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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mehr Netto vom Brutto "Es geht nicht mehr um einen hinfälligen Ampel-Kompromiss"
Mehr Netto vom Brutto für die Bürger, das ist das erklärte Ziel von SPD, Grünen und FDP, auch nach dem Bruch der Ampel. Doch dieses Vorhaben droht nun doch zu scheitern.
Die Ampel ist Geschichte, ein zentrales Projekt wollen die Ex-Partner aber noch zusammen umsetzen – eigentlich. Denn jetzt gibt's neuen Streit. Zankapfel ist dieses Mal: ein Gesetzespaket, das unter anderem die Erhöhung des Kindergeldes sowie die Anpassung von Steuergesetzen enthält, um die sogenannte kalte Progression auszugleichen.
Konkret geht es um das "Steuerfortentwicklungsgesetz", das das Bundeskabinett auf Vorschlag des ehemaligen Finanzministers Christian Lindner (FDP) im Juli beschlossen hat. Der Gesetzentwurf enthält eine Anpassung der Eckwerte im Steuertarif, eine Erhöhung des Kindergeldes, des Kinderfreibetrags und des Grundfreibetrags sowie verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für E-Autos, eine Erhöhung der Forschungszulage und die bei Unternehmen beliebte Möglichkeit der degressiven Abschreibung.
Kalte Progression
Der Begriff "kalte Progression" beschreibt den Umstand, dass Bürger trotz einer Gehaltserhöhung, die die Inflation ausgleicht, weniger Netto vom Brutto haben, weil sie durch den ansteigenden Steuertarif mehr Steuern ans Finanzamt abführen müssen. Ausgleichen lässt sich dieser Effekt durch eine Anhebung der Einkommensbeträge, die dem Einkommensteuertarif zugrunde liegen.
Weil das Vorhaben für alle Steuerzahler mehr Geld in der Tasche bedeutet und vor allem auch Familien stark von dem geplanten Gesetz profitieren, erklärten SPD, Grüne und FDP nach dem Platzen der Koalition Anfang November, dass sie das Gesetz gern noch umsetzen wollen. Jetzt jedoch scheint das Ganze wieder zu wackeln.
Grund: Die FDP will von den Kompromisslinien nichts mehr wissen, die SPD, Grüne und FDP in der Ampel gefunden hatten. Die Liberalen wollen demnach nur noch einige Teile des Gesetzespakets umsetzen, jene nämlich, die ihnen besonders wichtig sind.
FDP: "Hinfälliger Ampel-Kompromiss"
"Das FDP-Angebot sind der vollständige Abbau der kalten Progression inklusive Minderungszone beim Soli und die Erhöhung des Kindergeldes für 2025 und 2026", sagte FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer am Donnerstag t-online. "Es geht jetzt nicht mehr um einen hinfälligen Ampel-Kompromiss, sondern um die konkrete Entlastung für die Bürger des Landes."
Das Angebot der Liberalen stehe, so Meyer: "Jetzt gibt es keine Spielchen mehr und auch keine Deals um E-Autoförderung oder was sonst noch. SPD und Grüne müssen jetzt beweisen, dass sie es mit der Entlastung der Bürger ernst meinen – die Karten gehören auf den Tisch. Scholz und Habeck sollen die Bürger nicht länger für dumm verkaufen."
Die Grünen pochen dagegen darauf, das vollständige Gesetzespaket umzusetzen. "Wir Grüne wollen das Steuerfortentwicklungsgesetz wie vom Kabinett insgesamt geeint im Bundestag beschließen", sagte der haushaltspolitische Sprecher Sven-Christian Kindler t-online. "Es ist ein Gesamtpaket und enthält wichtige Maßnahmen für Kinder und Familien, zur Entlastung der arbeitenden Bevölkerung und der Unternehmen."
Kindler sagte: "Ich wäre verwundert, wenn die FDP jetzt Gesetzesentwürfe ihres Spitzenkandidaten und ehemaligen Finanzministers Christian Lindner ablehnen würde."
Scholz wirbt für Zustimmung – Union lehnt ab
Am Mittwoch hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) um die Zustimmung von FDP und CDU/CSU zu einzelnen Gesetzen geworben. "Die Zeit des Wahlkampfes ist nicht die Zeit des Stillstands. Man kann noch etwas tun", sagte er. "Ich bitte Sie, dabei mitzuwirken." Dabei nannte Scholz auch den vorgesehenen Ausgleich der kalten Progression, eine Erhöhung des Kindergelds und die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets im Nahverkehr.
Auf die Stimmen der Union kann die rot-grüne Minderheitskoalition derweil nicht setzen. Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg schloss Anfang der Woche aus, dass CDU und CSU im Bundestag das geplante Steuerentlastungspaket mittragen könnten. "In dieser Form werden wir diesem Paket nicht zustimmen", sagte der CDU-Politiker am Montag im ARD-"Morgenmagazin". Er forderte hingegen einen "großen Wurf" bei der Steuer nach der Wahl.
- Eigene Recherche
- Gespräche mit Sven-Christian Kindler und Christoph Meyer