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AfD: Sperrfeuer für Alice Weidel in Baden-Württemberg?


Wichtige Abstimmung für AfD-Chefin
Weidels Machtkampf eskaliert


03.10.2024 - 12:20 UhrLesedauer: 7 Min.
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Alice Weidel: Der AfD-Chefin stehen am Wochenende womöglich Tumulte bevor. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa/dpa-bilder)

Alice Weidel steht vor einer entscheidenden Hürde in ihrer politischen Karriere. In ihrem Heimatverband Baden-Württemberg dürfte sie auf innerparteilichen Widerstand stoßen.

Alice Weidel ist auf dem bisherigen Höhepunkt ihrer Macht. Als Kanzlerkandidatin soll sie die AfD, die nie erfolgreicher war als zurzeit, in den Bundestagswahlkampf 2025 führen. So zumindest haben es ihr Co-Chef Tino Chrupalla und Weidel selbst bereits besprochen, wie das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" zuerst berichtete.

Es wirkt wie ein Paradox: Weidel, die in der Schweiz in einer lesbischen Beziehung mit einer Frau mit Migrationshintergrund lebt, soll in einer entscheidenden Phase das alleinige Gesicht der in Teilen rechtsextremen, nationalistischen Partei werden. Wie hat sie das geschafft?

Einige Antworten auf diese Frage liefert Weidels Heimatverband Baden-Württemberg. Dort soll die 45-Jährige an diesem Wochenende bei einer Aufstellungsversammlung in der Ulmer Messe als Spitzenkandidatin gekürt werden. Es ist die Bedingung für alles, was 2025 folgen soll: ihr Wahlkampf, ihre Kanzlerkandidatur, die vielen, vielen Auftritte im Namen der AfD.

In Baden-Württemberg aber ist – im Gegensatz zum Rest der AfD – der Protest gegen Weidel massiv. Dort kann man auch die Methoden beobachten, mit denen Weidel agiert, wenn sie Feinde hat. Ein wichtiger Schlüssel dabei: Unerbittlichkeit.

Nein-Stimmen-Kampagne gegen Weidel

Lange schon ist Baden-Württemberg Weidels größte Schwachstelle. Ausgerechnet in ihrem Heimatverband nämlich sind ihre Kritiker am lautesten und zahlreichsten, von dort hat sie die härtesten Attacken zu erwarten. Über Jahre hinweg war sie deswegen eine Führungsfigur ohne Hausmacht, die auch innerparteilich vor allem stark von ihrer Prominenz nach außen zehrte.

Im vergangenen halben Jahr hat sich das zu Weidels Gunsten geändert. Nach einem chaotischen Parteitag in Rottweil und einem Machtkampf auf offener Bühne hat das Pro-Weidel-Lager seit Februar im Vorstand des Landesverbands deutlich das Sagen. Die Strategie der Parteichefin und ihres Lagers lässt sich seither zusammenfassen mit: Zuckerbrot und Peitsche. Zuckerbrot für die Gefolgschaft, die Peitsche für ihre Kritiker.

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Dokumente, die t-online vorliegen, zeigen: Weidel-Gegner werden kaltgestellt und unter Druck gesetzt, es werden Parteiausschlussverfahren gegen sie angestrengt oder mit Ordnungsmaßnahmen gedroht. Kandidaten hingegen, denen Weidel wohl gesonnen ist, werden vorab von ihren Kreisvorständen in großen Verteilern beworben. Mitgliedern werden kostenlose Busfahrten, Hotelübernachtungen und zum Teil zusätzliches "Handgeld" von bis zu 150 Euro geboten, um bei der Aufstellungsversammlung in Ulm abzustimmen.

Weidel und ihre Gefolgsleute könnten mit der Aufstellungsversammlung den Landesverband noch weiter unter Kontrolle bringen und mächtige Posten besetzen. Ihre Gegner aber wollen sich nicht beugen. In Chatgruppen rufen sie zu einer Nein-Stimmen-Kampagne gegen Weidel auf: "Jede Nein-Stimme bei Alice Weidel ist eine Stimme für die Basisdemokratie", heißt es da.

Weidel thematisierte ihren Erzfeind Spaniel im Bundesvorstand

Weidels Erzfeind in Baden-Württemberg ist Dirk Spaniel. Wie Weidel hat er den Landesverband einmal geleitet und sitzt im Bundestag. Er ist dort verkehrspolitischer Sprecher der AfD. Als promovierter Ingenieur, lange tätig bei Daimler, gilt er in seiner Fraktion als Experte auf dem Gebiet der Elektro- und Antriebstechnik.

Spaniel aber ist eben auch die Speerspitze des Anti-Weidel-Lagers in Baden-Württemberg – und ordnet seinem Kampf gegen Weidel vieles unter. Er versammelt im Ländle ein breites Spektrum an Weidel-Kritikern hinter sich, darunter Verfechter der Basisdemokratie in reinster Form sowie Anhänger des rechtsextremen Höcke-Flügels. Sie eint vor allem eines: ihr Verdruss über die Chefin.

