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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krisenkommunikation der FDP "Passiert nur, wenn man intern Mist gebaut hat"
Die FDP steckt in der Krise. Ihr Generalsekretär ist zurückgetreten, in der Partei gibt es Zweifel am Vorsitzenden Christian Lindner. Ein Kommunikationsexperte ordnet das Verhalten der Partei ein.
Auf die Veröffentlichung des "D-Day"-Papiers am Donnerstag folgte für die FDP am Freitag der nächste Schlag: Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann traten zurück. In einem – mit 44 Sekunden äußerst knappen – Statement erklärte Djir-Sarai vor Journalisten im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin, er habe seinen Rücktritt eingereicht, um Schaden von seiner eigenen"Glaubwürdigkeit und der FDP" abzuwenden.
Doch wie kam es dazu? Die Ereignisse vom Freitag sind der vorläufige Höhepunkt in der Krise der Liberalen, die schon vor dem Aus der Ampelregierung begonnen hatte. Um den Bundeshaushalt für das Jahr 2025 gab es einen monatelangen Streit, in dem die FDP ihre Koalitionspartner von SPD und Grünen immer wieder anging. Im Juli 2024 beschloss die Ampel dann einen Kompromiss, der allerdings nicht mal einen Monat hielt.
Im August machte dann ein von FDP-Chef Lindner beauftragtes Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Haushalts die Runde. Das Ergebnis: Die FDP stellte den mühsam errungenen Kompromiss infrage. Damals schaltete sich Bundeskanzler Olaf Scholz aus dem Urlaub ein: "Es bleibt ein Mysterium, wie das eigentlich klare Votum des juristischen Gutachtens vorübergehend grundfalsch aufgefasst werden konnte", erklärte er – und rüffelte damit auch den damaligen Finanzminister Christian Lindner. Nach tagelangen Nachverhandlungen gab es einen weiteren Kompromiss.
Der "Scheidungsantrag" bringt die Ampel zu Fall
Anfang November knirschte es erneut. Ein 18-seitiges "Wirtschaftspapier" von Lindner gelangte an die Presse. Der FDP-Chef forderte darin eine 180-Grad-Wende in der Wirtschaftspolitik: weniger Klimaschutz, Einschnitte in der Sozialpolitik, und er kritisierte die Koalitionspartner. Politiker von SPD und Grünen bezeichneten das Papier als "Scheidungsantrag" der FDP.
In der Kommunikation der Ampelregierung hakte es also schon gewaltig, bevor die Koalition zerfiel. Der Kommunikationsexperte Marcus Ewald erklärt im Gespräch mit t-online: "Es war deutlich zu erkennen, dass die Stimmung in der Ampel schlecht war." Denn eigentlich sollten Spitzenpolitiker in der Lage sein, einig zu regieren. "Die Ampel in Rheinland-Pfalz bekommt das ja auch hin", sagt Ewald.
Am 6. November folgte dann der endgültige Bruch der Regierung. Bundeskanzler Scholz (SPD) entließ FDP-Chef Lindner aus seinem Ministeramt; mit Ausnahme des damaligen Bundesverkehrsministers Volker Wissing (damals FDP, jetzt parteilos) traten alle anderen liberalen Minister zurück.
Experte: FDP hätte Ampel-Aus unbeschadet überstehen können
Spätestens seitdem ist die Kommunikation zwischen den ehemaligen Partnern vergiftet. Die FDP wirft der SPD vor, sich auf mehrere Szenarien vorbereitet zu haben – auch auf das Ende der Ampel. Ewald versteht diese Angriffe nicht: "Ich will in allen Parteien Spitzenpolitiker haben, die sich auf unterschiedliche Szenarien professionell vorbereiten", sagt der Kommunikationsexperte. "Für die FDP scheint ein wichtiger Punkt gewesen zu sein, dass Scholz derjenige war, der den Ausstieg aus der Koalition plante – und nicht die FDP", führt Marcus Ewald weiter aus.
Für den Experten ist das aber gar nicht der entscheidende Punkt. Er ist überzeugt: Die FDP hätte das Ampel-Aus unbeschadet überstehen können, wenn sie anders kommuniziert hätte. "Dazu hätte die Partei sagen müssen 'Ja, wir wollen raus aus der Koalition, wir übernehmen die politische Verantwortung und gehen jetzt'." Das sei allerdings nicht passiert.
Hätte die FDP offen eingestanden, für das Ende der Ampel verantwortlich zu sein, hätte es der Partei sogar guttun können, erklärt Ewald weiter. "Gerade, wenn Fehler passieren oder – wie in diesem Fall – die Koalition zerbricht, ist es aus Sicht der Medien sowie der Wählerinnen und Wähler natürlich wichtig zu wissen, wer der Spaltpilz war", sagt der Kommunikationsexperte. "Die Verantwortung nicht anzunehmen, sondern wegzuschieben, funktioniert nicht, weil die Realität anders aussieht. Die FDP muss auch Verantwortung für das Ende der Ampelregierung tragen", so Ewald.
Ewald: Ein Rücktritt passiert nur, wenn man Mist gebaut hat
Am Freitag ist mit Bijan Djir-Sarai zuerst der Generalsekretär der Liberalen zurückgetreten, kurz nach ihm folgte Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann. "Ein Rücktritt passiert nur, wenn man intern Mist gebaut hat", sagt Marcus Ewald. "Man kann extern alles Mögliche machen, solange man seine Leute hinter sich weiß und sich für seine Partei einsetzt." Inwiefern Djir-Sarai innerhalb der Partei keine Unterstützung mehr hatte, ist bislang nicht bekannt. In seinem Video macht er selbst keine konkreten Angaben zu seinen Rücktrittsgründen.
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Parteichef Lindner macht hingegen bislang keine Anstalten, seinen Posten zu räumen. Er will von der strategischen Handreichung zum Ende der Ampel, die als "D-Day"-Papier bekannt wurde, nichts gewusst haben. Doch Ewald sieht Lindner damit nicht außerhalb der Schusslinie, denn auch der FDP-Vorsitzende habe Fehler gemacht. "Er hätte die Verantwortung übernehmen und direkt aus der Koalition aussteigen sollen", so Ewald. "Damit hätte er Rückgrat bewiesen."
Lindner wird im politischen Berlin zum Ziel
Mit seiner Argumentation, von nichts gewusst zu haben, habe sich der FDP-Vorsitzende außerdem in eine schwierige Situation gebracht, erklärt Kommunikationsexperte Ewald: "Dieses Argument ist ein Ausschlussargument." Denn in dem Moment, in dem ihm nachgewiesen werden kann, dass er doch etwas vom "D-Day"-Papier wusste, "ist Lindner der Lüge überführt".
Lindner habe im politischen Berlin nun eine Zielscheibe auf dem Rücken: "Alle Journalistinnen und Journalisten aus dem politischen Berlin werden nun nach etwas suchen, das beweist, dass Lindner doch von dem Papier wusste", erklärt Ewald. "Und jemand, der Lindner nicht als Vorsitzenden in der Partei haben will, wird es der Presse geben, wenn es denn existiert. Lindner steht also auf einer Tretmine."
- Gespräch mit Marcus Ewald
- Eigene Recherchen