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Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD-Mann lobt Scholz Lanz: "Entschuldigung, da musste ich gerade lachen"
Bei Lanz versuchte der niedersächsische Ministerpräsident, Kanzler Scholz in Schutz zu nehmen. Doch auf Stephan Weils Einlassungen reagierte der Moderator vielsagend.
Migrationsforscher Gerald Knaus zeichnete bei "Markus Lanz" ein dramatisches Bild von der innen- und außenpolitischen Situation Europas. SPD-Politiker Stephan Weil brachte Gastgeber Lanz indes mit Lob für Kanzler Scholz zum Lachen.
Gäste:
- Stephan Weil, SPD-Politiker und niedersächsischer Ministerpräsident
- Sonja Álvarez, Journalistin
- Gerald Knaus, Migrationsforscher
Das Platzen der Koalitionsverhandlungen in Österreich zwischen ÖVP, SPÖ und den Neos sorgt in Europa für große Besorgnis – schließlich sieht es so aus, als würde der als weit rechts stehend geltende FPÖ-Politiker Herbert Kickl Bundeskanzler werden. Ein massiver Rechtsruck in Deutschlands Nachbarland steht damit also möglicherweise unmittelbar bevor.
Weil: "Wir sind nicht Österreich"
SPD-Politiker Stephan Weil sieht diese Gefahr für Deutschland nicht ganz so drastisch. Von Lanz darauf angesprochen, ob das nächste Kanzlerduell möglicherweise nicht wie erwartet "Merz gegen Scholz", sondern "Merz gegen Alice Weidel" heißen könnte, erwiderte Weil: "Der Unterschied ist der: Frau Weidel hat keine Partner in der deutschen Politik, und deswegen wird sie keine Kanzlerin sein, da bin ich sicher. Wir sind nicht Österreich."
Lanz hakte nach: "Sind Sie sich da ganz sicher? Könnten wir Österreich werden, das ist die Frage." Darauf wolle er es gar nicht ankommen lassen, so der SPD-Mann. Vielmehr sah er jetzt eine Chance für die Demokraten, eine Mehrheitsregierung zu bilden, die überzeugende Arbeit leisten könne.
Kritik an Kanzler Olaf Scholz wollte Weil keine gelten lassen. Dass Scholz im Wahlkampf übergriffige Formulierungen gegenüber Merz nutzte, relativierte er und erklärte, dass der Wahlkampfton in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch sehr gemäßigt sei.
Auf die Frage von Lanz, wie Olaf Scholz "das Ding noch mal drehen" könne, holte er zum Kanzlerlob aus. Die Leute würden sich kurz vor der Wahl fragen, wem sie im Angesicht von möglicherweise turbulenten nächsten Jahren vertrauen könnten. "Jemandem, den wir kennen und der oft genug in Krisen bewiesen hat, dass er seine Nerven beisammen hat", zeigte sich Weil optimistisch. Lanz brach daraufhin in Gelächter aus und unterbrach den Politiker: "Ich muss gerade lachen, weil ich glaube, die Leute fragen sich eher: 'Will ich das, was ich die letzten drei Jahre hatte, noch mal haben?' Das ist doch eher das Thema."
Knaus: "Die nächste amerikanische Regierung will Europa spalten"
Migrationsforscher Gerald Knaus analysierte den politischen Wechsel in Österreich anschließend ausführlich. "Ich glaube, was wir in Österreich erleben, ist ja ein Erdbeben", erklärte er. Man habe es mit einer FPÖ zu tun, deren Jungpartei sich von den Identitären nicht unterscheide. "Die Partei will aus der EU raus, will Putin unterstützen und unterstützt die radikalsten Vorschläge für Europa. Das ist für Europa ein Präzedenzfall." Besorgniserregend sei zudem, dass die Partei aus einer Position "unglaublicher Stärke" heraus mit der ÖVP regieren könnte.
Für Europa sei dies möglicherweise ein fatales Signal. "Die letzten Tage haben es klar gezeigt: Die nächste amerikanische Regierung will Europa spalten und unterstützt offen Parteien in Europa, die die EU zerstören wollen", so Knaus. Er bezog sich dabei etwa auf Elon Musk, der eine klare Wahlempfehlung für die AfD ausgesprochen habe.
