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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schuldenbremsen-Streit "Das alles endet im Rechtsbruch"
Die Ampelkoalition kommt auch in der Sommerpause nicht zur Ruhe. Neuen Ärger rufen Aussagen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zur Schuldenbremse hervor.
Der Streit um mehr Staatsschulden entzweit abermals die Ampelkoalition. Nachdem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in einem Zeitungsinterview seine Forderung nach einer Reform der Schuldenbremse erneuert und zugleich erklärt hat, dass ein Notlagenbeschluss für ihn noch immer möglich sei, schießt jetzt FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer zurück.
"Notlagenkonstruktion oder Reform der Schuldenbremse, das alles endet in Rechtsbruch", sagte Meyer am Freitag t-online. "Es gibt keine Notlage, die die verfassungsrechtlichen Bedingungen erfüllt. Alle Gedanken zum Ausrufen einer Notlage sind damit hinfällig."
Der EU-Fiskalpakt gebe einen Ausgabenpfad für Deutschland vor, der schon jetzt "ausgereizt" sei. Meyers Schlussfolgerung: "Eine Schuldenbremsenreform ist in Konsequenz der Bruch mit europäischem Recht. Die Äußerungen von Rolf Mützenich kann man als Verfassungs- und Europarechtsbruch mit Ansage sehen. Es ist besorgniserregend, wie freimütig Rechtsbruch in Teilen der Koalition forciert wird."
Mützenich: "Werden genau hinschauen"
Mützenich hatte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt, er wolle den Haushaltsentwurf der Ampelregierung für das kommende Jahr kritisch prüfen. "Wir werden genau hinschauen, ob der Entwurf der Bundesregierung finanz- und verfassungsrechtlich tragfähig ist – oder ob man einen Überschreitungsbeschluss im Rahmen der Schuldenbremse treffen muss", sagte er. "Die Möglichkeit, eine Haushaltsnotlage zu erklären, nehmen wir nicht vom Tisch."
Durch das Ausrufen der Haushaltsnotlage könnte die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ausgesetzt werden. Das war in Zeiten der Corona-Pandemie der Fall. Die Schuldenbremse sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Bei Naturkatastrophen oder anderen Notsituationen kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden.
Nach dem Kabinettsbeschluss vom Mittwoch wird der Etatentwurf dem Bundestag zugeleitet. Dieser wird sich im September erstmals damit befassen. Ein Beschluss des Parlaments wird für Ende November angepeilt.
Merz kritisiert Schuldenpolitik
Mützenich bekräftigte die Forderung, die Schuldenregel zu ändern. "Auf allen staatlichen Ebenen und in fast allen Parteien – auch bei nahezu allen Ökonomen – setzt sich die Erkenntnis durch, dass wir das Grundgesetz ändern und die Schuldenbremse reformieren müssen, wenn wir notwendige Investitionen in unser Land tätigen wollen", sagte der SPD-Politiker. Er hoffe, dass das auch irgendwann bei der FDP ankomme. Die Liberalen lehnen Änderungen bei der Schuldenbremse ab, wie jetzt auch Meyer erneut betonte.
Kritik kommt dabei allerdings nicht nur von ihm und aus der FDP, sondern auch von CDU-Chef Friedrich Merz. Die Bundesregierung gebe mit dem neuen Haushalt "fröhlich weiter Geld aus, bläht den Beamtenapparat weiter auf, als ob nichts gewesen wäre, und appelliert jetzt an uns, doch endlich die Schuldenbremse des Grundgesetzes zu lösen, nachdem sie sich in der eigenen Koalition darüber noch nicht einmal einig" sei, sagte Merz im Deutschlandfunk.
Der Bund wolle "zusätzlich zu den bestehenden Schulden, zu den neu aufgenommenen Schulden, jetzt noch mal weitere Schulden machen. Und diesen Weg, den gehen wir sicher nicht mit."
Lindner betont ebenfalls EU-Regeln
Kanzler Olaf Scholz hält eine Reform der Schuldenbremse dagegen für erforderlich. Es werde sicherlich in der nächsten Legislaturperiode Entscheidungen geben müssen zu einer Modernisierung der Schuldenbremse, sagte der SPD-Politiker im "Interview der Woche" der ARD. "Aber das wird eine Arbeit sein, die mit ganz viel Ruhe gemacht werden muss und ohne Schaum vor dem Mund", betonte Scholz. Er verwies darauf, dass für einen Beschluss zur Änderung des Grundgesetzes eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig wäre.
Ob das für eine Änderung der Schuldenbremse reicht, ist jedoch nach Aussage von Finanzminister Christian Lindner (FDP) fraglich. Im Interview mit t-online erklärte er zuletzt mit Blick auf die europäischen Schuldenregeln, die auch Meyer betont: "Selbst wenn man Christian Lindner wegbeamt und die CDU bei der Schuldenbremse umfällt, gelten die europäischen Fiskalregeln ja weiter. Und die sollten wir auf keinen Fall brechen, denn wir haben als Stabilitätsanker eine Führungsverantwortung in Europa."
Der europäische Fiskalpakt ist so etwas wie eine Schuldenbremse auf EU-Level, zu der sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben. Er sieht vor, dass jedes Land seine Staatsschulden auf maximal 60 Prozent der eigenen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) senkt. Die Neuverschuldung pro Jahr darf nur 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen und damit etwas mehr als die 0,35 Prozent, die die deutsche Schuldenbremse zulässt. Verletzt ein EU-Staat die Regeln, kann der Europäische Gerichtshof Geldstrafen verhängen.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Statement von Christoph Meyer