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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU bereitet sich auf Neuwahlen vor Die Realität sieht oftmals anders aus
Die Union wünscht sich vorgezogene Neuwahlen. Dabei wissen sie in den Parteispitzen von CDU und CSU: So einfach wird das nicht.
Es gibt in der Union dieser Tage kaum einen öffentlichen Auftritt der Parteispitze, in dem es nicht um die Frage geht: Wie lange hält die Ampel noch durch? Und: Bereiten sich CDU und CSU vielleicht sogar schon auf vorgezogene Neuwahlen vor? Bei jeder Gelegenheit betonen Parteichef Friedrich Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann, die Ampel habe fertig.
"Noch ein Jahr 'Ampel' wird unser Land nicht verkraften", sagte Linnemann nach dem Rücktritt der beiden Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour noch einmal der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Und wenn es nach Markus Söder geht? Tritt vor dem Ampel-Aus insgesamt noch die halbe Bundesregierung einzeln zurück. Der CSU-Chef fordert Kabinettsmitglieder mittlerweile fast täglich auf, ihr Amt niederzulegen. Allen voran Robert Habeck und Annalena Baerbock.
In der Theorie ist alles ganz einfach. Nur sieht die Realität oftmals anders aus.
Der Kandidat steht mit Merz – aber das reicht nicht
Hakt man etwa im Konrad-Adenauer-Haus (KAH) nach, wie bereit die CDU für Neuwahlen ist, heißt es dort selbstredend, die Partei könne zur Not jederzeit Wahlkampf machen. Das Fundament stehe mit dem neuen Grundsatzprogramm. Und nach der Kandidatenkür von Merz vor drei Wochen sei nun auch die Führungsfrage geklärt.
Dass eigentlich noch etwas mehr dazukäme, sollte es wirklich ein Ampel-Aus geben, weiß man aber natürlich auch. Lächelt das bisweilen jedoch gekonnt weg.
Denn in Wahrheit ist fraglich, wie erprobt die Union derzeit in der neuen Konstellation unter Merz ist. Generalsekretär Linnemann soll den Wahlkampf zwar aktuell vorbereiten, horcht man allerdings genauer in die Partei hinein, ist das KAH bislang mehr mittendrin als fast fertig – sowohl was die Zusammenstellung des Wahlprogramms als auch der Mannschaft angeht.
Und dann ist da noch eine andere Sorge. Die treibt vor allem so manchen in der CDU um. Wenngleich man sie vorwiegend hinter vorgehaltener Hand äußert. Es ist die Frage, ob es nicht doch andere Parteien wie die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wären, die am meisten von einem vorzeitigen Ende der Ampel profitieren würden.
Der Ampel-Denkzettel funktioniert mehr für AfD und BSW
Für Populisten ist Wahlkampf leicht. Weil sie das, was sie den Menschen versprechen, nicht erklären und in den seltensten Fällen umsetzen müssen. Das gilt vor allem für die AfD, bei der der Großteil der Wählerinnen und Wähler wissen dürfte, dass sie aller Voraussicht nach nicht an einer künftigen Bundesregierung beteiligt sein wird. Beim BSW ist es zumindest im Bund ähnlich. Sowohl Merz als auch Olaf Scholz haben angekündigt, nicht mit der Wagenknecht-Partei koalieren zu wollen. Beide sehen keine Basis für die Zusammenarbeit. Und beide machen kein Geheimnis daraus, was sie von Sahra Wagenknecht als Person halten.
Das macht die "Denkzettel"-Strategie vielleicht sogar leichter. Denn wenn sich gar nicht erst die Frage stellt, was man selbst anders oder besser machen würde, reicht womöglich das reine Bashing der etablierten Parteien, um im Wahlkampf zu überzeugen.
Bei der Union trifft das Gegenteil zu. Geht man von den Umfrageergebnissen der vergangenen Monate aus, dürfte sie nicht nur Teil der nächsten Regierung sein, sondern sie womöglich auch anführen. Jenseits der Kritik erwarten die Wählerinnen und Wähler hier auch einen realistischen Fahrplan dafür, wie es besser laufen soll. Und in der Parteispitze ist man sich durchaus bewusst, wie hoch die Erwartungen, zu denen man selbst beiträgt, hier sind.
CDU und CSU – die perfekte (Un)einigkeit
In der CDU bereitet man daher zwar schon alles für einen möglicherweise vorgezogenen Wahlkampf vor. Sprich, im Adenauer-Haus arbeiten Linnemann und seine Leute an einer "Agenda 2030", also einem Fahrplan für die Politik der kommenden Jahre. Außerdem muss über Personal, Wahlkampfplakate und vieles anderes diskutiert werden. Und bei den meisten Dingen ist man gerade noch ziemlich am Anfang. So soll es etwa noch gar keine Agentur für den Wahlkampf geben. Man sei hier noch in Gesprächen, heißt es auf Nachfrage.
Und dann ist da noch die (Un-)Einigkeit mit der kleinen Schwesterpartei. Söder und Merz mögen dieser Tage einen Zusammenhalt demonstrieren, wie es ihn in der Union schon lange nicht mehr gab. Wenn man jedoch genauer hinsieht, sind so einige Punkte noch ungeklärt. Allen voran die Frage, ob es am Ende eine Koalition mit den Grünen geben kann – oder nicht. Söder beharrt hier mittlerweile fast täglich darauf, dass die CSU im Zweifel ein Veto einlegen werde. Sieht man sich die Leitanträge für den CSU-Parteitag am kommenden Wochenende in Augsburg an, dann dürfte eine Zusammenarbeit auch inhaltlich kaum mehr möglich sein.
Unterdessen will Merz nichts ausschließen. In den beiden vergangenen Fraktionssitzungen soll der Vorsitzende die Abgeordneten darum gebeten haben, das Thema ruhen zu lassen. Eine Botschaft, von der er sich erhoffen dürfte, dass sie auch in Bayern ankam.
Es gibt also offenkundig noch Klärungsbedarf. Vielleicht kommt es der Union am Ende doch ganz gelegen, wenn die Ampel noch ein paar Monate länger durchhält. Linnemann jedenfalls sieht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es tatsächlich zu Neuwahlen kommt, bei 60 Prozent. Rechnet man den politischen Opportunismus da noch heraus, ist das gar nicht so viel.
- Eigene Recherche