Spaniel versuchte in der Vergangenheit ohne Erfolg, Weidel den Posten als Fraktionschef im Bundestag streitig zu machen. Auf das Konto seines Lagers geht ein Versuch, den Parteitag im Februar erst frühzeitig beenden zu wollen und im Anschluss anzufechten. Spaniel selbst hat die Anfechtung nicht unterschrieben. Dennoch wurde er von einem Treffen der Landesgruppe Baden-Württemberg im Bundestag ausgeladen. Spaniel veröffentlichte daraufhin ein Video, der Titel: "So nicht, Frau Weidel!"

So deutliche Kritik an der Vorsitzenden bleibt in der AfD nicht ohne Konsequenzen. Im Bundesvorstand war Spaniel und ein mögliches Parteiausschlussverfahren gegen ihn nach Informationen von t-online bereits mehrfach Thema, zuletzt erst vor rund einer Woche. Aus dem Umfeld des höchsten Parteigremiums heißt es: Weidel agiere beim Thema Spaniel vor der Aufstellungsversammlung nervös und empfindlich. Unnötigerweise.

Beleidigung als "Stück Scheiße"

Auch im Landesvorstand rund um die Weidel-Getreuen Markus Frohnmaier und Emil Sänze wurde bereits darüber beraten, Spaniel aus der Partei auszuschließen. Kurz vor der Aufstellungsversammlung aber wollte man offensichtlich nicht für weitere Unruhe sorgen. Ein deutliches Signal sendete der Landesvorstand dennoch: In einer Mail vom 25. September ließ er die gesamte Mitgliederschaft nach einer Kreissprecherkonferenz wissen, dass sich Spaniel und zwei seiner Mitarbeiter "parteischädigend" verhalten hätten. Sie liegt t-online vor.

Unter dem Punkt "Beschluss der Kreissprecherkonferenz 'Landesverband neu ordnen – Destruktion und Sabotage Einhalt gebieten'" heißt es, Spaniel habe das "Hetzvideo" gegen Weidel trotz Aufforderung und Abmahnung nicht von allen Plattformen entfernt. Einer seiner Mitarbeiter habe außerdem einen verstorbenen Parteikollegen beleidigt und die Parteichefin ein "Stück Scheiße" genannt. Ein anderer habe vorgeschlagen, bei der Aufstellungsversammlung Parteimitglieder "lächerlich zu machen und herabzuwürdigen".

Die Kreissprecherkonferenz habe beschlossen, Spaniels ersten Mitarbeiter für seine Aussagen zum sofortigen Parteiaustritt aufzufordern. Ansonsten solle der Landesvorstand ein entsprechendes Verfahren auf Ausschluss einleiten. Gegen Spaniel selbst wie seinen zweiten Mitarbeiter sollen Ordnungsmaßnahmen geprüft werden.

Nach Informationen von t-online stammen die Zitate aus internen Chatgruppen. Spaniels erster Mitarbeiter soll sich mehrfach für seine Wortwahl entschuldigt haben. In den Chatgruppen herrscht oft ein äußerst rauer Ton, der allerdings selten Konsequenzen nach sich zieht.

Hetze gegen "Dreckskanake" in "hochemotionalem Moment"

So kursiert zum Beispiel gerade ein Video eines Konstanzer AfD-Mitglieds im Landesverband, der in einer Bahn von einer verbalen Auseinandersetzung mit einem "Kanaken" berichtet. "Wenn ich das Kabel nächstes Mal dabei habe, dann verschlag ich den", sagt der AfDler da. Oder: "Wir müssen sie falten". Und: "Ich gehe voraus, auch wenn ich mal mit 'nem blauen Auge aufwachen muss, weil mich irgend so ein Dreckskanake zusammengeschlagen hat".

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Der Mann sei angezeigt worden, heißt es aus der Partei. Seinen Parteiausschluss soll die gewaltvolle Sprache aber nicht zur Folge haben. In einer Mail vom 27. September, die t-online vorliegt, teilt der Konstanzer Kreisvorstand lediglich knapp mit: Der Mann habe das Video in einem "hochemotionalen Moment" gemacht. Eine Ordnungsmaßnahme sei verhängt worden. Das wars.

Weidel-Kritiker beklagen im Gespräch mit t-online, dass mit zweierlei Maß gemessen werde – und eine Kreissprechertagung zudem gar nicht befugt sei, Entscheidungen wie die gegen Spaniel zu treffen. Sie sprechen von "stalinistischen Methoden". Mit Demokratie und Chancengleichheit habe das nichts zu tun. Von "Sumpf" und "Klüngelei" ist die Rede und von einer alleinigen Priorität des Weidel-Lagers: Machterhalt.

