen Zuschauern in der aufgeheizten Stimmung im Netz etwas ankommt – dann ist vielleicht schon viel gewonnen.