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Angela Merkel greift ein: Minister zu Klimaschutz entmachtet


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Kanzlerin greift ein
Minister entmachtet – jetzt rückt Merkel in den Fokus

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 23.03.2019Lesedauer: 5 Min.
Angela Merkel und Verkehrsminister Andreas Scheuer: Die Kanzlerin zieht Verantwortung an sich.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel und Verkehrsminister Andreas Scheuer: Die Kanzlerin zieht Verantwortung an sich. (Quelle: Emmanuele Contini)

Die eine kann nicht, der andere will nicht: Jetzt nimmt die Kanzlerin zwei Ministern den Klimaschutz aus der Hand. Zum Schutz des Planeten, der Wirtschaft – und der Koalition.

Wenn die Bundesregierung mit großen schönen Worten ein neues Arbeitsformat ankündigt, ist Skepsis angebracht: Stehen hinter den großen schönen Worten auch echte Maßnahmen? Oder sollen die großen schönen Worte nur ablenken, und eigentlich ändert sich nichts?

Das "Klimakabinett" und die "Konzertierte Aktion Mobilität" sind große schöne Wörter. Und sie sind wohl wirklich mehr als nur Ablenkungsmanöver. Nicht, weil diese Gesprächsformate mit ihren bombastischen Namen für die gleichermaßen bombastische Ambition der Regierung stehen. Sondern weil vieles dafür spricht, dass durch die neuen Formate gleich zwei Minister teilweise entmachtet wurden: Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Die Kanzlerin zieht damit faktisch die Verantwortung für Klimaschutz und Verkehrswende an sich.

Damit steigen die Chancen auf eine Einigung innerhalb der Regierung – aber der Grundsatzkonflikt ist noch längst nicht aus der Welt. Ende des Jahres könnte es bereits zum großen Streit kommen.

Kabinett beschließt zwei neue Formate

Am Mittwoch hat das Bundeskabinett beschlossen, dass es künftig ein eigenes Klimakabinett bilden wird, als Kabinettsausschuss. So hatten es die Spitzen von CDU, CSU und SPD in der Vorwoche im Koalitionsausschuss vereinbart. Darin werden die Ministerien vertreten sein, die besonders dringend Klimaschutzmaßnahmen umsetzen müssen: Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft, Bauen, dazu kommen Umwelt und Finanzen. Den Vorsitz übernimmt Angela Merkel selbst. Umweltministerin Svenja Schulze wird das Klimakabinett als "beauftragte Vorsitzende" praktisch leiten.

Außerdem hat das Kabinett eine "Konzertierte Aktion Mobilität" beschlossen: Das Kanzleramt lässt künftig Vertreter der Autoindustrie und Experten zum Rapport antreten. So soll die Zukunft der Mobilität am Autostandort Deutschland gesichert werden.

Die Umweltministerin kam nicht weiter

Klimakabinett und Konzertierte Aktion funktionieren nach ähnlicher Logik, sie gehören zusammen und man muss sie als eine Maßnahme begreifen: Mit beiden, so der naheliegende Schluss, nimmt die Kanzlerin zwei Ministern die so wichtige Aufgabe Klimaschutz aus der Hand. Das war nötig geworden, weil Schulze nicht weiterkam und Scheuer nicht weiterkommen wollte.


Schulze hatte zuletzt einen Vorschlag für ein Klimaschutzgesetz erarbeitet und gegen den Widerstand von Kollegen ans Kanzleramt übermittelt. Ihr Vorschlag: Die einzelnen Ministerien sollen dafür verantwortlich sein, dass zum Beispiel im Verkehr, der Energiebranche, durch Gebäudedämmung und in der Landwirtschaft der CO₂-Ausstoß deutlich sinkt. Im Einklang mit den Zielen, die sich Deutschland in der Folge des Pariser Klimaabkommens gesetzt hat. Gelingt das nicht, sollten die Ministerien die drohenden Kosten etwa für den Ankauf von Emissionsrechten aus dem eigenen Etat zahlen. Vor allem die Minister, deren Ressorts besonders gefragt sein werden, reagierten abweisend. Weil sie alle in der Hand der Union sind (Landwirtschaft und Wirtschaft: CDU; Bauen und Verkehr: CSU) warfen sie der SPD vor, die Lasten einseitig zu verteilen.

Schulze, die weder sonderlich gut in Berlin vernetzt ist noch sehr gekonnt Öffentlichkeit herstellt noch durch persönliche Autorität und Durchsetzungskraft auffällt, war ausgebremst.

Der Verkehrsminister brüskierte die eigenen Experten

Auf der anderen Seite ist unbestritten, dass Deutschland handeln muss. Das Land wird seine Klimaziele für 2020 verfehlen und die Lücke auch nicht deutlich verringern, wie es im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Die Emissionen durch den Verkehr sind in den vergangenen Jahren sogar eher gestiegen als gesunken. Im Koalitionsvertrag steht als Vorgabe: "Wir wollen die Klimaziele von Paris erreichen und dabei soziale Belange berücksichtigen, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gewährleisten und bezahlbare Mobilität sicherstellen."

