Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Besuch im Berliner Olympiastadion Ein Affront
Die Inszenierung war perfekt: Tausende türkische Fans empfangen Erdoğan im Olympiastadion, zeigen ungehindert den "Wolfsgruß". Und die Bundesregierung? Schaut nur zu. Ein Skandal.
Was war das für ein Auftritt im Berliner Olympiastadion? Recep Tayyip Erdoğan fliegt nach Berlin, lässt sich mit einer Kolonne über die Autobahn ins Stadion kutschieren, um sich dort von Tausenden Fans feiern zu lassen.
Alles ist in türkische Nationalfarben getaucht – und mittendrin der winkende Staatspräsident. Hunderte Nationalisten zeigen während der Nationalhymne und zur Begrüßung Erdoğans ungehindert die Geste der "Grauen Wölfe". Ein Eklat. Denn die "Wölfe" sind als rechtsextreme Organisation bekannt, die Kurden und Armenier verfolgt und Gewalt als Teil ihrer Ideologie ansieht.
Dass Erdoğan gleich nach dem Spiel wieder nach Hause fliegen konnte, ohne von einem Mitglied der Bundesregierung in die Schranken verwiesen worden zu sein, ist gar ein handfester Skandal. Der Gedanke, der sich aufdrängt: Der türkische Präsident kann in Deutschland walten, wie er mag.
Erdoğan demonstriert seine Macht
Genau diese Botschaft hat er gewollt. Erdoğan war nicht vorrangig hier, um die türkische Mannschaft anzufeuern. Er hatte zwei Botschaften im Gepäck:
Eine an die Türken in Deutschland, auf deren Wählerpotenzial er immer bauen konnte: "Die deutsche Regierung hat euch gar nichts zu sagen. Eure Autorität bin ich, und der 'Wolfsgruß' ist unsere Geste." Und gleichzeitig eine an Deutschland: "Unsere Symbolik, unsere Gesten lassen wir uns nicht verbieten."
Es war eine Machtdemonstration, aus der der Autokrat als klarer Sieger hervorgegangen ist.
Debatte um rechtsextremen "Wolfsgruß"
Sein angeblich privater Besuch war dabei von vorneherein als Affront angelegt. Denn der Grund für Erdoğans Kommen war die Diskussion um den "Wolfsgruß", den Erdoğan verteidigte: Ausgelöst hatte sie der türkische Abwehrspieler Merih Demiral, der die Geste nach seinem zweiten Tor im Achtelfinalspiel gegen Österreich gezeigt hatte.
Das rief scharfe Kritik aus der Bundesregierung hervor, Innenministerin Nancy Faeser schrieb etwa auf der Plattform X: "Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel." Ankara sah das als Provokation und bestellte den deutschen Botschafter ein. Berlin wiederum zitierte den türkischen Botschafter ins Auswärtige Amt.
Gräben zwischen Deutschland und Türkei sind tief
Der vorläufige Höhepunkt dieser diplomatischen Scharmützel ist nun in Erdoğans provokantem EM-Auftritt gekommen. Sein Ziel hat er erreicht. Erdoğan hat die deutsche Regierung vor dem gesamten EM-Publikum vorgeführt. Verurteilte sie noch Demirals Geste, schweigt sie jetzt bloß.
Die Türkei ist zwar rausgeflogen und muss nach Hause fahren, Gelegenheiten für Stadien-"Wolfsgrüße" gibt es daher erst mal keine mehr. Erdoğan aber kann sich trotzdem freuen. Deutschland: Null. Türkei: Eins.
- Eigene Beobachtungen