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"Neues Hambacher Fest": Die "Systemkritiker" wollen nicht mehr nur reden


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"Neues Hambacher Fest"
Die "Systemkritiker" wollen nicht mehr nur reden


Aktualisiert am 05.05.2018Lesedauer: 5 Min.
Eine Besucherin des "Neuen Hambacher Fests": Das Treffen zeigt auch, wie zerrissen das rechte Lager ist.Vergrößern des Bildes
Eine Besucherin des "Neuen Hambacher Fests": Das Treffen zeigt auch, wie zerrissen das rechte Lager ist. (Quelle: Uwe Anspach/dpa)

Das „Neue Hambacher Fest“ sollte ans Original von 1832 anknüpfen. Max Otte versammelte „demokratische Systemkritiker“ auf dem Hambacher Schloss. Historisch war es, aber aus anderen Gründen. t-online.de war vor Ort.

Wie oft Max Otte an diesem Tag die Tradition des Hambacher Festes beschwört, lässt sich kaum zählen. „Wir sind das Hambacher Fest“, sagt er schon um kurz nach 8 Uhr, als seine „Patriotenwanderung“ hinauf zum Hambacher Schloss im pfälzischen Neustadt an der Weinstraße beginnt. Da sind die Redner, die später auf seinem „Neuen Hambacher Fest“ sprechen werden, Thilo Sarrazin, Vera Lengsfeld und AfD-Chef Jörg Meuthen etwa, noch gar nicht da.

Otte stimmt dann das historische Lied des Hambacher Festes von 1832 an, auf der Ladefläche eines kleinen Miet-Lkw. Er singt – und begleitet sich dabei selbst auf der Gitarre: „Hinauf, Patrioten, zum Schloss, zum Schloss!“ Über ihm weht eine riesige Deutschlandfahne im Wind. Sie trägt den Schriftzug: „Deutschlands Wiedergeburt“.

Eine historische Anleihe an das Hambacher Fest. Einerseits. Damals, 1832, zogen mehr als 20.000 Menschen aufs Hambacher Schloss, um gegen Fürstenherrschaft und Zensur und für eine geeinte Nation und Freiheitsrechte zu demonstrieren.

Andererseits: ein Wunsch für die Gegenwart.

Denn Otte, Ökonom, CDU-Mitglied und zuletzt AfD-Wähler, wird wenig später in seiner Eröffnungsrede oben auf dem Schloss vor 1200 Zuhörern sagen: „Unser politisches System ist nicht mehr ganz so weit weg von der Fürstenherrschaft.“ Und es gebe zwar nicht mehr die Zensur wie früher. Aber eben zensurähnliche Zustände.

Das „Neue Hambacher Fest“ zeigt die Zerrissenheit der deutschen Gesellschaft – und die Zerrissenheit des rechten politischen Lagers selbst. Und es zeigt: Beim Reden wollen sie es nicht mehr belassen.

Das Misstrauen ist riesig

Wie zerrissen Deutschland ist, wird bei der „Patriotenwanderung“ deutlich. Als der Zug über ein Rinnsal Gülle laufen muss, sagt ein Wanderer: „War das jetzt Absicht oder was? Hö?“ So, als wäre es vielleicht eine gezielte Aktion gegen die Veranstaltung gewesen. Manche lachen, verstehen es als Witz. Andere offenbar nicht. Später bestätigt die Polizei, dass es wohl tatsächlich Absicht war.

Und es gibt weiteren Protest gegen die Wanderer. Ein Familienvater hat in seiner Hecke am Rande des Weges hoch zum Schloss ein Schild aufgehängt. „Das Hambacher Fest ist ein Kind des Liberalismus!“, steht dort in roten Buchstaben. Veranstalter Otte stellt sich kamerawirksam daneben, den Daumen nach oben gereckt: „Recht hat er.“

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Das ärgert den Familienvater. „Selbst das Protestschild vereinnahmen sie für sich.“ Vielleicht hätte er es sicherheitshalber so deutlich formulieren sollen, wie er es anschließend tut: „Die Umdeutung des Hambacher Fests für deutschnationale Zwecke ist widerlich.“

Rund 1000 Polizisten sind im Einsatz. Sie wollen vorbereitet sein. Als die nach Polizeiangaben rund 350 „Patriotenwanderer“ etwas unterhalb des Schlosses an den rund 100 Gegendemonstranten von Antifa und einem regionalen Bündnis gegen Rechts vorbeilaufen, werden Parolen ausgetauscht, es wird gebrüllt. „Ihr seid nicht das Volk!“ oder „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!“ Ein Wanderer mokiert sich über den „kläglichen Haufen der Antifa-Wichser“. Andere versichern sich gegenseitig darin, dass die Antifa zwar laut sei, aber ja nicht die Mehrheit. Vereinzelt diskutieren Wanderer und Gegendemonstranten sogar kurz.

Zueinander finden sie natürlich nicht.

Auch das rechte Lager selbst ist zerrissen

Auf dem „Neuen Hambacher Fest“ wird aber auch deutlich, wie zerrissen das rechte politische Lager ist. Es gibt da die jungen Männer, die auf dem Schlossplatz Witze erzählen. „Was sind deine zwei Vorbilder? – Angela Merkel und Uli Hoeneß – Der eine war im Gefängnis, die andere gehört ins Gefängnis.“ Oder die, die in der langen Warteschlange beim Getränkeausschank über einen Nebenmann sagen: „Könnte er glaubwürdig vorgeben, ein Syrer zu sein, würde es schneller gehen.“

In beiden Fällen wird herzlich gelacht. Sie finden hier ihr Publikum.