Auch, dass Russland Asyl als Waffe einsetze, wurde thematisiert. Der Kreml überlege sich ganz genau, wie er agieren könnte, um seine "Freunde" in Europa an die Macht zu bringen – Freunde, die etwa Sanktionen gegen Russland aufheben und die Ukraine opfern wollten. "Wenn Sie das analysieren, da brauchen Sie kein Einstein zu sein, um zu sagen: Migration, Angst vor Migration, Kontrollverlust", analysierte Knaus – und fügte noch Terroranschläge vor den Wahlen als politische Waffe hinzu.
Álvarez: "Wir sind einfach viel zu spät dran"
Auch das Thema der schwächelnden deutschen Automobilbranche wurde thematisiert. Hier sah die Journalistin Sonja Álvarez große Versäumnisse: "Volkswagen hat 2019 das erste E-Auto vorgestellt. Da hatte Tesla bereits eine Million E-Autos verkauft. Wir sind einfach viel zu spät dran in dieser Entwicklung, und es ist fraglich, ob wir da überhaupt noch aufholen können." Stephan Weil konterte: "Sie wissen schon, wer der Marktführer bei den Verkäufen von Elektroautos in Deutschland ist? Das ist Volkswagen, und zwar mit weitem Abstand."
Álvarez erwiderte: "Sie können sich doch jetzt auch nicht darauf ausruhen, dass Sie sagen, dass VW das meistverkaufte Auto hier in Deutschland ist, sondern gerade in den globalen Märkten. Gerade in dem ja wichtigen Markt China spielen die E-Autos der deutschen Autobauer ja kaum noch eine Rolle. Also das sind natürlich Entwicklungen, die hochproblematisch sind."
Álvarez machte auch deutlich, dass Versäumnisse in der deutschen Automobilbranche nicht nur struktureller Natur seien, sondern auch mit einer gewissen Arroganz einhergegangen seien. Sie erinnerte an ein überliefertes Zitat von Ferdinand Piëch vom Genfer Autosalon aus dem Jahr 2014: "Da hat er noch gesagt, er interessiert sich nicht für Tesla, solange die Batterien noch brennen."
Knaus: "Fatales Signal der Schwäche"
Dieses Denken habe lange dominiert, verbunden mit der Annahme, der Verbrenner werde weiterhin erfolgreich bleiben. Währenddessen hätten die Chinesen mit einem klaren Plan für Schlüsseltechnologien, einschließlich der Automobilbranche, ein enormes Tempo hingelegt. "Die Chinesen bauen nicht nur Autos, sondern sind auch sehr innovativ und haben die deutschen Autobauer teilweise überholt, gerade im Bereich der Digitalisierung", betonte Álvarez.
Dass die Union das Verbrenner-Aus rückgängig machen möchte, fand sie besonders problematisch: "Wer sich über so eine Abkehr am Ende am allermeisten freut, das ist die Konkurrenz." Ein klarer Kurs in Richtung Elektromobilität sei unerlässlich, "wenn wir überhaupt noch eine Chance haben wollen", betonte die Journalistin.
Zum Schluss lenkte Lanz das Gespräch auf Georgien – ein Land, das vor einer Zerreißprobe steht, wie es der Moderator formulierte. Knaus attestierte, dass die georgische Regierung russische Gesetze zur Unterdrückung der Opposition kopiere, während gleichzeitig täglich Menschen mit Europafahnen für Demokratie und eine Annäherung an die EU demonstrierten. Außerdem sieht er einen Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien als Gefahr. Dass die Europäische Union bislang kaum reagiert habe, bezeichnete er als besorgniserregend und als "fatales Signal der Schwäche".
Knaus betonte, dass die Welt sich zunehmend in Blöcke aufteile, angeführt von autoritären Kräften wie China und Russland, die ihre Nachbarn unter Kontrolle bringen wollten. In diesem Kontext, so Knaus, sei es für Europa wesentlich, strategischer zu denken und seinen Einfluss dort geltend zu machen, wo Gesellschaften Teil des liberalen Europas und seiner Märkte sein möchten und bereit seien, dessen Regeln zu übernehmen.
- ZDF: Sendung "Markus Lanz" vom 9.1.2025