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Olaf Scholz in Indien: Fachkräfte nach Deutschland locken? Eine Sache fehlt


Scholz und Minister suchen Fachkräfte in Indien
Die Realität sieht anders aus


26.10.2024 - 11:48 UhrLesedauer: 4 Min.
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Fachkräfte für Deutschland: In Indien zeigen sich Scholz und Modi optimistisch. (Quelle: IMAGO/Sondeep Shankar/imago)

Bundeskanzler Scholz und seine Minister wollen haufenweise Fachkräfte aus Indien auf den deutschen Arbeitsmarkt locken. Die Maßnahmen sind umfassend – nur eine Sache fehlt.

Olaf Scholz nickt ein paar Mal, als wolle er seine Zustimmung für die eigenen Worte zum Ausdruck bringen. Es geht um Fachkräftezuwanderung aus Indien. "Um das zu ermöglichen, haben wir eines der weltweit fortschrittlichsten Gesetze, das die Einwanderung von Arbeitskräften regelt, verabschiedet", sagt der Bundeskanzler und nickt weiter. Dann zählt er auf: die Digitalisierung der Visa, Bürokratieabbau und schnellere Verfahren. Klingt erst mal alles sehr vielversprechend.

Als der Kanzler am Freitag bei der Asia-Pazifik-Konferenz spricht, will er die Botschaft klar machen: Deutschland sucht Fachkräfte. Gerne aus Indien. Die Prozesse sind jetzt, anders als bislang, ganz einfach. Auch im Publikum nicken sie jetzt. Noch nicht zustimmend, aber interessiert.

Es ist eine riesengroße Offensive, die der Bundeskanzler und seine Minister hier zu dem Thema fahren. Sehr aufwendig und ohne Garantie auf Erfolg. Aber sie ist notwendig.

Für die deutsche Wirtschaft mehr als wichtig

1,4 Milliarden Menschen leben in Indien. Während die deutsche Gesellschaft altert und der Arbeitsmarkt mit dem demografischen Wandel vor immer größere Herausforderungen gestellt wird, leben hier jede Menge junger Menschen. Sie könnten die Lücke, die es längst gibt, zumindest in Teilen schließen. Zwar gibt es vonseiten der Opposition auch immer wieder das Argument, man müsse zunächst im eigenen Land Arbeitskräfte rekrutieren. Allerdings wird es ohne zusätzliche Zuwanderung nicht gehen. Deshalb sagt auch Arbeitsminister Hubertus Heil in Neu-Delhi: "Wir müssen weltoffen sein, was diese Frage betrifft. Das ist in unserem Interesse."

Stand jetzt, arbeiten etwa 137.000 Inderinnen und Inder in Deutschland. Sie zahlen Sozialbeiträge und Steuern, tragen zum Wirtschaftswachstum bei. Wenn es nach der Bundesregierung geht, dürfen in Zukunft ruhig noch deutlich mehr von ihnen kommen. Die Zahl der jährlichen Visa für indische Fachkräfte soll künftig von 20.000 auf 90.000 erhöht werden. Die sogenannte Chancenkarte soll den Prozess weiter erleichtern und die Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen, attraktiver machen.

Problem: Bislang wollen nicht im Ansatz so viele Inderinnen und Inder nach Deutschland kommen, wie erwartet werden.

Das Problem mit der Willkommenskultur

Wer Scholz und Heil in Neu-Dheli so zuhört, der könnte glatt denken, es stünde alles in den Startlöchern. Als könnten deutsche Unternehmen oder Alten- und Pflegeheime sich schon mal bereit machen, weil die ersten Fachkräfte gerade ihre Koffer packen. Ein Blick auf die Zahlen ernüchtert schnell. Während man bei der "Chancenkarte" in den ersten Monaten offenbar ursprünglich auf 10.000 Anträge gehofft hatte (2.500 pro Monat) waren es tatsächlich nur 2.360 Anträge (590 pro Monat). Das soll laut "BILD" aus Unterlagen des Innenministeriums hervorgehen.

Das dürfte auch daran liegen, dass die Deutschen nicht die einzigen sind, die derzeit Fachkräfte in verschiedenen Bereichen umwerben. Auch andere Länder bemühen sich darum. Teilweise auch schon deutlich länger. Etwa rekrutieren die USA seit vielen Jahren aus Indien. Und die Hürden in anderen Ländern sind teilweise deutlich geringer. Besonders der Bürokratieaufwand in Deutschland hemmt hier. Oder die Sprachbarriere. Zwar stellen immer mehr Unternehmen gar nicht mehr die Bedingung, außer Englisch auch Deutsch beherrschen zu müssen, allerdings geht die Entwicklung hier nur schleppend voran. Hinzu kommen Mangel an Wohnraum oder Kita-Plätzen. Heil sagt deshalb in Indien zu Recht: "Wir haben ein paar Nachteile, die müssen wir ausgleichen."

Und dann ist da noch die entscheidende Frage, wie willkommen sich Menschen, die nach Deutschland kommen, eigentlich fühlen können. Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und eine OECD-Umfrage aus dem Januar dieses Jahres zeigen sogar das Gegenteil. Demnach berichten Zugezogene von Rassismus und Diskriminierung im Alltag. Auch Scholz weiß um dieses Problem.

An diesem Samstag ist der Kanzler weiter nach Goa gereist. Sein erster Termin: ein Austausch mit Studentinnen und Studenten am Birla Institute of Technology and Science. Viele der Fragesteller sind interessiert an Bildungs- und Forschungsmöglichkeiten in Deutschland. Auf Nachfrage erzählen einige, sie würden planen, ihren Master in Deutschland zu machen, vielleicht auch zu promovieren. Vimarsh ist einer von ihnen. Und danach? Die Automobilbranche sei interessant, sagt er. Ansonsten müsse man sehen, es gebe ja viele Möglichkeiten, auch in anderen Ländern zu arbeiten. Das ist es wohl nicht, was Scholz im Sinn hatte.

Plötzlich sagt Scholz: "Wir entscheiden, wer kommt"

Womöglich spricht der Kanzler bei der Asia-Pazifik-Konferenz auch deshalb das Thema Migration an. Die Bundesregierung reduziere derzeit illegale Migration und bereite die Rückführungen derer vor, die kein Recht haben, in Deutschland zu leben. Es folgen Worte, die von einem deutschen Bundeskanzler lange ungewohnt waren: "Die Botschaft lautet: Deutschland ist offen für qualifizierte Arbeitskräfte – aber wir entscheiden, wer kommt."

Womöglich steckt dahinter die Hoffnung: Bekommt Deutschland das Problem mit illegaler Migration in den Griff, ist die Gesellschaft auch offener für jene, die aus legitimen Gründen – oder eben zum Arbeiten kommen. Das Problem dabei ist, dass man den Menschen im Zweifel nur vor den Kopf gucken kann. Wer also welcher Gruppe angehört, ist auf den ersten Blick meist nicht ganz ersichtlich.

Vielleicht will der Kanzler damit aber auch eine ganz andere Botschaft senden. Wenn er sagt: "being open, without being naive" (zu Deutsch: offen sein, aber nicht naiv). Was, wenn es die Warnung ist: Wer nicht arbeiten will, braucht nicht zu kommen. Es ist ein bemerkenswerter Schritt, den Scholz mit seinen Worten hier geht, und ein wichtiges Signal, das er sendet. Ob es in Neu-Dheli jedoch richtig platziert ist, bleibt fraglich.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen vor Ort
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