Es gibt die AfD-Anhänger, die die prominenten Politiker der Partei bewundernd begrüßen. Genauso gibt es aber auch die zwei jungen CDU-Mitglieder, einer von der WerteUnion, der andere von der Jungen Union. Sie seien erschrocken darüber, wie viele AfD-Vertreter da sind. Sie selbst seien auch hier, um herauszufinden, wie man sich von den Radikalen abgrenzen könne, von denen, die gar keine Werte hätten. Bei der AfD sehe er diese Wertelosigkeit in vielen Dingen, sagt der eine, etwa „beim in Teilen offenen Antisemitismus oder der Diskriminierung“. Verallgemeinern dürfe man das natürlich nicht, sagt er dann noch. Und: Man müsse das Gespräch suchen.

Veranstalter Otte ist sich der Gratwanderung bewusst. Er hat AfD-Chef Jörg Meuthen eingeladen, tatsächlich sind auch viele andere hochrangige AfD-Politiker auf dem Hambacher Schloss, etwa der rheinland-pfälzische Landeschef Uwe Junge oder der Bundestagsabgeordnete Bernd Baumann. Zugleich sind Otte selbst nicht alle AfD-Politiker geheuer: Weil der „Spiegel“ ihn neben dem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke abbildete, ließ Otte die Journalistin des Artikels nicht mehr aufs „Neue Hambacher Fest“. In einem Interview sagte er einmal: „Björn Höcke in Thüringen scheint mir tatsächlich rechtsradikal zu sein.“

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Zur „Patriotenwanderung“ hat Otte nur Bürger eingeladen, von denen er sagt, sie seien verfassungstreu. Vor der Wanderung bittet er eine Teilnehmerin, ihr mitgebrachtes Plakat wegzustecken. Die Deutschlandfahne genüge als Zeichen. Er will nicht die Kontrolle über seine Veranstaltung verlieren. Dafür hat er 20 Ordner mitgebracht, die nach innen wirken sollen, wie Otte sagt. Sie sollen etwa aufpassen, dass „keine verbotenen Symbole getragen werden“. Oben auf dem Schloss sagt er, er habe gehört, dass Provokateure anwesend seien, auch Rechtsradikale. „Melden Sie die bitte den Ordnern, das wollen wir nicht dulden.“

Inhaltlich wenig Neues

Die von Otte eingeladenen Redner reden derweil genau das, was von ihnen erwartet wird. Otte kündigt den ersten, Thilo Sarrazin, als den Mann an, über den eine Journalistin mit Bezug auf das umstrittene Buch „Deutschland schafft sich ab“ gesagt habe: „Er hat das alles gestartet, ohne ihn wäre Deutschland ein anderes Deutschland.“ Dann ruft Otte: „Dafür danken wir Ihnen, Herr Sarrazin!“ Und erntet viel Applaus.

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Genauso viel Applaus bekommt auch Sarrazin selbst, obwohl er eine typische Sarrazin-Rede hält. Viele Zahlen und Statistiken zu Bevölkerungsentwicklung und Geburtenrate, bei uns, im Nahen Osten und in Afrika. Auch vor dem Wortungetüm Zahlenarithmetik schreckt er nicht zurück. Aber dann sind da auch Sätze, die mehr Applaus bringen. So wie: „Von welchem Interesse sollte es sein, welche Bienenvölker in 100 Jahren hier leben, wenn es das Land so gar nicht mehr gibt?“

Er sagt, man müsse „kulturfremde Einwanderung wirksam kontrollieren und weitestgehend unterbinden“. Das sei eine Lebens- und Existenzfrage, nicht nur für Deutschland, sondern auch für die EU. So ähnlich fordern das eigentlich alle Redner.

Sarrazin, aber auch die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld und der Islam-Kritiker Imad Karim beklagen eine Hetzjagd, die teils auch existenzbedrohend sei – wegen ihrer Ansichten. Imad Karim sagt: „Niemandem darf der Mund verboten werden.“ Ohne, dass ihm der Mund verboten wird.

Der Ökonom und Europapolitiker Joachim Starbatty beklagt, dass die Deutschen in der EU keine Deutschen Interessen verträten. Man müsse dem EZB-Chef Mario Draghi „das Handwerk legen, bevor er uns alle enteignet“. Und AfD-Chef Jörg Meuthen sieht in Deutschland „fundamentales Staatsversagen in höchster Vollendung“. Dem deutschen Volk werde „die Ideologie des Multikulturalismus verordnet“, ohne dass es jemals gefragt worden sei.

Das ist alles nicht neu.

Doch beim „Neuen Hambacher Fest“ wird auch klar: Bei engagierten Reden auf einem Schloss wollen es viele nicht mehr belassen. Starbatty sagt, er wolle nicht, dass ihm seine Enkelkinder später vorwerfen, er habe zwar schön geredet, aber nichts getan. Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Lengsfeld weist den Weg: friedliche Revolution. So wie 1989.

Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes blieb offen, ob es sich bei der Gülle um einen Protest gegen die Wanderer handelte. Inzwischen bestätigte die Polizei, dass es sich nach derzeitigem Erkenntnisstand tatsächlich um eine gezielte Aktion handelte. Der entsprechende Satz wurde ergänzt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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