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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Grünen in der Krise Echt mies
Die Grünen stecken nach der Brandenburg-Wahl tief in der Krise. Und sie sind sich nicht einig, wie sie da wieder herauskommen wollen.
Omid Nouripour ist kaum zu verstehen, als er am Montagmittag auf der Pressekonferenz der Grünen zu sprechen beginnt. Seine Stimme ist belegt, seine Stimmung: nun ja, mies eben. "Das war eine sehr deutliche Niederlage für meine Partei", sagt der Grünen-Chef. "Sehr, sehr schwer" sei der Wahlabend in Brandenburg gewesen und: "enttäuschend".
Mal wieder, muss man sagen. "Es ist ein Trend, der für uns sehr negativ ist und den wir nicht über Nacht drehen können", sagt Nouripour. Und das ist noch ziemlich zurückhaltend formuliert. Brandenburg war die achte Wahl in Folge seit Anfang 2023, bei der die Grünen Stimmen verloren haben. Dieses Mal haben sie sich mehr als halbiert, von 10,8 auf 4,1 Prozent. Es ist die fünfte Landesregierung, aus der sie nun ausscheiden. Bundesweit stehen sie mit nur noch 10 Prozent so schlecht da wie zuletzt 2017.
Der Trend ist kein grüner, so viel ist klar. Jetzt gehe es darum, sagt Nouripour, alles in ihrer Macht Stehende dafür zu tun, ihn umzukehren. Nur wie? Da bleibt der Parteichef einmal mehr nebulös. Was auch daran liegen könnte, dass die Meinungen in der Partei dazu weit auseinandergehen. Sie sind sich nicht mal einig, was genau das Problem ist.
"Der Feng-Shui-Moment kommt nicht mehr"
Es gibt zwei Dinge, auf die sich alle einigen können. Auch Nouripour nennt sie deshalb als "sehr deutliche Ursachen" für die Niederlage in Brandenburg. Da ist zum einen das "Wettrennen um Platz eins" zwischen Ministerpräsident Dietmar Woidke und der AfD, das "viele Stimmen gekostet" habe. Und da ist zum anderen das, was der Grünen-Chef den "festgefahrenen Stil dieser Koalition" nennt.
Nouripour hatte vor einigen Tagen einigen Wirbel ausgelöst, als er die Ampel eine "Übergangskoalition" nannte. Und auch an diesem Montag ist er in der Beschreibung der Misere wieder deutlicher als andere. "Ich würde niemandem raten, in diese Koalition viele Emotionen zu stecken", sagt der Grünen-Chef, "auch wenn wir noch einiges vorhaben, was das Land voranbringen wird."
Hoppla, wie meint er das nun wieder? "Ich habe hier ein Jahr lang auf Pressekonferenzen erzählt, dass wir den Streit abstellen werden, weil wir hinter der Bühne so vertrauensvoll miteinander arbeiten", sagt Nouripour. Dann habe er ein Jahr lang erzählt, dass man den Streit nun wirklich abstellen müsse. "Und ehrlich gesagt: Ich glaub' das nicht mehr. Der große Feng-Shui-Moment wird wohl nicht mehr kommen."
Aber die Koalition beenden, weil sie allen schadet – das wollen die Grünen eben auch nicht. Dafür sei die Lage zu ernst, man habe ja noch einiges vor. Nur wie wollen sie die Krise dann überwinden?
Linker Flügel kritisiert Profillosigkeit
Wer in der Partei herumfragt, der bekommt sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage zu hören, was jetzt zu tun ist. Mehr noch: Selbst bei der konkreteren Problemanalyse geht es schon weit auseinander. Wie so oft in letzter Zeit sortieren sie die Ansichten relativ gut entlang der Flügelgrenzen, also zwischen den Realos und den Parteilinken.
Am linken Flügel lautet die Analyse grob gesagt: Die Grünen tragen in der Bundesregierung so viele Kompromisse mit, die fundamental gegen grüne Programmatik verstoßen, dass kaum noch sichtbar ist, wofür die Partei eigentlich steht. Und zwar längst nicht nur beim Klimaschutz, wo ihnen die Menschen bei den vergangenen Wahlen deutlich weniger Kompetenzen zugetraut haben als früher.
Der Grünen-Europaparlamentarier Rasmus Andresen etwa betont, dass die soziale und wirtschaftliche Sicherheit bei allen Wahlen in diesem Jahr entscheidend gewesen sei. "Wir müssen uns eingestehen, dass wir in diesen Feldern profillos rüberkommen", sagt der Parteilinke t-online. Er fordert deshalb: "Hohe Mieten, Bahnprobleme oder niedrige Löhne: Wir müssen die Alltagssorgen der Menschen in den Mittelpunkt rücken."
Warnung vor der Opferrolle
Im Realo-Flügel hingegen halten sie den Kompromisskurs in der Bundesregierung für genau richtig. Hier kritisieren manche traditionell vor allem, wenn im Bundestag die Regierungsbeschlüsse nachträglich wieder aufgeschnürt werden. Dadurch wirke es trotz pragmatischer Politik so, als blockierten die Grünen, als beharrten sie auf ihren Positionen.
Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz spricht angesichts der Negativserie von "herben Niederlagen innerhalb von wenigen Wochen". "Da gibt es jetzt erst mal keine einfachen und schnellen Antworten darauf", sagt der Realo t-online. "Schon gar nicht sollten wir uns in eine Opferrolle flüchten, dass nur die anderen oder die äußeren Umstände daran schuld sind."
Er meint damit offensichtlich das Klagen über Anti-Grünen-Kampagnen der Boulevardpresse, aber auch der politischen Gegner. Stattdessen mahnt Bayaz eine "ernst gemeinte Ursachenforschung" an. Und sagt: "Ganz offensichtlich trauen uns viele Menschen derzeit nicht zu, die drängendsten Probleme lösen zu können."
Özdemir: "Teil der Lösung" in der Migrationspolitik
Das klingt zwar auf den ersten Blick ähnlich wie der Appell aus dem linken Flügel, sich mehr auf die "Alltagssorgen der Menschen" zu konzentrieren. Nur meinen sie damit am Realoflügel oft ganz andere Dinge. Das wird deutlich, als der Bayaz-Vertraute und grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nach seinen Schlüssen aus den Landtagswahlen gefragt wird, als er am Montagmorgen in Brüssel zum Treffen mit seinen EU-Amtskollegen unterwegs ist.
Özdemir will jetzt "wirklich ernsthafte Kurskorrekturen" in der Bundespolitik. Die Grünen hätten "viele Wähler, insbesondere im ländlichen Raum, verschreckt". Das habe mit der Sprache der Grünen zu tun und damit, dass sie als Partei wahrgenommen würden, die sich nur um Großstädte kümmere. Und: Die Grünen müssten in der Sicherheits- und Migrationspolitik als Teil der Lösung betrachtet werden.
Was übersetzt wiederum so ziemlich das Gegenteil von dem bedeutet, was sich der linke Flügel bei der Migration wünscht. Dort wollen nämlich viele wieder mehr grünes Profil sehen, also über Menschenrechte sprechen und nicht über Zurückweisungen. Manche linke Grüne würden sogar einen Koalitionsbruch riskieren, um nicht weitere Verschärfungen mittragen zu müssen.
Habecks Eigeninteresse
Zusammenbekommen muss das alles vor allem ein Mann, schon aus Eigeninteresse: Robert Habeck. Er will die Grünen in den Bundestagswahlkampf führen und wieder in die nächste Regierung bringen. Sein Plan nimmt langsam Formen an. Doch mit einer Partei, die über ihren Kurs streitet, wird das schwierig.
Habeck ist selbst Realo und hat schon mehrfach angedeutet, dass er auch im Wahlkampf Beinfreiheit von seiner Partei verlangt. Was das inhaltlich konkret bedeutet, ist noch nicht klar. Da Habeck die Kompromisse der Bundesregierung als Vizekanzler aber selbst mit aushandelt und verteidigt, wird er sich im Wahlkampf kaum von allem distanzieren können, was er mal gut und richtig fand.
Im linken Flügel sind sie jedenfalls nicht gewillt, Habeck einen Freifahrtschein zu erteilen. Sie verlangen besonders bei der Migration und der Sozialpolitik ein ernsthaftes Mitspracherecht, wenn es ums Programm geht. Also ausgerechnet bei zwei Themen, bei denen die Schwerpunkte zwischen den Linken und Habeck auseinandergehen. Eine gute Lösung, die tatsächlich alle im Wahlkampf guten Gewissens mittragen können, wird also alles andere als einfach.
Der Jürgen Klopp der Politik
Robert Habeck will den Vertrauensverlust allerdings nicht nur mit Spiegelstrichen in einem Wahlprogramm bekämpfen. Dafür ist die Ablehnung wohl auch zu groß, es braucht mehr. Immerhin wollen derzeit 35 Prozent der Deutschen "auf keinen Fall", dass die Grünen in der nächsten Bundesregierung sitzen. Nur die AfD schneidet in dieser Umfrage des Instituts Allensbach schlechter ab.
Robert Habeck will deshalb auch versuchen, die gesellschaftliche Stimmung zu drehen. Er will sich als eine Art Zuversichtsbeauftragter versuchen, als Jürgen Klopp der Politik, wie mancher bei den Grünen jetzt sagt. Optimismus gegen den Missmut, aus dem Populisten und Rechtsextreme ihre Kraft saugen.
"Wir müssen als Land wieder in eine innere Haltung kommen zu sagen: Wir werden die Dinge lösen. Wir lassen nicht zu, dass das hier den Bach runtergeht." So beschrieb Habeck seinen Ansatz selbst kürzlich bei einer Veranstaltung des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Und gestand gleich ein, dass man das nicht verordnen könne.
Als potenzielle Wähler hat Habeck derweil die früheren Anhänger Angela Merkels ausgemacht. Der grünen Analyse zufolge lässt die Union diese Wähler mit einem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz heimatlos zurück. Diese stabilitätsorientierte Mitte der Gesellschaft suche aber gerade jetzt, wo der Boden wieder wankt, nach Orientierung, Sachlichkeit und Stabilität. Die grüne Hoffnung lautet: Das kann Robert Habeck eher vermitteln als ein aufbrausender Merz oder ein schmallippiger Olaf Scholz.
Es ist allerdings bislang vor allem: eine Hoffnung.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen
- Mit Infos der Nachrichtenagentur dpa