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Patrick Breyer zu iBorderCtrl: "Entwicklung von Orwell'scher Technologie schafft Tatsachen"


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Patrick Breyer zu iBorderCtrl
"Entwicklung einer Orwell'schen Technologie schafft Tatsachen"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 22.03.2019Lesedauer: 3 Min.
Datenschutzaktivist: Patrick Breyer von der Piratenpartei.Vergrößern des Bildes
Datenschutzaktivist: Patrick Breyer von der Piratenpartei. (Quelle: Oliver Franke)

Die EU erprobt den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei Grenzkontrollen nach.

Patrick Breyer hat Klage eingereicht weil die EU-Forschungsagentur möglicherweise problematische Erkenntnisse zu neuartigen Grenzkontrollen nicht herausgibt. Im Interview erklärt der Politiker der Piratenpartei, wo für ihn die Probleme liegen. Breyer ist Jurist, saß bis Juni 2017 für die Piratenpartei im Landtag von Schleswig-Holstein und tritt als ihr Spitzenkandidat zur Europawahl an.

Herr Breyer, wir reden von einem Forschungsprojekt mit freiwilligen Teilnehmern, das angesichts der geltenden Gesetze heute gar nicht in die Praxis umgesetzt werden dürfte. Kommt die Aufregung nicht zu früh?

Die Entwicklung Orwell'scher Technologien schafft vollendete Tatsachen und Handlungsdruck zur dann verpflichtenden Einführung. Das Angebot schafft die Nachfrage – und sei es auch nur in autoritären Staaten wie China. Der einmal entwickelte "Video-Lügendetektor" könnte dann auch im privaten und kommerziellen Bereich zum Einsatz kommen und zum Standard werden, um Menschen auszuforschen und ihre Angaben zu kontrollieren.

Und wenn dann auch Risikowerte gebildet werden, können die wie das “Social Scoring”-System in China schnell in allen möglichen Lebensbereichen zum Einsatz kommen.

Bis dahin ist es aber ein ganz weiter Weg...

Teil des EU-Projekts iBorderCtrl ist bereits dessen Bewerbung in Gesprächen mit "Entscheidungsträgern".

Und nun werden Sie auf Herausgabe der begleitenden Untersuchungen zu ethischen Fragen klagen. Vermuten Sie darin Brisantes?

Ja. Ich verlange volle Transparenz für eine unabhängige wissenschaftliche und öffentliche Diskussion der Technologie. Die Entwicklung eines vermeintlichen Video-Lügendetektors ist ethisch und aus Sicht der Grund- und Menschenrechte äußerst fragwürdig. Aus nicht zu beeinflussendem Verhalten eine Risikoeinschätzung nur aufgrund statistischer Wahrscheinlichkeitswerte herleiten zu wollen, droht in hohem Maße diskriminierend zu wirken.

So kann das Verhalten behinderter oder allgemein nervöser Menschen wegen deren Unterschiedlichkeit vom "Durchschnittsmenschen" als Zeichen von "Täuschung" gewertet werden. Die Ethikberichte zeigen diese Gefahren vermutlich auf und sollen deshalb unter Verschluss bleiben.

Glauben Sie denn nicht, dass solche Kontrollen einen Beitrag zu mehr Sicherheit leisten können?

Der Bundesgerichtshof sieht Lügendetektoren als "völlig ungeeignetes" Mittel zur Wahrheitsfindung an. Bereits die theoretischen Grundannahmen und -zusammenhänge des Verfahrens seien wissenschaftlich nicht belegt. Simulierte "Labor-Lügen" sind von vornherein nicht vergleichbar mit echten Lügen. Mit solcher Hokuspokus-Technologie findet man keine Terroristen

Gerichte in Bautzen und Dresden haben Tests von Lügendetektoren anerkannt, wenn sie zur Entlastung beigetragen haben. Wollen Sie Reisenden die Chance nehmen, mit einer souverän gemeisterten Lügendetektor-Befragung bei der Einreise in keiner Schlange zu stehen?

Der pseudowissenschaftliche Video-Lügendetektor würde allenfalls wie ein Wartezeit-Lotto wirken. Entscheidend für mich ist: Systeme zur Erkennung auffälligen Verhaltens erzeugen schrittweise eine gleichförmige Gesellschaft passiver Menschen, die bloß nicht auffallen wollen. Eine solche tote Überwachungsgesellschaft ist nicht lebenswert.

Brauchen wir aber nicht die Forschung zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz auch auf solchen Feldern – und können froh sein, wenn öffentlich finanziert unter Einbindung von Ethik-Beratern geforscht wird?

Bei dieser Pseudo-Technologie ist es treffender, von "künstlicher Dummheit" statt von "künstlicher Intelligenz" zu sprechen. iBorderCtrl zielt nicht auf wünschenswerte unabhängige und kritische Forschung, sondern auf die Entwicklung eines kommerziellen Prototypen. Mit der Entwicklung von Technologien zur immer stärkeren Kontrolle von Menschen muss Schluss sein. Stattdessen sollte die EU-Sicherheitsforschung auf alle Optionen zur Kriminal- und Unglücksverhütung und auf IT-Sicherheit erstreckt werden.

Außerdem sollte erforscht werden, wie das öffentliche Sicherheitsbewusstsein gestärkt und verzerrten Einschätzungen und Darstellungen der Sicherheitslage entgegengewirkt werden kann. Der innenpolitische Überwachungswahn hat dazu beigetragen, dass sich die Bürger trotz sinkender Kriminalität immer unsicherer fühlen und in Scharen autoritäre Parteien unterstützen.

Und was ist Ihr Vorschlag, um reibungslose Einreisen bei hohen Sicherheitsstandards zu ermöglichen?

Grenzschutzbeamte dürfen nicht zusammengespart und zunehmend durch Apparate ersetzt werden, denn mit ihrer Erfahrung und ihrem Urteilsvermögen kann es keine Maschine aufnehmen. Der Schlüssel für zügige Einreisekontrollen liegt in ausreichend Personal und
schlanken Verfahren, nicht in Verdächtigungs- und Überwachungssystemen.

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