Ist die "Busdemokratie" rechtswidrig?

Auch bei diesem Parteitag gerät außerdem wieder eine Besonderheit der Baden-Württemberger AfD zum Streitpunkt: die Mitgliederparteitage. Im Gegensatz zu Delegiertenparteitagen, wie sie fast alle anderen Landesverbände pflegen, sind zu ihnen tatsächlich alle Mitglieder geladen. In Baden-Württemberg sind das rund 6.000.

Beim Chaos-Parteitag im Februar in Rottweil hatte noch die Gegenseite darauf gehofft, den Parteitag wegen Überfüllung platzen lassen zu können und fleißig um Teilnahme geworben. Jetzt scheint das Weidel-Netzwerk um Frohnmaier und Sänze ihre Oberhand in den Vorständen und deren Infrastruktur zu nutzen, um in vielen Kreisverbänden gezielt für die Teilnahme und die eigenen Kandidaten zu werben.

Im größten AfD-Verband des Landes, dem Rhein-Neckar-Kreis, werden in einer E-Mail an die Mitglieder gleich drei Politiker für die Bundestagsliste vorgeschlagen und gelobt. "Besonders hervorzuheben ist, dass diese breite Unterstützung auch von unserer Fraktionsvorsitzenden Dr. Alice Weidel, dem Landessprecher Markus Frohnmaier sowie vielen weiteren Mandats- und Funktionsträgern bekräftigt wird." Ähnliche E-Mails mit ähnlichen Formulierungen liegen t-online aus drei weiteren Kreisverbänden vor.

Die Teilnahme an der Aufstellungsversammlung sei von "höchster Wichtigkeit", heißt es in der Mail des Rhein-Neckar-Kreises weiter. Der Kreisvorstand habe deswegen einen Bus und Mitfahrgelegenheiten organisiert und Hotelzimmer reserviert. Und: Teilnehmer könnten pro Teilnahmetag "einen Reisekostenzuschuss in Höhe von 50 Euro" erhalten. Noch mehr bietet der Kreisvorstand in Konstanz, nämlich 50 Euro pro Tag und weitere 50 Euro für die Übernachtung – also 150 Euro für das gesamte Wochenende.

Eine Anfrage von t-online, warum im Gegensatz zu anderen Verbänden Geld gezahlt wird und an wie viele und welche Mitglieder das passiert, beantworten die Kreisverbände Rhein-Neckar-Kreis und Konstanz nicht.

Denn in den Chatgruppen ist immer wieder von Vorwürfen Einzelner aus dem Anti-Weidel-Lager aus den Kreisverbänden zu lesen: Man habe sich rasch beim Vorstand für ein Hotelzimmer oder einen Platz im Bus gemeldet, seltsamerweise allerdings seien die schon alle ausgebucht gewesen. Der Verdacht: Wer nicht als Weidel-Fan bekannt ist, erhält die Vergünstigungen nicht und ist eher nicht gewollt.

Ist das womöglich sogar ein Verstoß gegen geltende Gesetze? Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, sagt t-online, das sei rechtlich nicht ganz einfach. Geschriebene Regeln, gegen die das Vorgehen verstoßen würde, existierten nicht. "Sollten Parteigliederungen aber tatsächlich selektiv einzelnen Mitgliedern die Teilnahme am Parteitag subventionieren und anderen nicht, würde dies gegen die demokratische Gleichheit aller Mitglieder verstoßen."

Protest, auf die eine oder andere Weise

Weidels Gegner schimpfen auf die "Bus- und Hoteldemokratie", die vieles sei, aber sicher nicht demokratisch. Sie fürchten: Auf die ersten Plätze der Bundestagsliste kann es so keiner ihrer Kandidaten schaffen – und auch kein anderer der bisherigen Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg, der nicht zu 100 Prozent auf Weidels Linie liegt. Dazu gehören neben Dirk Spaniel auch Christina Baum und Jürgen Braun, gesundheits- und menschenrechtspolitische Sprecher ihrer Fraktion.

Aus dem Kreisverband Heilbronn, der nur Hotelzimmer reserviert hat und kein Geld zahlt, heißt es: Mitglieder mit Zuschüssen zu unterstützen, sei umstritten, aber legitim. Der dortige Weidel-Favorit Jürgen Koegel teilt t-online mit: Die Vorwürfe seien nicht nachzuvollziehen. "Leider haben wir, wie es bei menschelnden Gruppen normal ist, auch 1–2 % Personen, denen man nichts recht machen kann."

Tatsächlich halten die Weidel-Gegner selbst einen Sieg am Samstag für nicht erreichbar. Zu stark ist Weidel inzwischen, zu zahlreich ihre Unterstützer. Fest steht aber: Mit Sperrfeuer ist zu rechnen. Führen werden sie den Kampf, auf die eine oder andere Weise. Aus Prinzip. Aus Prinzip gegen Weidel.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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