Eine Verkehrskommission (offiziell heißt sie: Nationale Plattform Zukunft der Mobilität) soll eigentlich in diesem Sinne Vorschläge erarbeiten. Eine Arbeitsgruppe, die AG 1, ist mit einer besonders heiklen Aufgabe betraut: Sie soll Maßnahmen ersinnen, mit denen der CO₂-Ausstoß im Verkehr massiv zurückgehen soll. Es war diese Arbeitsgruppe, die ein Tempolimit und eine Steuer auf Treibstoff angedacht hatte. Minister Andreas Scheuer zürnte, das sei "gegen jeden Menschenverstand". Mitglieder der Gruppe fragen sich seitdem, ob Scheuer überhaupt Interesse an ihren ehrlichen Vorschlägen hat. Oder ob sie ausgebremst werden.

Die Arbeitsgemeinschaft 1 wird sich am Montag noch einmal treffen, dann soll sie sich auf Empfehlungen einigen. Laut dem aktuellen internen Entwurf bleiben 23 Millionen Tonnen CO², die eingespart werden müssten, mit den vorgeschlagenen Maßnahmen aber nicht erreicht werden können. Mit anderen Worten: Die Kommission droht ihren Auftrag zu verfehlen – auch weil das Ministerium ihr das Leben schwer macht.

Oberaufsicht durch das Kanzleramt

Die handlungsunfähige Umweltministerin und der handlungsunwillige Verkehrsminister bekommen jetzt eine neue Oberaufsicht. Die Möglichkeit des Verkehrsministers, Vorschläge zu blockieren, verringert sich dadurch etwas. Die Umweltministerin darf sich in neuer Runde Autorität von der Kanzlerin leihen und bekommt den Vizekanzler und Finanzminister an die Seite, um sich mit den Unionsministern zu verständigen.

In ihrem Amt ist die Kanzlerin sowieso für alles mitverantwortlich, was ihre Regierung entscheidet. Doch dadurch, dass jetzt das Kanzleramt sich auch formal einschaltet, rückt Merkel noch stärker in den Fokus. Schulzes Scheitern wäre auch ihr Scheitern, Scheuers Blockade wäre auch ihre Blockade. So wächst der Druck auf alle, sich zu einigen.

Nur: worauf?

Konflikt in der Koalition

Darüber herrscht nämlich an einer entscheidenden Stelle noch grundsätzliche Uneinigkeit. Im Koalitionsvertrag heißt es, durch verschiedene Kommissionen "schaffen wir die Grundlagen dafür, dass die Sektorziele 2030 erreicht werden. Auf dieser Grundlage wollen wir ein Gesetz verabschieden, das die Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 gewährleistet. Wir werden 2019 eine rechtlich verbindliche Umsetzung verabschieden."

Die SPD deutet das so: Es wird ein Klimaschutzgesetz geben, das alle Ressorts bindet; ob ein Gesetz oder mehrere, jedenfalls müssen alle wichtigen Fragen wie Verkehr oder Kohleausstieg geregelt sein. All das geht noch 2019 durchs Parlament. Dafür müssen aber die zuständigen Ministerien Tempo machen. Und die Kommissionen müssen im Zeitplan bleiben.

Die Union deutet die Verabredung dagegen so: Es muss Gesetze geben, aber nicht zwingend ein alles überwölbendes Klimaschutzgesetz und es muss nicht zwingend konkrete Vorgaben für die einzelnen Ministerien beinhalten. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, es gehe darum "Gesetzgebung auf den Weg zu bringen". Gesetzgebung heißt nicht unbedingt: ein Klimaschutzgesetz. Und "auf den Weg bringen" kann auch heißen, dass diese Gesetze noch nicht 2019 verabschiedet werden. Zum Beispiel gibt es Gerüchte, das Kohleausstiegsgesetz, das die Ergebnisse der Kohlekommission festschreiben soll, werde erst im Herbst ins Kabinett kommen. Damit wäre das Jahresende als Ziel für ein verabschiedetes umfassendes Klimaschutzgesetzespaket kaum zu halten.


Für die SPD sei das nicht akzeptabel, sagt der SPD-Umweltpolitiker und Fraktionsvize Matthias Miersch: "Verabschieden heißt verabschieden", da sei die SPD-Position eindeutig. Und wenn die Union trotzdem bremst?

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Ende des Jahres wollen alle Koalitionspartner die bisherige Arbeit der Regierung prüfen und entscheiden, ob es sich lohnt, die Arbeit fortzusetzen. Wenn bis dahin nichts entschieden ist, könnte auch der Klimaschutz ein Argument werde, die Koalition platzen zu lassen.

Dafür wäre dann Merkel nach den neuen Kabinettsbeschlüssen ganz direkt verantwortlich.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Koalitionsvertrag
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