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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Interview nach Ampel-Aus Dann wird Lindner emotional
Lindner ist nicht mehr Finanzminister. Aber nur einen Tag nach seiner Entlassung kann er sich eine Rückkehr in das Amt vorstellen.
Am Tag nach der Entlassung durch Bundeskanzler Olaf Scholz stellte sich Ex-Finanzminister Christian Lindner am Donnerstag im ZDF-Spezial "Was nun, Herr Lindner?" den Fragen von Bettina Schausten und Anne Gellinek. Dabei übte der FDP-Chef darin fundamentale Kritik an der Ampel-Koalition – und äußerte den Wunsch, in der nächsten Regierung erneut Finanzminister zu werden.
Der Gast:
- Christian Lindner, Ex-Finanzminister (FDP)
Die FDP wäre durchaus "bereit gewesen, auch weiterzusprechen", konstatierte Lindner. Man habe jedoch innerhalb der Ampel-Regierung zwei zentrale Probleme festgestellt: Zum einen seien die Ansichten der Koalitionspartner bezüglich der wirtschaftlichen Lage mit konkretem Blick auf die Punkte "Wachstumsschwäche" und "Verlust von Arbeitsplätzen" unvereinbar gewesen. Zum anderen habe Bundeskanzler Scholz die anstehenden US-Wahlen "offensichtlich genutzt", um ihn unter dem "Vorwand der Ukraine-Hilfe" unter Druck zu setzen, zuzustimmen, die Schuldenbremse aufzuheben.
Hier sei es zu einer Diskrepanz mit seinen Überzeugungen gekommen: "Wenn ich mich entscheiden muss zwischen Überzeugung und Amt, dann muss ich der Überzeugung den Vorrang geben", so Lindner.
Lindner wurde noch drastischer und sprach davon, dass man ihn dazu habe zwingen wollen, seinen Amtseid zu brechen. "Mir wurde noch nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt, den Text von den Expertinnen und Experten des Finanzministeriums prüfen zu lassen, ob das überhaupt rechtlich zulässig ist, was da vorgeschlagen ist", erklärte er – und attestierte: "Wenn die Wahl ist, Koalitionsbruch oder Verfassungsbruch, dann kann ich nicht sagen: Gut, dann entscheide ich mich, das Grundgesetz zu missachten."
Lindner: "Mir werden jetzt Steine hinterhergeworfen"
An einer Stelle im Interview wurde Lindner dann plötzlich emotional, musste schlucken. Es war bei der Frage, wie er sich dabei gefühlt habe, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihn bei der Übergabe seiner Entlassungsurkunde als "Hüter der Schuldenbremse" gewürdigt habe. Daraufhin musste der sichtlich berührte Lindner überlegen, antwortete dann aber nur mit: "Klar".
Konfrontiert mit Scholz’ Vorwurf, Lindner habe "kleinkariert" und "ideologisch verantwortungslos" agiert und den Konflikt "inszeniert", blieb Lindner betont gelassen. "Mir werden jetzt Steine hinterhergeworfen, auch vom Bundeskanzler. Ich werde diese Steine nicht aufheben und zurückschmeißen", sagte er und betonte, dass es ihm wichtig sei, in "staatspolitischer Verantwortung" auch den richtigen "Stil im Umgang" zu wahren.
Zu Verkehrsminister Volker Wissing, der aus der FDP ausgetreten ist, um weiterhin der Koalition anzugehören, wollte Lindner nicht allzu viel sagen. "Ich habe die Position von Volker Wissing auch damals in der Zeitung gelesen, und ich habe auch jetzt seine Entscheidung zur Kenntnis genommen. Ich will nicht mehr dazu sagen, als dass ich ihm persönlich und menschlich alles Gute wünsche." Die Gerüchte über weitere potenzielle "Überläufer" habe er zwar gehört, auf der Kurznachrichtenplattform X aber auch mitbekommen, dass "diese Abgeordnetenkollegen das mit herzlichem Lachen kommentiert haben."
Lindner über Provokationsvorwurf: "Das ist Ihre Interpretation"
Er habe bereits am Sonntagabend den Vorschlag von Neuwahlen in die Diskussion eingebracht, so Lindner. Damit habe er eine "handlungsfähige Regierung" garantieren wollen und die "Bürgerinnen und Bürger die Richtungsentscheidung treffen" lassen. Da die Koalition nicht mehr in der Lage gewesen sei, eine gemeinsame Linie zu finden, sei dies ein notwendiger Schritt gewesen.
Als Schausten darauf hinwies, dass Scholz die Neuwahlen als Provokation empfunden habe, antwortete Lindner lapidar: "Das ist Ihre Interpretation." Er selbst habe erwartet, dass Gegenvorschläge gemacht würden, diese habe es jedoch nie gegeben. Scholz habe auf die Aussetzung der Schuldenbremse bestanden. "Ich musste antworten: Das kann ich so nicht tun, weil es verfassungsrechtliche Zweifel aufwirft."
Zum Schluss betonte Lindner, dass er in einer zukünftigen Regierung wieder eine Rolle als Finanzminister anstrebe. Auf Schaustens Einwand, dass die FDP derzeit bei drei Prozent liege und möglicherweise gar nicht mehr in den Bundestag kommen könnte, meinte Lindner, man habe für seine Überzeugungen mit der Existenz der Partei gehaftet – was er als "Zeichen von Charakter" bewertete.
Angesprochen auf den Grund des "Wutanfalls" von Bundeskanzler Olaf Scholz, meinte der FDP-Mann: "Das weiß ich nicht. Ich bin nicht der Pressesprecher von Olaf Scholz", mutmaßte aber auch: "Das Statement am gestrigen Abend inklusive Teleprompter erweckt ja schon den Eindruck, dass das vorbereitet war."
- "Was nun, Herr Lindner", ZDF, 7.11.2024