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Machtprobe im Kanzleramt: Maaßen stürzt die Koalition in die Krise


Machtprobe im Kanzleramt
Maaßen stürzt Koalition in die Krise

Von dpa, pdi

Aktualisiert am 14.09.2018Lesedauer: 4 Min.
Horst Seehofer äußert sich nach der Sondersitzung des Innenausschusses im Deutschen Bundestag in Anwesenheit von Hans-Georg Maaßen: Der Verfassungsschutzchef musste sich wegen seiner Interview-Äußerung, es habe in Chemnitz keine «Hetzjagden» gegeben, vor dem geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium erklären.Vergrößern des Bildes
Horst Seehofer äußert sich nach der Sondersitzung des Innenausschusses im Deutschen Bundestag in Anwesenheit von Hans-Georg Maaßen: Der Verfassungsschutzchef musste sich wegen seiner Interview-Äußerung, es habe in Chemnitz keine «Hetzjagden» gegeben, vor dem geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium erklären. (Quelle: dpa)
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Die politische Sommerpause ist zu Ende. Und die große Koalition hat das nächste Problem. Die Erschütterungen von Chemnitz führen zur Kraftprobe – auch weil die SPD zunehmend mit der Koalition hadert.

Es sind zwei Sätze, um 12.08 Uhr per E-Mail verschickt. Sätze mit Sprengkraft. Die SPD-Spitze fordert von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kategorisch, dass sie Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen absetzt oder er zurücktritt. Generalsekretär Lars Klingbeil verkündet: "Für die SPD-Parteiführung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss. Merkel muss jetzt handeln."

Am Morgen hieß es zunächst, die SPD mache Maaßen nicht zum "Casus Belli", zum Kriegsgrund. Ohnehin dürften im Land nur wenige Menschen verstehen, was los ist in Berlin – alles platzen lassen wegen eines umstrittenen Interviews im Zusammenhang mit den fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Chemnitz und Zweifeln Maaßens an der Authentizität eines Videos?

Krisentreffen im Kanzleramt

Am Nachmittag dann kommt Merkel mit Nahles und Maaßens oberstem Dienstherren, Innenminister Horst Seehofer (CSU), im Kanzleramt zu einem Krisentreffen zusammen. Das Trio ist in einer verzwickten Lage - und jeder für sich auch. In Koalitionskreisen heißt es, keiner der drei könne derzeit ein Interesse daran haben, dass die Regierung platzt und es eine vorgezogene Neuwahl gibt – gerade angesichts der Erfolge der AfD.

Zuvor hatte der Streit über die Zukunft des Verfassungsschutzpräsidenten innerhalb weniger Stunden eine derartige Zuspitzung erfahren, dass wie vor der Sommerpause schon wieder über ein bevorstehendes Aus der GroKo gemutmaßt wurde. Mit ihrem offensichtlich abgestimmten Signal für den Willen zur weiteren Zusammenarbeit setzten die Parteichefs auch so etwas wie ein Stoppsignal vor eine weitere Eskalation des neuen Streits.

Suche nach dem Ausweg

Dass gleich noch der Zeitpunkt für die Fortsetzung des Gesprächs über Maaßen in gleicher Runde - kommender Dienstag um 16.00 Uhr – genannt wird, ist ungewöhnlich. Dass Tag und Uhrzeit als Art Endpunkt verstanden werden könnten, bis zu dem Maaßen selbst seinen Rückzug anbieten könnte, bleibt zunächst jedoch Spekulation. Auch der CSU-Parteitag an diesem Samstag in München wird als möglicher Grund dafür genannt, dass eine Entscheidung vertagt wurde.

Hinter vorgehaltener Hand wird in Berlin über mögliche Modalitäten für einen selbstgewählten Rückzug Maaßens nachgedacht. Als politischer Beamter könnte der 55-Jährige beispielsweise um die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bitten – auch, um so nicht auf seine Versorgungsansprüche verzichten zu müssen.

In der Koalition heißt es auch, dass die Regierung über den Streit um einen Spitzenbeamten zerbreche – das sei es nicht wirklich wert. Man dürfe nicht leichtfertig zulassen, dass aus der Belastung der Koalition durch Maaßen eine Regierungs- oder Staatskrise werde. Doch ob der selbstbewusste Beamte einen solchen Schritt gehen würde?

