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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Neuer Bundestag Es stehen stürmische Zeiten bevor

Im neuen Bundestag sitzen so viele AfD-Abgeordnete wie nie zuvor, die pöbeln und stören werden. Für den Parlamentsbetrieb ist das eine Herausforderung – für die neue Bundestagspräsidentin Klöckner aber auch eine Chance.
Es ist ein gewöhnungsbedürftiger Anblick, der sich im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes bietet: Statt des bislang einzigen Sitzes in der ersten Reihe thronen am Dienstag erstmals gleich vier Vertreter der AfD ganz vorne, direkt neben der Regierungsbank. Hinter ihnen: 148 weitere Abgeordnete der in Teilen rechtsextremen Partei, so viele wie nie zuvor.
Dass sich die Zusammensetzung des Parlaments verändert, gehört zum Wesen der Demokratie. Regelmäßig, meist alle vier Jahre, wachsen und schrumpfen nach allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen die Fraktionen. Hin und wieder scheiden Parteien auch ganz aus, wie zuletzt etwa die FDP.
Das jedoch, was mit der Konstituierung des 21. Bundestags einhergeht, ist eine Zäsur. Dieser Bundestag, die Stimmung im Plenum, die Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen, wird radikal anders sein. Dem Parlament, so viel ist schon jetzt klar, stehen stürmische Zeiten bevor.
Auf Klöckner kommt es jetzt an
Die AfD wird mit fast doppelt so vielen Abgeordneten nicht nur deutlich mehr Redezeit bekommen, Alice Weidel als Oppositionsführerin stets das erste Wort nach Bald-Kanzler Friedrich Merz haben. Die Rechtspopulisten werden wohl auch noch mehr als zuvor mit Zwischenrufen und Pöbeleien die Sitzungen stören, werden versuchen, die Institution, die viele in ihren Reihen ablehnen, lächerlich und verächtlich zu machen.
Schon im vergangenen Bundestag gab es gemessen an den Sitzungstagen einen neuen Rekord bei der Zahl der Ordnungsrufe. Die allermeisten entfielen dabei auf die AfD-Fraktion, die wie keine andere die Sitzungen störte, immer wieder dazwischen blökte, teils mit arg unflätigen Aussagen auffiel. Erwartet werden darf, dass sich dieser Trend mit doppelt so vielen Abgeordneten der Rechtsaußenfraktion fortsetzt.
Zu Recht mahnt Gregor Gysi (Linke) in seiner Auftaktrede als Alterspräsident mehr gegenseitigen Respekt im Parlament an. Er wünsche sich einen Bundestag, der "ohne Beleidigungen, ohne Beschimpfungen" auskomme.
Seine Worte in Julia Klöckners Ohr. Denn auf sie, die CDU-Politikerin, die der Bundestag am Mittag zu seiner neuen Präsidentin gewählt hat, kommt es jetzt an. Sie muss stärker als all ihre Vorgänger nicht nur für Ruhe und Ordnung während der Reden anderer Abgeordneter sorgen. Sie muss auch bei den besonders Radikalen in der AfD, und von denen gibt es viele in der neuen Fraktion, genau hinhören, welche Worte und Sätze sie in ihren eigenen Reden unterbringen – und notfalls einschreiten, um die Würde des "Hohen Hauses" zu wahren.
Neue Geschäftsordnung tut Not
Dass Klöckner unlängst noch anbot, sich in ihrer neuen Funktion auch bei der AfD-Fraktion vorzustellen, mag man vor diesem Hintergrund als erstes schlechtes Omen lesen. Unglücklich war diese Ankündigung und auch unnötig, was sie nach der erbosten Reaktion der Grünen schnell auch selbst einsah.
Jedoch sollte man dieses Intermezzo auch nicht überinterpretieren. Am Ende zählen nicht Worte, sondern Taten. Und hier zeichnet sich glücklicherweise ab, dass Klöckner durchaus offen ist für eine Verschärfung der Gangart im Bundestag.
Berichten zufolge nämlich will sie die Geschäftsordnung des Parlaments so ändern, wie es zuletzt noch die Ampelfraktionen vorhatten: Unter anderem sollen höhere Ordnungsgelder die Parlamentspöbler abschrecken, zudem soll nach drei erfolglosen Wahlen eines Vizepräsidenten nicht immer wieder ein neuer Anlauf für die Wahl genommen werden. Und: In den Ausschüssen soll künftig auch die Abwahl eines Vorsitzenden erlaubt sein.
Eine Herausforderung, aber auch eine Chance
Klöckner täte gut daran, die Regeln in diesem Sinne schon bald zu verschärfen und das Parlament damit zu wappnen gegen die Radikalen vom Rand. Für sie persönlich läge in der Herausforderung durch die AfD damit auch eine Chance:
Zwar ist die Präsidentin per verfassungsmäßiger Rangfolge ohnehin schon die zweitwichtigste Person im Staat, nach dem Bundespräsidenten und noch vor dem Kanzler. In der Realität jedoch glich die Position bislang doch eher einem schicken Versorgungsposten, ohne echte Macht und tatsächlichen Einfluss.
Gelingt es Klöckner, ihre Rolle im wohl radikalsten Bundestag neu zu interpretieren und die Extremisten zu zähmen, kann sie dem Amt zu neuer Größe verhelfen. Dann wächst mit ihr auch der Bundestag insgesamt an seiner neuen Sitzverteilung.
- Eigene Beobachtungen im Bundestag