Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Doch nicht mehr Netto vom Brutto Erbärmliches Polittheater
Kaum mehr Hoffnung für Steuerzahler: Weil sich SPD, Grüne, FDP und die Union nicht einig werden, wird die "Kalte Progression" nicht ausgeglichen. Das ist armselig – und birgt eine große Gefahr.
Es ist nicht mehr als ein Gebot der Fairness: Damit sich der Staat nicht im Vorbeigehen an den inflationsbedingten Gehaltserhöhungen der Deutschen bereichert, mehr Steuern kassiert, nur weil Arbeiter und Angestellte durchs Lohnplus in eine höhere Steuerklasse rutschen, hat sich die einstige Ampelregierung schon im Sommer angeschickt, den Steuertarif im Januar 2025 anzupassen. Abbau der sogenannten Kalten Progression nennt sich das technisch, oder einfach: "Mehr Netto vom Brutto".
Daraus aber wird jetzt wohl nichts mehr. Weil es die Ampel und ihre Mehrheit im Bundestag nicht mehr gibt. Und weil sich – entgegen aller Beteuerungen – die Parteien der Mitte bis zur Neuwahl nicht mehr zusammenraufen wollen, sondern lieber Wahlkampf machen, in dem Fall auf Kosten von Bürgers Portemonnaie.
Der Begriff "Kalte Progression" beschreibt den Umstand, dass Bürger trotz einer Gehaltserhöhung, die die Inflation ausgleicht, weniger Netto vom Brutto haben, weil sie durch den ansteigenden Steuertarif mehr Steuern ans Finanzamt abführen müssen. Ausgleichen lässt sich dieser Effekt durch eine Anhebung der Einkommensbeträge, die dem Einkommensteuertarif zugrunde liegen.
Es ist so erbärmlich. Und es ist – angesichts des Erstarkens radikaler Ränder – so gefährlich. Denn genau das schürt den Ärger der Menschen, gerade, wenn es ums eigene Geld geht, wachsen Unverständnis und Politikverdrossenheit.
Alle Parteien sind verantwortlich
Schuld trifft in diesem Fall nicht einen politischen Akteur allein, sondern alle. Da ist zum Beispiel die FDP, deren Parteichef Christian Lindner als Finanzminister den Abbau der Kalten Progression einst am stärksten forcierte, einen Kompromiss mit Grünen und Sozialdemokraten aushandelte – von dem er jetzt aber nichts mehr wissen will: Parallele Steuerförderungen für elektronische Dienstwagen? Nicht mit ihm, entweder FDP pur oder gar nichts. Was interessiert mich der demokratische Kompromiss von gestern?
Da sind zugleich aber auch SPD und Grüne, die darauf pochen, den früheren Ampel-Beschluss eins zu eins umzusetzen. Gespräche führen über mögliche Annäherungen mit den Liberalen? Wozu denn, es gibt doch schon einen Deal, uns doch egal, dass das Regierungsbündnis gecrasht ist.
Und da sind am Ende auch CDU und CSU, die Unionsfraktion im Bundestag unter ihrem Chef Friedrich Merz. Dessen Generalsekretär Carsten Linnemann sagt, man sei "nicht der Reparaturbetrieb dieser gescheiterten Koalition", zudem lasse sich die Steuererhöhung durch die Hintertür ja auch noch nach der Neuwahl zurückdrehen.
AfD und BSW reiben sich die Hände
Das mag auf den ersten Blick zwar stimmen. Auf den zweiten aber dürften sich viele Bürger auch hier fragen: Was soll dieses Taktieren? Ich soll also zunächst mehr Steuern an den Fiskus abdrücken, nur weil ein wahrscheinlicher Kanzler Merz später die große Entlastung verkünden will?
Verlierer dieses jämmerlichen Schauspiels sind zum einen die Steuerzahler und die Familien, denn auch das parallel geplante Plus beim Kindergeld bleibt so auf der Strecke. Zum anderen aber verliert auch die Demokratie insgesamt. Wo Parteien und Politiker zum Wohle des Volkes nicht mehr in der Lage zum Kompromiss sind, schwindet das Vertrauen ins System, da wächst zu Recht die Enttäuschung der Bürger über die Entscheider.
Freuen können sich darüber jene politischen Player, die von genau dieser Entwicklung profitieren. Bei AfD und BSW dürften sich viele die Hände reiben: Wieder einmal zeigt die oft zitierte "Demokratische Mitte", dass sie zwar vorzüglich zanken kann – zu Lösungen im Interesse aller (und hier lässt sich "aller" wörtlich verstehen) nicht fähig ist. Wie armselig.
- Eigene Beobachtungen