Maaßen traf sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur im Laufe des Tages mit Bundestagsabgeordneten der Union. Dort soll er nicht den Eindruck vermittelt haben, als ob er vor dem Aus seiner Karriere steht oder amtsmüde ist, heißt es später.

Entscheidung vertagt

Zudem wird darauf hingewiesen, dass Maaßen sich am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags zwar durchaus reumütig und teils einsichtig gezeigt, aber für die Vorwürfe gegen ihn inhaltlich nicht wirklich eine große Grundlage gesehen habe. Auch auf die mehrfache Rückendeckung Seehofers für Maaßen wird hingewiesen. Für den CSU-Chef dürfte es im Landtagswahlkampf - in Bayern wird am 14. Oktober gewählt - zudem mehr als ungelegen kommen, würde er als Umfaller dastehen, wenn er Maaßen doch noch zum Rückzug drängen würde.

Merkel, Seehofer und Nahles sind alle in einer verzwickten Lage. Keiner von ihnen kann derzeit ein Interesse daran haben, dass die Regierung platzt und es eine vorgezogene Neuwahl gibt – angesichts der Erfolge der AfD. Merkel stünde ein Jahr nach der Bundestagswahl wohl vor dem Ende ihrer politischen Karriere, nur ein halbes Jahr nach der Vereidigung ihres vierten Kabinetts. Und Seehofers Pfund im latenten Machtkampf mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) ist immer noch das Ministeramt in Berlin.

Tabubruch durch Maaßen?

Gerade bei der SPD ist wegen der miesen Umfragewerte mächtig Druck im Kessel, daher auch die Kraftprobe. Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz werden seine blassen bis arroganten Auftritte angekreidet. Von "Kommunikationsdürre" spricht ein einflussreicher Abgeordneter. Nahles hat ein großes Imageproblem. Im Zusammenhang mit dem Streit über Maaßen entlädt sich bei der SPD nun die Sehnsucht nach klarer Kante. Nahles hatte klare Belege für Maaßens Aussagen eingefordert.

Die kamen aus Sicht der SPD nicht - bei Maaßen geht es der Partei auch ums Grundsätzliche. Steht er auf der richtigen Seite im Ringen um eine zunehmend instabile Demokratie und im energischen Kampf gegen Rechtsextremismus? Unbestritten sind die fachlichen Qualifikationen des Juristen, der einst über "Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht" promovierte. Aber nicht nur Juso-Chef Kevin Kühnert, der schon den Widerstand gegen die erneute große Koalition anführte, wirft Maaßen Relativierungen von rechtsextremen Attacken vor.

Auch nicht stabilisierend wirkt, dass der CSU wie der SPD bei der Bayernwahl am 14. Oktober dramatische Pleiten drohen. Eine Umfrage sieht die lange erfolgsverwöhnte CSU bei 35 Prozent, die SPD bei 11.

Hektik bei der SPD

Im Ringen um eigenes Profil grenzt man sich voneinander ab, statt das Land zusammenzuhalten. Die SPD verfällt wieder in hektisches Themenhopping: Mietpreisstopp, stabile Renten bis 2040, Nein zu einem Syrien-Einsatz, auch wenn Giftwaffen zum Einsatz kommen. Nutzen tut es wenig. Zudem stärkt es Nahles nicht, dass sie bisher keinen Spitzenkandidaten für die Europawahl im Mai findet: Die Wunschkandidatin, Justizministerin Katarina Barley, sagte ab.

Einer der wenigen, der bei der SPD gerade mit sich im Reinen ist, ist ausgerechnet Martin Schulz, Ex-Parteichef und Kanzlerkandidat. Hunderte Mails hat er nach seiner Attacke gegen AfD-Chef Alexander Gauland vom Mittwoch im Bundestag bekommen, den er auf den Misthaufen der Geschichte wünschte. "Auf einen groben Klotz gehört auch mal ein grober Keil", sagte Schulz. Auch Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, mit dem er sich wieder versöhnt hat, rief an. Schulz ist beunruhigt über die Lage der SPD, er zitiert mit Blick auf seine politische Zukunft ein altes Bonmot. "Die Politik ist ein Riesenrad, das sich immer dreht. Mal bist Du unten, mal bist Du oben."

Verwendete Quellen
  • dpa
  • Reuters
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